1.

17 3 0
                                    

Sicht Roxanne

Die Dame am Empfang lächelt mir nochmal zu, während ich meine Tasche nehme und mich auf den Weg zum Ausgang mache. Im Gegensatz zu Polly musste ich nicht lange bleiben, weil ich mir nur das Handgelenk verletzt hatte, und das nicht mal gebrochen war. Ich weiß nicht wie das geht, aber ich bin froh dass wenigstens eine von uns einigermaßen unversehrt ist.

Zu aller Überraschung kriege ich einen Anruf, kurz nachdem ich nach draußen trete, wo mich das helle Sonnenlicht blendet. Ich halte mir die Hand vor die Augen, und nehme den Anruf gleichzeitig an, was sich gar nicht so einfach gestaltet.

„Ja?" Frage ich, und bin auf einmal besorgt wer da auf der anderen Seite ist. Als die andere Person zu sprechen beginnt, halte ich inne. Es ist Pollys Mutter, die mich fragt ob ich zu ihr kommen kann. Ich nicke, bis mir einfällt dass sie mich ja nicht sehen kann, und sage dann ja.

Vom Krankenhaus ist es nicht so weit, und ich entscheide mich dazu zu laufen, anstatt ein Taxi zu nehmen. Aber nach zehn Metern bereue ich meine Entscheidung, weil sich der Gurt meiner Tasche in meine Schulter brennt und dort einen Schmerz hinterlässt den ich nie vergessen werde.

Genau wie diesen Unfall. Ich versuche die Erinnerungen gehen zu lassen, und schüttle meinen Kopf, als würde das etwas bringen. Aber die Erinnerungen bleiben. In meinem Ohr ist immer wieder Pollys Schrei, und ich kann ihn nicht ignorieren. Aber vielleicht kann ich ihn übertönen.

Ich ziehe meine Kopfhörer raus, und stecke sie in mein Handy. Dann mache ich meine Playlist an, und lasse mich von den tiefen Bässen durch die Straßen leiten, die sich vor mir aufbauen.

Als ich endlich vor der Tür stehe, die zu Pollys Mutter gehört, muss ich mich zusammenreißen. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, habe ich sie angeschrien. Ich bin mir sicher dass wir das beide nicht vergessen haben, aber wenn sie will dass ich sie besuche, kann sie es nicht mehr böse meinen.

Sanft drücke ich auf die Klingel, und muss nicht lange warten bis die Tür aufgerissen wird, als hätte sie gewartet. Eine Sekunde lang schaut sie mich nur an, unsicher was sie machen will, und ich habe kurz Angst dass sie mir eine Ohrfeige gibt. Aber sie umarmt mich, so fest als wäre ich ihr eigenes Kind. Und schlagartig wird mir klar dass sie es schon wissen muss. Sie weiß was passiert ist.

„Ich bin so froh dass du gesund bist." Sagt sie leise, in den Pullover hinein den meine Mutter ins Krankenhaus gebracht hat. Ich kann nichts erwidern, denn ich hätte es lieber wenn Polly hier stehen würde und ich im Krankenhaus wäre. Ich will sie wieder haben.

Ich muss mich beherrschen um nicht zu weinen, als mich Pollys Mutter rein bittet und in der Küche Platz nimmt. Sie nimmt eine Tasse von der Theke, und nimmt einen tiefen Schluck, während der Duft von Kaffee zu mir weht.

„Willst du auch einen?" Fragt sie schließlich und ich nicke. Sie öffnet einen Schrank und zieht eine weiße Tasse heraus. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, dass sie an den Seiten angemalt wurde. Lange muss ich nicht überlegen, um zu verstehen wer das war. Es muss Polly gewesen sein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit reicht sie mir die Tasse, und ich nehme einen Schluck der braunen Flüssigkeit, die bis vor kurzem noch mein Lebenselixier war. Bis es dann Polly wurde. Meine Kehle wird warm, und ich fühle mich hier richtig wohl, auch wenn ich das Ereignis zwischen uns noch nicht vergessen habe.

„Roxanne, ich habe dich nicht ohne Grund gebeten hierher zu kommen. Wir beide wissen dass Polly manchmal sehr dramatisch war. Und sie hat vor zwei Jahren eine Liste geschrieben, mit Sachen die ihre geliebten Menschen machen sollen wenn sie stirbt. Und halt weg ist. "

Verständnislos sehe ich sie an. Wenn Polly wollte dass ihre geliebten das machen, dann steht die Liste ihr zu. Und nicht mir.

„Ich weiß dass sie dich geliebt hat. Mehr als mich jemals. Ich war ihr nur eine Stütze, aber gleichzeitig ein Hindernis. Ich habe sie irgendwie eingesperrt, und du warst ihre Freiheit, ihre Leidenschaft und ihre Liebe. Ihre Welt. Du warst alles für sie. Es wäre falsch dir diese Liste nicht zu geben. Du musst aufpassen, es ist für jede Woche eine Aufgabe. "

Fixed (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt