Cassiel 22 - Liebe

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Eine Weile saßen wir einfach nur da und betrachteten die langsam untergehende Sonne. Ich lehnte mich bei Camio an und bettete meinen Kopf auf seiner Schulter.

Der Anblick des glitzernden Sees, der die bunten Farben des Himmels widerspiegelte, hatte irgendetwas Magisches an sich. Ein Schwan trieb durch das klare Wasser, mit einer gewissen Ruhe und Eleganz. Vögel zwitscherten, ein angenehmer Wind wehte und als Camio einen Arm um mich legte, schien die Welt für einen Augenblick vollkommen zu sein.

Und doch war da etwas zwischen uns, das geklärt werden musste. Unausgesprochene Worte; Ungewissheit, wie es mit uns weitergehen sollte.

„Sag mal... glaubst du wirklich, dass du mir nicht gut genug bist?"

Camio zupfte einen Grashalm heraus und drehte ihn gedankenverloren zwischen den Fingern. „Es ist alles so kompliziert... Ich mag dich wirklich gern, aber ich weiß, dass ich dich niemals glücklich machen kann. Ich weiß ja nicht mal, ob ich selbst jemals wieder glücklich werde"

Ich formte die Lippen zu einem Strich. „Ich glaube schon, dass du das kannst. Aber nur, wenn du auch etwas dafür tust. Deswegen sag ich ja immer wieder: Eine Therapie kann dir helfen. Ich meine das nicht böse. Ich möchte bloß, dass es dir wieder besser geht"

Er seufzte. „Ich weiß ja nicht... Meine Mom hat keine guten Erfahrungen damit gemacht"

„Sowas kann mal vorkommen. Aber das heißt doch noch lange nicht, dass es immer so ist", behaarte ich.

„Mag sein... Ich denk drüber nach, ja?"

Ich wusste nicht recht, ob er es ernst meinte oder einfach nur einer Diskussion auswich, doch ich nickte. Mehr, als es ihm zu sagen, konnte ich nicht tun.
„Sind wir jetzt also weiterhin nur Freunde?", fragte ich leise und senkte den Blick.

„Ich weiß nicht... Wie gesagt: In meinem Kopf herrscht das reinste Chaos"

„Und was sagt dein Herz dir?"

„Mein Herz?" Mit einem Mal bildete sich ein verlegenes Lächeln auf seinen Lippen. „Das führt die ganze Zeit nen Stepptanz auf und versucht jeden Gedanken in meinem Kopf zu übertönen"

Ich grinste. „Na damit ist meine Frage ja beantwortet. Ein ganz klares Nein würde ich mal sagen"

Seine Wangen röteten sich. „Und was jetzt?"

„Jetzt hörst du bitte wenigstens dieses eine mal darauf, was dein Herz dir sagt, ja?"

Wir sahen einander in die Augen und für einen kurzen Moment glaubte ich, darin etwas aufblitzen zu sehen. Ein kleiner Funken in seinen sonst so leeren und trostlosen, braunen Augen, der mir zeigte, dass da noch Leben in ihm existierte, welches nur darauf wartete, nach einem langen, dunklen Winter endlich wieder aufblühen zu können. „Okay", sagte er bloß. „Dann..."

Ein schüchternes Lächeln legte sich auf seine Lippen, doch es ging schon bald in ein Grinsen über. „Mein Herz sagt mir, dass ich das hier schon immer mal tun wollte"

Zögerlich, fast schon ängstlich hob er seine Hand und legte sie mir auf die Wange.
Ich schloss die Augen und konnte es nicht lassen, wie verrückt zu grinsen. Mein Bauch kribbelte vor Aufregung.

Ich konnte fühlen, wie er mir immer näher kam. Wie er seine Stirn an meine legte; seinen warmen Atem auf meiner Haut.
Ich legte meine Hand auf seine Brust und spürte, wie unglaublich aufgeregt er war.
Doch er schien sich nicht zu trauen, mir noch näher zu kommen.

Mein Herz sprang mir beinahe aus der Brust, als ich schließlich die Initiative ergriff und den letzten Abstand zwischen uns überbrückte.

Ich küsste ihn. Ich tat es tatsächlich.

So lange hatte ich von diesem Augenblick nur träumen können, doch nun wurde er zur Realität.

In meinem Bauch explodierte ein kleines Feuerwerk aus Glücksgefühlen.
Der Kuss war sanft, doch von Emotionen gefüllt. Es war unsere Art und Weise unsere innigen Gefühle füreinander zu zeigen, da Worte einfach nicht ausreichten.

Wobei wir allerdings beide keine Ahnung vom Küssen zu haben schienen. Die Nasen waren ein wenig im Weg, doch man konnte den Kopf leicht schräg legen, um dieses Problem zu lösen.

Camio bewegte seine Lippen gegen meine, anfangs schüchtern, doch mit der Zeit wurde er mutiger. Ich griff Halt suchend nach seiner Schulter, da er mich einfach umhaute.
Der Moment war wunderschön. Er war wunderschön.

Als wir uns voneinander lösten, sah ich in wässrige Augen.

„Warum weinst du?"

„Das sind Freudentränen"

Er wischte die nassen Tropfen weg und lächelte. Es war ein hundert Prozent echtes Lächeln und schöner als alles, was ich je gesehen hatte.

„Du machst meine Welt gerade um einiges bunter, Cassiel"

Und was er dann sagte, hüllte mein Herz in eine wohlige Wärme und ließ mich vor Freude strahlen.

„Ich liebe dich"

Und weil es so schön war, küssten wir uns gleich noch mal, dieses Mal leidenschaftlicher.
Ich blendete die Umwelt vollständig aus, da sie in jenem Augenblick an Bedeutung verlor. Es gab nur noch Camio und mich in unserer eigenen, kleinen Welt, als würde die Zeit für einen Moment stehen bleiben. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass Camio der einzige war, dem hierbei die Tränen kamen. Ich hätte nie gedacht, dass mein erster Kuss so emotional werden und zudem an diesem ganz besonderen Ort passieren würde.

Ich schlang die Arme um ihn und zog ihn noch näher an mich heran. Ich wollte nicht, dass dieser Moment je wieder vorbei ging. Ich wollte ihn für immer in meinen Armen halten und nie wieder los lassen. Wir waren zwei komplette Gegensätze und doch konnten wir nicht ohne einander. Wie Nord- und Südpol eines Magneten sich anzogen, so trafen unsere Lippen immer wieder aufeinander.  Meine Gefühle spielten völlig verrückt, verrückt nach ihm.
Wir waren ein Herz und eine Seele.

Bei ihm fühlte ich mich wohl, sicher und geborgen, so, wie sich Zuhause anfühlte. Ich glaubte, nun endlich meinen Platz in dieser Welt gefunden zu haben, wenigstens zum Teil. Das einsame Puzzleteil passte noch immer nicht in das Puzzle, doch es hatte ein zu ihm passendes Teil gefunden, welches seinen Platz ebenso noch suchte.

Und da merkte ich: es war okay nicht zu wissen wohin mit sich. Früher oder später würden wir es noch herausfinden.

Als wir uns voneinander lösten, war die Sonne bereits vollständig untergegangen und ein sterngesprenkelter Himmel erstreckte sich über uns in die Unendlichkeit.

„Das war..."

„Wow...", vollendete er meinen Satz. Waren es die Sterne, die sich da in seinen Augen widerspiegelten oder funkelten sie tatsächlich so?...

Du bist nicht alleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt