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Sicht Roxanne

Seine Augen schauen mich eiskalt an, bis sie meinen begegnen, und sie merkwürdig warm werden. Ich habe niemandem je von ihm erzählt, ich sah keinen Grund darin, aber jetzt muss ich es wohl oder übel tun. Denn irgendwann musste ich wahrscheinlich erklären, wer der Junge auf meinen Kindheitsfotos ist, und welche Rolle er in meinem Leben spielt. Gespielt hatte, korrigiere ich mich in Gedanken, und versuche meine Gedanken zu ordnen. Die Tatsache dass er jetzt vor mir sitzt, mich ansieht als wäre nie etwas passiert und die Art wie seine Lippe zittert machen mich wütend. So wütend, dass meine Stimme zittert als ich rede.

„Verdammt Leon was machst du hier", frage ich, und meine Stimme klingt merkwürdig neutral, als würde mich diese Tatsache gar nicht überraschen. Und das tut sie auch nicht, immerhin war mir schon immer irgendwie klar, dass mein Bruder irgendwann im Knast landen würde. Nur dass er hier ist, das überrascht mich, denn er ist in Hamburg. Und damit hätte ich nie gerechnet, selbst in meinen Träumen nicht. Er hält sein Versprechen, schießt es mir durch den Kopf und ich muss fast lachen vor Ironie. Vor einiger Zeit sagte er, dass er mich besuchen würde, dass er mich treffen würde. Er hatte Recht, so viel steht fest, und wie er da sitzt sieht es aus als würde er auch gerade über sein Versprechen nachdenken.

„Roxanne du musst mir glauben, ich bin unschuldig. Die haben mich verpfiffen aber ich habe nichts getan, nichts was meine Strafe hier berechtigt. Die haben gesagt die töten mich wenn ich was sage oder sie verrate, also bin ich still geblieben. Du musst meine Unschuld beweisen, das ist das einzige und letzte worum ich dich bitte." Seine Stimme zittert als würde er vor zweihundert Leuten sprechen und nicht einfach nur vor mir, seine Unterlippe bebt und in seinen Augen sammeln sich Tränen. Aber ich habe kein Mitleid mit ihm, nicht mehr. Vor zwei Jahren hätte das funktioniert, aber jetzt nicht mehr, jetzt weiß ich zu was er fähig sein kann.

Ich weiß nicht was ich tue, warum ich nicht einfach aufstehe und gehe. Ich weiß nicht warum ich ihn ansehe, frage was sein Plan ist. Und ich weiß nicht warum ich ihm verspreche, dass ich ihm helfe. Wahrscheinlich deshalb, weil er das einzige ist was ich noch habe. Eigentlich weiß ich, dass er es zugeben würde wenn er etwas getan hätte. Er lügt selten, und er steht zu seinen Fehlern. Dass er es jetzt nicht tut, zeigt mir dass er vielleicht Recht hat.

Erst als ich wieder vor der JVA stehe, und auf mein Taxi warte, wird mir bewusst was ich hier tun will, was ich bereit bin zu tun. Aber die Flucht aus einem Gefängnis ist in Deutschland nicht strafbar, seine Strafe würde also die selbe bleiben wenn er geschnappt wird. Ich weiß seinen genauen Plan nicht, er wollte ihn nicht verraten, aber ich weiß wann er es tun will und wann er bei mir sein will. Bei mir, in meiner Wohnung wo sie ihn als erstes suchen werden. Aber es soll nur übergangsweise sein, höchstens eine Woche dann seie er wieder weg, das waren seine Worte. Dann will er nach Italien oder irgendwohin wo er ohne Bedenken leben kann.

Insgeheim habe ich Bedenken, dass der Plan funktionieren wird, aber das kann ich ihm nicht sagen. Denn jetzt habe ich schon zugesagt und er vertraut mir. Ein cremefarbenes Auto hält vor mir, mein Taxi. Schnell steige ich ein, nenne dem Mann meine Adresse und lehne mich dann in das weiche schwarze Polster des Autos. Im Radio läuft irgendein lustiger Popsong, der Fahrer summt leise mit und nickt zum Takt. Er scheint nicht zu merken, dass er grade vor einem Gefängnis gehalten hat. Oder er war er hier schon öfter als ich dachte, schießt es mir durch den Kopf und ich schaue aus dem leicht dunkel getönten Fenster. Während die Straßen an mir vorbei ziehen, werde ich müde und meine Augen fallen langsam zu.

Die dunkle Stimme meines Fahrers weckt mich unsanft aus meinem leichten Schlaf, logisch, der Mann will schließlich sein Geld. Verschlafen sehe ich ihn an, und gebe ihm dann das Geld aus meiner Tasche, dass er sich mühelos krallt. Dann schwinge ich meine Beine aus dem Auto und steige aus. In der Sekunde in der meine Füße den Boden berühren, fühle ich mich als wäre ich sicher. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, und ich weiß nicht mal warum ich es fühle, aber irgendwie ist es da und ich kann nichts dagegen tun. Jetzt wo Polly nicht mehr da ist, ist der Boden das einzige was mir hilft klarzukommen. Weil ich dann weiß, dass es noch einen Sinn hat zu kämpfen und weil ich dann weiß dass ich nicht komplett sterbe oder verloren bin.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 01, 2021 ⏰

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