Der Schulbus war proppenvoll wie immer. Nur mit Glück entkam man dem schweren Schicksal an einer verschwitzten Achsel schnüffeln zu müssen. Dieses Glück blieb mir leider vorenthalten. Das Fahrzeug bog in eine enge Kurve. Ich stolperte und bekam gerade noch eine Stange zu fassen, wurde aber von irgendwem gerammt und halb zerquetscht. Das Brummen des Motors vermischte sich mit dem Stimmen und Gelächter der Insassen. Ich konnte nicht mehr zuordnen, wer was sagte. Licht flackerte zwischen den Zweigen der Bäume am Straßenrand hindurch und blendete mich im Sekundentakt. Die Sinne prasselten nur so auf mich ein und vermischten sich zu einem riesigen Durcheinander. Wieder eine Kurve und erneut verlor ich fast das Gleichgewicht. Die schwere Schultasche auf meinem Rücken machte es nur noch schlimmer.
Wie ich Bus fahren doch hasste.Um so erleichterter war ich, als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich aussteigen durfte.
Von der Bushaltestelle bis zu mir nach Hause war es noch ein ganzes Stück zu Fuß, denn wir wohnten ziemlich weit abgelegen auf dem Land.Ich folgte dem Weg vorbei an saftig grünen Wiesen und goldgelben Feldern, die allesamt an den Waldrand grenzten.
Die Blätter der Bäume rauschten leise im kühlen, aber angenehmen Wind. Einmal sah ich ein Reh, welches mich aus der Ferne aufmerksam musterte, um sicherzustellen, dass ich keine Gefahr darstellte.Ich genoss die warmen Strahlen der Nachmittagssonne auf meiner Haut, lauschte dem Zwitschern der Vögel und summte leise vor mich hin.
Mir gefiel es hier draußen, auch wenn es bedeutete, dass ich jeden Tag einen langen Schulweg hatte. Es war so schön ruhig, was nicht bedeutete, dass ich ein Fan von Stille war. Im Gegenteil, Musik war meine Leidenschaft. Ich hatte schon früh mit dem Klavier-und Gesangsunterricht angefangen, doch vor lauter Schulstress fand ich momentan kaum Zeit dazu, mein Hobby auszuleben.
Meine Gedanken schweiften zu Camio und ich fragte mich, wie er es hier draußen in der Natur wohl finden würde. Vielleicht sollte ich ihn mal einladen, damit er wieder die schönen Seiten des Lebens sah.
Ich könnte ihm ja was auf dem Klavier Vorspielen oder so.
Ob er wohl singen kann? Bei der Vorstellung von einem singenden Camio musste ich lächeln.Und als ich daran dachte, wie nah wir uns heute in der Schule gekommen waren, ging das Lächeln in ein irres Grinsen über. Ich hatte noch die halbe Deutschstunde mit Herzklopfen dagesessen und mich kaum konzentrieren können. Doch nach der Schule hatte ich mich nicht getraut, ihn nochmal darauf anzusprechen.
Ich versank in den Tagträumen eines verknallten Teenagers, doch ich kam nicht drumherum, dabei wieder an unser Gespräch am Sonntag zu denken.
„Eines Tages habe ich versucht, dem allen ein Ende zu setzen"
Das Grinsen entwich mir. Der Gedanke daran, dass jeder Tag sein letzter sein könnte, fraß sich immer tiefer durch meinen Kopf; machte mich völlig verrückt. Niemals würde ich mir verzeihen, wenn er sich das Leben nahm. Die Frage, wie ich ihn davon abhalten sollte, beschäftigte mich den ganzen Tag über.
Mir war klar, dass ich ihn nicht allein von seiner Depression heilen konnte. Er musste selber den Willen entwickeln, gegen die Krankheit an zu kämpfen, es auch mal mit einer Therapie zu versuchen. Meine Aufgabe war es, ihn zu unterstützen, ihm zu zeigen, dass es auch noch schöne Dinge im Leben gab; ihm klar zu machen, dass eine Therapie ihm helfen würde. Bloß wie sollte ich das anstellen?!
Ich kickte einen kleinen Stein vor mir her und seufzte. Wenn ich mich weiter so verrückt machte, würde das nicht gut enden. Wahrscheinlich würde ich kurzerhand umkehren, bei Camio klingeln, ihn fesseln und für den Rest meines Lebens mit mir rumschleppen, um sicherzustellen, dass er sich nicht von der nächsten Klippe stürzte.
DU LIEST GERADE
Du bist nicht allein
Teen FictionEr würde mich festhalten. Er würde sich mit aller Kraft an mich klammern und zurückzerren. Wenn es sein musste, würde er mich nie wieder los lassen. So ein Mensch war er. Er würde nicht zulassen, dass ich sprang... Camio leidet nun seit mehreren Jah...