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Thure verfluchte das nasskalte Wetter Englands. Selbst Mitte März war in diesem Jahr von Frühling noch nichts zu spüren. Bei Temperaturen von knapp über Null drang einem die feuchte Luft unaufhaltsam durch sämtliche Kleiderschichten. Dieses Scheißwetter passte hervorragend zu seiner Stimmung.

Weil er sein überschäumendes Temperament und seine Wut nicht in den Griff bekam, hatte Rhíg ihn auf die Britischen Inseln abkommandiert, um ihn aus der Schusslinie zu bringen.

Ausgerechnet hierher!

Selbst Nowosibirsk wäre ihm lieber gewesen.

Aber wenigstens hatte er es geschafft seinem König gegenüber den Mund zu halten, - so blöd sich mit einem der letzten reinblütigen Vampire anzulegen war er dann doch nicht.

Thure unterdrückte ein Knurren und konzentrierte sich auf den Flüchtigen, der knapp 100 Meter vor ihm durch die dunklen Straßen sprintete.

Er würde diesen Auftrag hier schnellstmöglich abschließen und dann konnte ihn das Vereinigte Königreich mal kreuzweise.

Das er diesen Einsatz – wiedereinmal– auf eigene Faust und entgegen der Anweisung seines Truppführers unternahm, bereitete ihm kein Kopfzerbrechen. Schließlich wollte er nicht Angestellter des Monats werden.

Er brauchte den Rausch der Jagd, den Adrenalinschub eines guten Kampfes, am besten mit etwas oder jemandem, der auch zurückschlug. Nur so konnte er das unbändige Wüten in seinem Inneren einigermaßen unter Kontrolle halten. Sex war natürlich auch eine Möglichkeit zum Aggressionsabbau, allerdings gestaltete es sich schwierig eine Vampirin für ein freizügiges und unverbindliches Arrangement zu finden. Willige Menschenfrauen gab es genug, nur reagierten diese meist recht schreckhaft, wenn im Eifer der Leidenschaft sein bissiges Naturell zum Vorschein kam, selbst wenn er für den Spaß bezahlte. Und eine Frau in Trance zu nehmen kam für ihn überhaupt nicht in Frage. Das kam gleich nach Leichenfledderei.

Sein Zielobjekt hangelte sich eine Feuerleiter empor und sprang dann vom ersten Absatz auf das Flachdach eines Anbaus. Mit wehenden Mantelschössen hetzte der Typ über die knirschende Kiesschicht.

So ein Idiot. Nicht mal um die Straßenbeleuchtung kümmerte er sich.

In deren milchigem Schein war die fliehende Gestalt gut zu erkennen. Thure lief weiter, nutzte einen parallel zum Gebäude geparkten protzigen SUV als Treppe und donnerte über Motorhaube und Autodach. Mit einer Sprungrolle katapultierte er sich auf den Anbau. Die Alarmanlage des Wagens kreischte los, doch bevor die ersten Neugierigen auf der Bildfläche erschienen war er schon längst über die hintere Mauer wieder nach unten und mit seinem Kontrahenten im Gewirr der finsteren Nebenstraßen verschwunden.

Ersatzbank – was für ein Schwachsinn. Nur weil er diesem Oberschnösel von Clanvorsteher auf die frisch pedikürten Füße getreten war.

Zur Hölle auch, er hatte andere Prioritäten als die Befindlichkeiten dieser polierten Aristokratenärsche. Die hochwohlgeborenen Herrschaften glaubten wahrscheinlich ernsthaft daran, dass ein Werwolf sich mit einem 'Kusch' verscheuchen und ein Ghul sich von einer vornehm gerümpften Nase abschrecken ließ.

Es oblag den Schattenkriegern im Verborgenen über das Wohl des Vampirvolkes zu wachen.

Als Todesschatten brachte Thure Tod und Verderben über ihre Feinde. Er entstammte einem alten Kriegergeschlecht und der Kampf war sein einziger Lebensinhalt.

Aus diesem Grund hatte er auch nicht das geringste Einsehen für Branors Befehl die heutige Nacht im Stützpunkt der Truppe abzusitzen.

Auszeit! Pah!

Night Nation - FeuernachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt