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Ava stöhnte verärgert.

Grimsby und sein Ekelenkel waren endlich abgefahren und sie verspürte das dringende Bedürfnis heiß zu duschen. Doch Leroy hatte das Stalltor sperrangelweit offen gelassen und auch wenn der Regen langsam nachließ, wehte er doch ungehindert hinein. Dieser Arsch.

Sie war hinüber gelaufen, um es zu schließen und aus dem Schuppen hörte sie seltsamerweise... nichts. Ihre Tiere empfingen sie für gewöhnlich lautstark. Argwöhnisch betrat sie das Gebäude. Ihre zwei Esel beäugten sie vorwurfsvoll.

Hey, ich habe eure Freunde nicht verkauft, dachte sie schuldbewusst.

Die Schafe standen dicht zusammengedrängt im hinteren Teil ihres Pferches, die Lämmer versteckt in ihrer Mitte. Rusty lugte bäuchlings unter dem Gatter hervor.

Was stimmte hier nicht?

Eventuell lag es an dem Fremden, der in der Futtermittelnische auf dem Boden saß und eine großkalibrige Pistole auf sie gerichtet hielt.

Der Käsekuchen in ihrem Magen versuchte den Rückwärtsgang einzulegen.

Das war's jetzt gewesen. Aus die Maus und Ende Gelände.

Doch statt 'Hände hoch, sie sind verhaftet...bla, bla ... Anwalt ... und so weiter' hörte sie nur ein gezischtes: „Keinen Mucks!"

„Ich sag' ja gar nichts", antwortete ihr Mund, bevor ihr Gehirn reagieren konnte.

Der Mann starrte sie aus einem tiefblauen Auge an. Das andere war zugeschwollen und blutverkrustet. Überhaupt machte er einen ziemlich lädierten Eindruck. Nasse Strähnen dunklen, mahagoniefarbenen Haares hingen ihm ins Gesicht. Eine schmutzige Lache aus Blut und Dreckwasser bedeckte den Boden um ihn.

Wenn er nicht zu einem Sondereinsatzkommando gehörte, welches ihren Bauernhof stürmen wollte, war er vielleicht ein Mafiakiller? Das würde seine Aufmachung und das Waffenarsenal erklären, mit dem er behängt war.

Ob Leroy ihn so zugerichtet hatte? Sehr unwahrscheinlich. Der Fremde strahlte eine düstere Bedrohung aus. Trotz seines angeschlagenen Zustandes würde er den Wurm einfach beiseite wischen. Auch wenn er barfuß war. Momentmal – barfuß? Welcher Gangster lief bei dem Wetter barfuß herum?

Sie musste dringend ihren Tee überprüfen.



Was für eine vertrackte Situation. Thure konnte seinen Arm nur mit Mühe oben halten. Die Frau zeigte sich nicht im Mindesten beeindruckt. Dabei konnte sie unmöglich wissen, dass seine Waffe nicht geladen war. Es war zwar schön, dass sie nicht schreiend davon lief, aber so eine stinknormale, kleine Ohnmacht war doch nicht zu viel verlangt.

„Wer ist noch alles hier?"

Sie blinzelte mehrmals, als müsste sie sich von seiner Anwesenheit überzeugen.

„Hier?...also da haben wir Lisa und Luigi, der Feigling da unten ist Rusty und die Mäh-Brigade heißen alle Wolle", erklärte sie vollkommen ernst.

„Ich meine Zweibeiner", knurrte er ungehalten.

„Achso, ja so an die dreißig Hühner habe ich auch noch. Die Eier verkaufen sich richtig gut."

Mit ihren großen lavendelfarbenen Augen begutachtete sie ihn völlig ungeniert.

„Brauchen Sie einen Arzt?"

„Klappe!" Seine SIG Sauer wurde immer schwerer.

„Wenn Sie mich erschießen müssen Sie sich um die ganze Bande kümmern und Roccos Blümchen gießen", meinte sie und machte eine abwartende Pause. „Soll ich eventuell einen Verbandskasten holen oder wollen Sie hier fröhlich weiter verbluten?"

Thure gab auf und ließ den Arm sinken. Vor seinem Auge verschwamm alles. Er würde noch nicht mal die Knarre nach ihr werfen können.

„Ich deute das mal als ein Ja", ließ sie ihn wissen und ging einfach.

Na Klasse, vermutlich kam jetzt gleich die ganze Großfamilie um die Ecke, um ihn mit Beil und Harke zu erschlagen.



Ava lief wie in Trance zurück ins Wohnhaus. In Zukunft würde sie Sonntags wieder zur Kirche gehen. Versprochen, lieber Gott, nur lass mich jetzt bitte in meinem Bett aufwachen und diesen Tag nochmal von vorn beginnen.

Dabei war sie letzte Nacht nicht mal ausgegangen. Im von ihr bevorzugten El Diablo verbrachten die meisten Besucher die Nacht zugedröhnt bis zur euphorischen Glücksseligkeit. Tatsächlich gab es hier nur halb so viel Aggressionspotential wie beim Sale im Shopping-Centre.

Es war ein Tummelplatz für Leute, die ihre geheimen Fantasien ausleben wollten. Vorrangig in Lack und Leder. Oder mit Schwanz und Hörnern. Hin und wieder traf man auch ein paar Klingonen.

Obwohl ihr große Menschenmassen eigentlich zuwider waren, brauchte sie paradoxerweise hin und wieder körperliche Nähe. Und das wortwörtlich. In ihrer selbstauferlegten Einsamkeit hatte sie ihren Seelenfrieden, aber ihr körperliches Befinden baute dabei kontinuierlich ab. Durch die Berührung anderer Menschen lud sie ihre Akkus wieder auf. Dabei übernahm sie oft kurzzeitig Fähigkeiten oder Vorlieben ihrer Partner. Nach einer schnellen Nummer mit dem DJ konnte sie eine Woche lang perfekt Spanisch. Und nach einem Date mit einem Steampunk-Fetischisten hatte sie sich alle Jules Verne Bücher gekauft.

Es war gruselig.

Ihr unbekannter Gast war aber kein übernommenes Fantasieprodukt. Was sollte sie mit ihm anfangen? Der Mann war verletzt und brauchte Hilfe.

Hat er aber nicht gesagt.

Unentschlossen starrte Ava ihren Küchenschrank an.

Wenn du den Notarzt rufst, informieren die die Polizei und wo willst du ein ganzes Gewächshaus verstecken?

Womöglich gehörte er zu Roccos Truppe und war abkommandiert, um sie im Auge zu behalten. Das erklärte aber nicht seinen Zustand.

Was für ein Mist!

Sie könnte einfach abwarten. Wenn sie das offene Tor nicht gesehen hätte, wäre sie gar nicht rüber gelaufen.

Ja, hätte der Hund nicht geschissen, wär auch kein Haufen da.

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Wie wird es mit den beiden weitergehen?

Wird Ava Thure helfen?

Und welche Geheimnisse verbergen sie voreinander?

bleibt gespannt, nächste Woche geht's weiter



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