11 - Weg von hier

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Kapitel 11

Meine Zunge fühlte sich so schwer wie Blei an und es kostete mir meine letzte Kraft, ihm die entscheidende Erklärung aufzutischen. "Aphephosmophobie", platzte das Wort aus mir heraus. "Ich... ich habe Angst vor Berührungen von oder durch Menschen des anderen Geschlechts", gestand ich schlussendlich zittrig.

Und Lorenz blieb endlich stehen.

Mir kam es dagegen vor, als würde mein Körper ein Luftballon sein, aus dem die Luft ganz langsam und gemächlich entwich, bis nur noch eine leere Hülle übrig blieb.

Mein Rücken pochte, weil ich mich mit aller Kraft gegen die Hauswand drückte, um mich auf den Beinen zu halten. Eine lastende Stille breitete sich zwischen uns aus, ich hörte lediglich das Rauschen des Windes und weiter entfernt zwitscherte ein Vogel.

Ansonsten war es komplett still, nichtmal ein Auto ist zu hören.

Eigentlich wollte ich meinen Blick gesenkt halten und darauf warten, dass er endlich wegging. Dorthin, wo auch immer er ursprünglich hinwollte. Doch da er keinen Laut von sich gab und ich auch keine Schritte vernahm, musste er noch immer hier sein.

Als ich zu ihm aufschaute, bewahrheitete sich meine Vermutung.

Er ist geblieben, hier. Bei mir.

Die Arme schlaff an den Seiten herunterhängend, einen nachdenklichen Ausdruck in den Augen besitzend stand er nach wie vor vor mir und schaute mich einfach nur an.

Eigentlich hätte ich von so jemanden wie ihm erwartet, dass er mich nicht ernst nehmen würde. Dass er mich auslachen könnte, nicht zuhörte und trotzdem dichter heranrückte. Vorallem, dass er urteilen würde.

Dass es heißen würde, was ein Schwachsinn. Oder was zum Henker läuft falsch mit dir.

Aber es kam nichts von ihm. Nichts, außer ein Schweigen und einen undeutbaren Ausdruck in diesen unglaublich dunklen Augen.

Weil es nicht so wirkte, als würde großartig etwas von ihm kommen, sammelte ich meinen Mut zusammen und brach als erste das Schweigen. "Warum gehst du immer noch nicht?"

In diesem Moment sah er mich so irritiert an, als hätte ich ihm die dümmste Frage aller Zeiten gestellt. "Denkst du jetzt echt, dass ich deswegen die Flucht ergreife, nur weil du das hast?" Seine Gesichtszüge wurden mit einem Mal sanfter und der vorwurfsvolle Ton in seiner Stimme wurde durch einen viel ruhigeren ersetzt. "Mensch Sofia... ich lass dich doch deswegen nicht alleine hier draußen stehen."

Ich wusste nicht warum, aber seine Worte lösten etwas in mir aus, was ich gar nicht so recht wahr haben wollte.

Ich fühlte mich beruhigt.

In gewisser Art und Weise aufgehoben - und das einfach nur, weil er nicht von mir weglief, sondern blieb.

Leise hörte ich ihn seufzen. "Soll ich dich zum Ruheraum bringen? Dann kannst du dich etwas ausruhen."

Ich schüttelte mit meinem Kopf.

"Möchtest du wenigstens ins Bad, dass du dich um deine Schrammen kümmern kannst?", versuchte er weiter hartnäckig eine Antwort aus mir herauszubekommen. "Ich denke nämlich nicht, dass du jetzt unbedingt in den Unterricht willst."

Mich wunderte es zutiefst, dass es für ihn im Moment wichtiger war mich zu einem Wasserhahn zu schieben, als mich neugierig wegen meinem lang behüteten Geheimnis auszufragen.

Schließlich raffte ich mich zu einer Antwort auf. "Mhm."

Er nickte langsam und schien kurz zu überlegen, ehe er die nächste Frage stellte. "Soll ich dich danach nach Hause bringen?"

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