16

23 6 0
                                    


„Du siehst echt beschissen aus, Bruder."

Auf diesen aufbauenden Kommentar von Simon antwortete Raffael mit einem herzlichen: „Leck mich!"

Was Simon zu einem leisen Lachen veranlasste.

Der Mistkerl lehnte völlig entspannt im Fahrersitz des schwarzen BMW X7, eine Hand am Lenkrad, die andere lässig auf dem Oberschenkel, während sie mit vorschriftsmäßigen 70 mph über die Stadtautobahn rauschten.

Trotz der getönten Scheiben, seiner Sonnenbrille und den geschlossenen Augen fuhren Raffael die Lichter der anderen Fahrzeuge und der aufdringlichen, bunten Reklameanzeigen an den Gebäuden neben der Straße wie Messerstiche ins Hirn. Seit er am frühen Abend mit einer leeren Whiskeyflasche im Bett und einer weiteren auf dem Boden aufgewacht war, versuchte eine Schar arbeitswütiger Zwerge in seinem Kopf mit Hammer und Meißel einen Verbindungstunnel von einem Ohr zum anderen zu schlagen. Der Weg zur Dusche war wie ein Lauf über die Planken eines Segelschiffs gewesen, bei Windstärke zehn.

Simon spielte an den Knöpfen des Autoradios und mit einem Mal donnerten die Anfangbeats von Survivors Eye Of The Tiger durch den Wagen.

„Also die 80iger sind doch immer noch die Besten, oder?" Er wechselte auf die Überholspur und ließ den V8 Motor schnurren.

Raffael fletschte mit einem gequälten Fauchen die Zähne. Die Zwerge in seinem Kopf hatten die Fäustel fallengelassen und zu den Bohrhämmern gegriffen.

„Okay, okay", grummelte Simon und drehte die Musik aus. „Wenn du kotzen musst sag rechtzeitig Bescheid, ich kann hier nicht mal eben links ranfahren."

Raffael wollte sein Gehirn nicht mit der Suche nach zusammenhängenden Wörtern überfordern und streckte seinem Partner nur die geballte Faust entgegen. Simon erwiderte die Geste und verkniff sich weitere Bemerkungen.

Wofür ihn Raffael hätte küssen können. Wäre ihm nicht so schlecht.

Andererseits kannten sie sich bereits eine halbe Ewigkeit und  verstanden sich auch ohne große Erklärungen.

Bei Joshua würde er sich etwas mehr anstrengen müssen. Der Junge hatte es nicht verdient, so von ihm angepöbelt zu werden. Auch wenn er aus einer der angesehendsten Familien der Oberschicht stammte, hatte er nie das scheinheilige, blasierte Getue der Crème de la Crème der Schnöselprominenz gezeigt.

Joshua war ein intelligenter und zuverlässiger Partner, der ohne zu murren auch die banalsten oder schmutzigsten Aufträge ausführte. Außerdem hatte er Sol zu seiner Partnerin erklärt, was für seine Familie ein ziemlicher Affront gewesen sein dürfte. Eine Frau, die Waffen trug und damit auch kämpfte und einen Kleidungsstil a la Barb Wire bevorzugte, war für die gehobene Klasse der Moralapostel und Sittenwächter absolut inakzeptabel.

„Wie sieht's aus Schatzie, bereit zum um die Häuser ziehen oder sollen wir noch ein bisschen Händchen halten im Auto?"

Raffael blinzelte erstaunt. Sie waren tatsächlich schon im Szene-Viertel angekommen. Beim ersten Mahl am frühen Abend hatten sie beschlossen, sich aufzuteilen und nochmals die Umgebung von Thures letztem bekannten Aufenthalt abzusuchen. Nach inzwischen zwei Tagen ohne ein Lebenszeichen von ihm waren alle mehr als besorgt.

„Alles klar." Raffael war froh, dass die anderen die Clubs übernahmen. Nach dem Aussteigen blieb er noch am Wagen stehen um zu prüfen, wie schnell die Erde sich drehte. Simons hellblaue Augen funkelten ihn über das Autodach an.

„Ich empfehle dir die Luft anzuhalten, wenn du in die Nähe eines offenen Feuers kommst", teilte er ihm mit todernster Miene mit.

Raffael streckte den Mittelfinger durch und stiefelte los.

Night Nation - FeuernachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt