Johanna Mason - Vom Tributen zum Mentor | Kapitel 9

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Ich wollte sofort zu ihm, doch ich durfte nicht. Jason hinderte mich daran und sagte mir, dass es den Mentoren nicht gestattet war. Wir hatten später noch genug Zeit mit unseren Tributen zu reden, die Zeit jetzt gehörte den Familien und Freunden. Dass er das genau für mich war zählte hier jedoch wohl überhaupt nicht.

Ich lief im Gang des Justizgebäudes auf und ab, zählte die Minuten, bis die Besuchszeiten endlich vorbei waren und ich mit Treen reden durfte. Jason sah mir dabei schweigend zu. Er hielt jetzt, nachdem ich mich halb wie eine Furie auf ihn gestürzt hatte, als er sagte dass es ihm Leid tut und vielleicht ja doch alles gut werden würde, lieber den Mund. Das war auch besser so.

Wie sollte denn vielleicht alles gut werden? Wie sollte es Distrikt 7 schaffen, zwei Jahre hintereinander zu gewinnen? Das gab es bisher erst ein oder zweimal und immer waren es die Karrieredistrikte. Außerdem sagte mir mein Gefühl, dass er nicht zufällig gezogen worden war. Er war alles was ich noch hatte und jemand wollte, dass ich alles verlor und gebrochen wurde. Dieser jemand war mit Sicherheit Präsident Snow.

Endlich gingen die Türen auf und ich stürzte mich auf Treen und drückte ihn fest an mich. Ich sagte nicht, dass es mir Leid tut und dass alles gut werden würde. Das war eine Lüge. Eine verdammte Lüge, die er nicht verdient hatte. Er hatte nichts davon verdient und ich genauso wenig. Aber wir konnten es nicht ändern. Alles was mir blieb war Snow umzubringen und mit allen Mitteln zu versuchen, hunderte von Sponsoren aufzutreiben die ihn aus der verdammten Arena sozusagen rauskauften.

„Das ist echt scheiße gelaufen.“, murmelte er, während er die Umarmung erwiderte.

„Ich werde alles versuchen. Und wenn ich jemanden mit der Axt bedrohen muss, die werden dir Sponsorengeschenke schicken.“, erwiderte ich. Das war das einzige was ich versprechen konnte.

„Wir sollten gehen. Der Zug wartet.“, meldete sich Jason wieder zu Wort, bei dem die weibliche Tributin stand. Die hatte ich ganz vergessen. Doch ehrlich gesagt musste ich sagen, auch wenn es grausam klang, dass sie mir egal war. Sie hatte keine Chance, das wusste sie. Ich war nicht die richtige Person dafür, um ihr die Angst zu nehmen. Ich konnte sie nur stärken, das würde ich tun. Trotzdem würde ich mich hauptsächlich auf Treen konzentrieren. Ihn wollte ich da raus haben.

Wir machten uns auf den Weg zum Bahnhof, wobei ich dicht an Treens Seite blieb und jeden Friedenswächter einen vernichtenden Blick zuwarf der es auch nur wagte in meine Richtung zu blicken. Ein Wort und ich hätte mich vermutlich auch auf sie gestürzt und ihnen die Augen ausgekratzt. Keine Ahnung was mit mir los war, doch ich kam mir vor wie eine tickende Zeitbombe die nur auf einen Auslöser wartete um hochzugehen. Ich konnte nicht weinen, stattdessen wollte ich lieber jemanden wehtun und damit zum Ausdruck bringen, wie ich mich gerade fühlte.

Am Bahnhof angekommen war es ziemlich ruhig. Die Leute hier wussten, wer Treen war. Sie wussten, dass ich außer ihm niemanden wirklich mehr hatte. Vielleicht verstanden sie, wie ungerecht das alles war und wie wütend ich darüber sein musste. Vielleicht hatten sie deshalb den guten Selbsterhaltungstrieb nicht zu klatschen und ihre Tribute damit anzufeuern. Ich hätte es ihnen jedenfalls nicht geraten.

„Ich zeige euch eure Abteile.“, verkündete Camilla sofort, kaum dass sich die Zugtüren hinter uns geschlossen hatten.

„Ich zeig ihm seins.“, brummte ich und überraschenderweise beschloss sie nicht zu widersprechen. Stattdessen legte sie ihre Hand auf die Schulter des Mädchens und lotste sie durch den Zug.

„Johanna. Ein Gespräch, in 10 Minuten. Wichtige Mentorensache.“, sagte Jason, gerade als ich mit Treen losgehen wollte.

„Wenn es sein muss.“, erwiderte ich leicht genervt und setzte dann meinen Weg fort.

„Hör mal Johanna. Ich weiß wie du dich fühlst. Aber ich werde auch alles versuchen, um nicht zu sterben. Glaub mir, ich hab darauf wirklich keine Lust.“, begann Treen, als wir sein Abteil erreicht hatten und eintraten.

„Das will ich hoffen. Ich hab nämlich keine Lust mehr darauf noch jemand zu verlieren.“, erwiderte ich, auch wenn meine Stimme dabei merkwürdig klang. Beinahe weinerlich. Da war mir die Wut dann doch lieber, doch auf ihn konnte ich einfach nicht sauer sein.

„Du holst mir Sponsoren, ich bleib am Leben. Das klingt doch nach einem Deal, oder?“, redete er weiter und dieses Mal nickte ich nur. So wirkte ich stärker als ich mich allein mit ihm fühlte.

„Jetzt solltest du gehen. Jason muss mit dir ein paar Dinge besprechen die bestimmt auch wichtig für mich sein werden. Außerdem brauchst du etwas zutun, du wirkst so unberechenbar auf mich.“

Ich schlug gegen seine Schulter und nickte dann aber zum zweiten Mal. Er hatte Recht, ich musste zu Jason. Es war mein erstes Mentorenjahr und ich hatte, auch wenn ich es nicht gerne zugab, absolut keine Ahnung wie das alles ablief. Mir blieb also wirklich nichts anderes übrig als Treen allein zu lassen und zurück zu meinem ehemaligen Mentor zu gehen. Jason hatte mir bei meinen Spielen immer wieder Sponsorengeschenke zukommen lassen. Er schien also wirklich etwas drauf zu haben und kannte sich aus, ich brauchte ihn also wirklich um Treen zu helfen. Und ich musste ihm irgendwie klar machen, dass wir uns nur auf ihn konzentrieren durften.

Ja ich war ziemlich egoistisch in diesem Moment. Doch ich war dabei alles zu verlieren, was mir wichtig war, da durfte man durchaus auch mal nur an sich denken.

Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin: Vom Tributen zum MentorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt