FÜNF

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MARLENE

Meine Schultern schmerzten noch immer, als ich gerade ein paar Wasserflaschen in den Presseraum trug. Ich hatte erst vor wenigen Stunden den Flug nach Minnesota überstanden und war noch vollkommen verkrampft. Meine Schultern schmerzten nicht nur, weil ich angespannt in dem ungemütlichen Flugzeugsitz mit Clara die nächsten Termine besprechen musste, sondern weil ich eine irrationale Angst davor hatte, dass das Flugzeug einfach so vom Himmel fallen würde. Dass ich mit der kompletten Mannschaft und einigen Mitarbeitern die Zeit rumkriegen musste, half mir überhaupt nicht zu entspannen.

„Denk daran die Etiketten zu den Kameras zu drehen", meine Clara, als sie den Presseraum hinter mir betrat und den Raum für die bevorstehende Pressekonferenz überprüfte.

„Habe ich schon gemacht. Was kann ich noch für dich erledigen?", fragte ich sie und blieb neben ihr stehen, mein eigenes Klemmbrett in meinen Händen haltend.

Clara kritzelte gerade etwas auf einem Schreibblock, der in ihren Armen lag, herum. „Sei doch so lieb und hole schon mal Adam. Ich mache mich in der Zeit auf die Suche nach dem Coach."

„Alles klar, mache ich." Ich versuchte meine genervte Stimmung zu überspielen und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. Natürlich hatte ich mal wieder das Glück und musste Adam zu seinen Presseterminen zerren. Zwar wusste ich, dass Adam vor diesem Spiel besonders von den Journalisten gefragt war, da es sein erstes Spiel im Trikot der Wolves sein würde, aber dass er mal wieder der Star des Tages war, nervte mich einfach nur. Und dann durfte ich ihn auch noch zu seinem großen Auftritt abholen. Ich hatte mich super darauf vorbereitet mit ihm in einem Raum zu sitzen, oder die Enge des Flugzeuges zu teilen. Doch jeden Abend, wenn ich den Arbeitstag hinter mir hatte, hoffte ich darauf, dass ich nicht mehr mit Adam reden musste. Vergebens.

Wenn er in meine Augen sah vergaß ich, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Und wenn er mir im Flugzeug dumm zuzwinkerte wollte ich ihn an seinem Kragen zu mir zerren und ihn so küssen, wie ich es vor einem Jahr getan hatte. Damals hatte es keine Konsequenzen gegeben. Einfach nur zwei Studenten, die sich eine schöne Nacht bescheren wollten. Doch so viel kann in einem Jahr passieren. Mit nur einer dummen Entscheidung könnten wir beide unsere Karrieren aufs Spiel setzten.

Obwohl wahrscheinlich Adam besser wegkommen würde, das tun berühmte Männer doch immer.

Die kühle Luft der Klimaanlage traf mich, als ich an der offenen Tür der Kabine ankam. Ich fühlte mich immer noch so fehl am Platz, und dachte ich tat etwas Verbotenes, wenn ich zu der Kabine lief um Spieler für Interviews oder Pressetermine abzuholen. Doch auch das gehörte zu meinem Job dazu. Besser gesagt bestand mein Job fast nur daraus. Ich war dafür da Clara zu unterstützen und wenn das bedeutete Spieler abzuholen, tat ich auch das. Schließlich hatte ich nichts dagegen. Mit Clara zu arbeiten ermöglichte mir einen unglaublichen Blick in die Arbeit eines NFL Teams.

Ich wurde von Hank, einem vertrauten Sicherheitsmitarbeiter an der Tür begrüßt.

„Miss Marlene!" Hank strahlte, als er mich mit meinem Klemmbrett auf ihn zulaufen sah. Trotz seines grauen Vollbartes sah man ihm kaum an, dass er nur noch wenige Jahre bis zur Rente vollenden musste.

„Hi Hank. Wie lief das Training vorhin? Habe ich irgendwas verpasst?"

„Oh nein, alles wie gehabt."

„Was ein Glück. Kannst du mir einen Gefallen tun?"

Hank sah mich mit hochgezogener buschiger Braue an.

„Würdest du bitte Adam Brinski kurz Bescheid sagen, dass ich warte?", fragte ich und hoffte, dass mir Hank helfen würde, damit ich nicht in die Kabine musste. Zu oft habe ich dort schon Dinge gesehen, die mich absolut nichts angingen und ich so schnell wie möglich auch wieder vergessen wollte. Footballspieler haben einfach keine Hemmungen. Nicht mal, wenn sie gerade aus der Dusche kamen und Mitarbeiter schon in der Kabine rumliefen.

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