14 - Falsch gedacht

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Kapitel 14

Er nahm das Kinn von seiner Handfläche und lehnte sich mit seinem Körper auf dem Stuhl weiter zurück. "Dann erkläre es mir bitte, Sofia", seiner Stimme verlieh er dieses Mal einen bestimmten Nachdruck. "Ich meine, schwebst du nicht jedes Mal in Gefahr, selbst wenn du einfach nur in die Schule gehst? Niemand weiß davon und eine missliche Situation und du würdest einfach umkippen." Ich hörte ganz genau heraus, wie geschockt er von der Sache war.

Erst wollte ich ihn anpflaumen, dass er kein recht dazu hatte, mich so vorwurfsvoll von der Seite anzumachen, da fiel mir jedoch etwas ein.

Er hatte es ja so in etwa mit eigenen Augen gesehen, rief ich mir in das Gedächtnis. Da konnte man vielleicht schon so etwas wie am Ausflippen sein. Vielleicht wäre ich das auch, wenn mir Briana sowas anvertrauen würde oder irgendjemand anderes.

Also schön, beschloss ich stumm. Ich würde es ihm erkären.

"Ich war sieben, da hat es zum ersten Mal angefangen. Ich saß seit dem Schulbeginn neben Lasse, das war ein echt netter Junge. Ich habe immer viel mit ihm gelacht und herumgescherzt. Doch aufeinmal wurde mir unwohl, wenn ich neben ihm saß."

Lorenz' dunkle Augenbrauen rutschten in die Höhe, doch dieses Mal fiel er mir nicht weiter in das Wort und hörte einfach nur schweigend zu.

"Naja, damit nahm die Sache seinen Lauf. Mal blieb der Zustand einfach so - und plötzlich konnte ich von der einen zu der anderen Sekunde nichtmal mehr ein Paket von einem männlichen Postboten abnehmen. Niemand hatte so wirklich einen Plan, was es sein könnte, bis mich meine Eltern zu einem Therapeuten geschleppt haben, Mr Kynner. Der hatte dem Kind dann einen Namen gegeben", fuhr ich weiter fort.

Lorenz räusperte sich. "Und seit dem bist du bei ihm in Therapie?"

Ich nickte. "Genau. Mit ihm zusammen habe ich mir einige Sachen antrainiert, sodass niemand Verdacht schöpft und ich mir selbst auch meinen Alltag leichter machen kann. Es stand für mich eigentlich nie zur Debatte, dass jemand davon erfahren soll."

"Und was ist, wenn du dich mal verlieben solltest? Ich meine nur, weil du vor Berührungen zurückschreckst, heißt es ja nicht, dass du dich nicht auch in den einen oder anderen vergucken könntest?", bohrte er skeptisch nach.

Wieder zuckte ich mit den Schultern. "Bisher ist es bei mir noch nicht so gewesen, weswegen ich mir darum noch keine Gedanken gemacht habe."

"Aber du hast dir bestimmt Gedanken darum gemacht, dass du wirklich nie jemanden küssen könntest? Du könntest nichtmal die Hand von jemanden halten." Sein Blick suchte meinen und ich hatte das Gefühl, er wäre darüber besorgter und verzweifelter als ich es je war.

Und irgendwie konnte ich es nicht verstehen.

"Ja... es ist nunmal wie es ist", lenkte ich dagegen und wollte davon wegkommen, dass er mir noch mehr Salz in meine Wunden hereinschütten würde. Noch schmerzten sie längst nicht so sehr wie sie es in manchen Momenten taten, doch wahrscheinlich dauerte es nicht mehr lange. "Ich versuche mich damit abzufinden...", schob ich noch schnell hinterher, überzeugend klang es jedoch selbst in meinen Ohren nicht. "Aber warum... warum...", ich fand nicht so recht das Wort, das ihn jetzt momentan beschreiben könnte.

Aber er.

"Warum ich so entsetzt darüber bin?", half er mir auf die Sprünge. Auf mein Nicken ging er sich durch die Haare und murmelte etwas Unverständliches, ehe er wieder mit der Sprache herausrückte. "Naja. Du hast noch dein ganzes komplettes Leben vor dir und versuchst jetzt schon eine Sache komplett für dich auszuschließen."

"Was heißt denn hier komplett auszuschließen?", sagte ich empört. "Es geht einfach nicht anders, was soll ich denn machen? Ständig hoffen, dass es morgen genauso schnell verschwindet, wie es gekommen ist?" Ich lachte laut auf. "Weißt du Lorenz, wie oft ich das gehofft habe? Wie oft ich morgens hoffte, dass es weg sein würde? Dass alles normal sein wird, ich endlich die gleichen Chancen wie meine Freundinnen haben werde und vorallem mein Leben leben kann, ohne ständig Angst zu haben, dass es jemand herausfindet? Oder dass ich einfach so aus dem Nichts umkippe?!" Wut über sein Unverständnis kochte in mir hoch und ich hatte echt erwartet, dass er es akzeptieren und daraus keine unnötige Diskussion entstehen lassen würde.

Da habe ich wohl falsch gedacht.

Ich stämmte mich ruckartig von meinem Stuhl hoch, gleichzeitig sprang Rapunzel erschrocken auf ihre Beine. "Und ich habe auch langsam keine Nerven mehr, ständig darüber zu reden. Ich sehe selbst, dass ich keine Fortschritte mache, obwohl mir mein Therapeut immer wieder Mut zuspricht. Aber es ändert sich nichts. Es ändert sich einfach nichts."

Ich spürte schon, wie mein Sichtfeld wegen der Verzweiflung darüber verschwamm, jedoch wollte ich keine Tränen zulassen. Hart schluckte ich und holte gleichzeitig tief Luft.

Lorenz blickte zu mir empor, den Ausdruck in seinem Gesicht konnte ich kein bisschen deuten. Aber das war mir jetzt auch egal.

Es reichte, wenn ich darauf vertraute, dass er es nicht weitererzählte. Der Rest brachte nichts. Er verstand es eh nicht, so wie ich es schon vermutet hatte.

Verdammt, er akzeptierte es nicht einmal.

"Ich glaube, es ist besser, wenn ich gehe."

Er öffnete seinen Mund und schloss ihn wieder. Jetzt konnte man ihn endlich ansehen, dass er eigentlich mit der Situation total überfordert war - wahrscheinlich wusste er selbst nicht so recht, was er von dem alles halten sollte.

Egal.

Ich sollte froh sein, dass er mich wenigstens in der Schule nicht stehen gelassen hatte.

Ich lief an ihm vorbei und sah aus den Augenwinkeln, wie er nach meinem Handgelenk greifen wollte, doch in letzter Sekunde zuckte er zurück. Stattdessen stand er auch auf, umrundete mich blitzschnell und befand sich plötzlich wie aus dem Nichts vor mir.

Vor Schreck wich ich stolpernd zurück.

Eindringlich blickte er zu mir herunter. In seinen Augen schwimmten die verschiedensten Emotionen und er bemühte sich sichtlich um eine sanfte Miene. "Nein, geh nicht", schoss es unvermittelt aus ihm heraus und ließ meinen Magen ungewollt einen Sprung machen. Er seufzte und senkte kurz den Kopf. Als er wieder hoch zu mir schaute, sind ihm noch mehr seiner welligen Strähnen auf seine Stirn gefallen. "Tut mir leid... ich bin manchmal einfach nicht so feinfühlig."

Ich schwieg.

Gerne wollte ich ihm vergeben, doch meine Zunge war schwer wie Blei, denn er hatte mir alles nochmal so extrem vor Augen geführt, dass das nicht leicht zu verdauen war.

Lorenz ließ sich von meiner stummen Art jedoch nicht weiter beeinflussen, sondern redete weiter. Nun versuchte er sich zu erklären. "Mir fällt es nur so schwer, dass alles als aussichtslos zu sehen so wie du und mir gefällt es nicht... mir gefällt es nicht, dass du schon aufgegeben hast."

Aufgegeben.

Ja vielleicht, vielleicht hatte ich das schon in gewisser Weise.

Ich verlagerte mein Gewicht auf das rechte Bein und blinzelte zu ihm hoch, rang mich dazu ab, ihn wenigstens verstehen zu können, wenn er mich schon nicht verstehen konnte. Also stellte ich ihm eine Frage, die mich mittlerweile brennend interessierte. "Okay... und warum genau ist es nicht so aussichtslos wie ich es denke?"

Er setzte offenbar schon gleich zur Erklärung an, doch dann kam ihm anscheinend erstmal etwas anderes in den Sinn. "Wollen wir uns nicht lieber wieder hinsetzen? Dann kann ich es dir in Ruhe erklären."

Wieder ein mieser Cut, ich weiß😅

Was haltet ihr von Lorenz' Reaktion? Und was denkt ihr, wird er Sofia nun als Erklärung liefern?

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