Cassiel 3 - Wahrheit oder Pflicht

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Camio redete zwar nicht viel, doch er war ein echt guter Zuhörer. Wenn man ein Problem hatte, konnte man zu ihm gehen. Er war ein echt guter Freund, mein bester, um genau zu sein, auch wenn er sich manchmal etwas seltsam benahm. Er trug selbst im Sportunterricht lange Ärmel und Hosenbeine. Manchmal schloss er sich die ganze Pause lang im Schulklo ein; es gab die wirrsten Gerüchte, was er dort tat.

Nachdem wir den Kuchen gegessen hatten, beschlossen wir ein wenig auf der PlayStation in seinem Zimmer zu spielen.

Das Zimmer hatte eine bescheidene Ausstattung, mal abgesehen von dem Flachbild-Fernseher, der gegenüber seines Bettes auf einer kleinen Kommode trohnte. Ansonsten gab es noch einen hölzernen Kleiderschrank, ein Fenster mit Blick auf die Straße und einen mehr als chaotischen Schreibtisch, dessen Anblick weniger an einen Tisch, als an einen Bombeneinschlag erinnerte.

Wir setzten uns auf das Bett und Camio startete ein Autorennenspiel. „Hast du das schonmal gemacht?"

Ich schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich" Meine Eltern hielten nichts von Videospielen, da sie diese als verblödende Zeitverschwendung betitelten.

„Ich zeigs dir" Er drückte mir einen Controller in die Hand, rutschte ein Stück näher und erklärte mir die Haltung. Dafür nahm er meine Hände um sie richtig zu platzieren, den rechten Arm um mich gelegt, um besser an meine rechte Hand zu gelangen .
„Also die Mittelfinger kommen auf L2 und R2 hier hinten, die Zeigefinger darüber und mit den Daumen betätigst du die restlichen Tasten..." Ich nickte nur, während er meine Finger richtig platzierte und tat so, als würde ich zuhören, doch ich konnte mich einfach nicht konzentrieren.

So nah...

Ich spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken, der mir eine Gänsehaut verpasste. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, jede seiner Berührungen löste einen kleinen Schauer in mir aus.
„...mit dem hier..." er fuhr mit meinem Daumen über ein blaues Dreieck „ ...gibst du Gas und mit dem Kreis bremst du...hast du alles verstanden?"

Keine Reaktion.

„Ciel?"
„W-was... i-ch meine ja!",stammelte ich vor mich hin.
„Gut"
Er rückte wieder weg und startete ein Rennen. Einerseits war ich erleichtert, andererseits vermisste ich seine Nähe sofort wieder.

Während des Spiels schweifte mein Blick immer wieder zu Camio, der aufmerksam das Spiel verfolgte. Dabei kaute er auf der Unterlippe herum; das machte er immer, wenn er sich konzentrierte.

„Ciel, bist du sicher, dass du weist, was du da tust?", fragte er irgendwann.
„Klar doch, wieso?"

„Weil du seit einiger Zeit falsch herum fährst..."

„Oh..." Jetzt wurde ich wahrscheinlich rot wie eine Tomate.

Camio prustete los und erst da ging mir auf, wie selten ich ihn bisher richtig hatte lachen hören. Ich würde gern behaupten, er hätte ein wunderschönes, klangvolles Lachen, aber...nö.

Es klang wie ein sterbendes Walross.

Allein wegen seiner Lache lachte nun auch ich laut los und zugegeben...meine war auch nicht besser. Am Ende erfüllten die harmonischen Klänge eines sterbenden Walrosses in Kombination mit einer Mischung aus gackerndem Huhn und hyperventilierten Affen den Raum, ein bisschen Pferdewiehren war da auch noch mit drin. Ein Glück waren, laut Camio, die Nachbarn nicht da, die hätten sonst wahrscheinlich den Tierschutz angerufen.

Als unsere Augen langsam quadratisch wurden und ich die meisten Runden verloren hatte, beschlossen wir uns anderweitig zu beschäftigen.

„Spielen wir Wahrheit oder Pflicht?" Ich griff in die Chipstüte, die wir uns geholt hatten, und reichte sie Camio.
„Klar."
„Okay, ich fange an. Was wählst du?"

Du bist nicht alleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt