Poltergeist - 2

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Lincoln landete gerade bäuchlings auf dem Boden, als der Knall der Explosion auch schon durch das Zimmer fetzte. Er hörte Holz bersten und einen schrillen Schrei ganz nahe bei sich. Penny?

Er wandte den Kopf zur Seite und beobachtete die Zerstörung, die er angerichtet hatte - nicht ohne eine gewisse Faszination. 

Im ganzen Zimmer züngelten grelle, rötliche Brandherde aus Buchrücken und Bodendielen. Flammenzungen, lang wie Hände, stießen dort hervor, wo er vorhin noch sorgsam die Bomben platziert hatte – inmitten einer beißend nach Lavendel und Kardamom riechenden, wachsartigen Lacke. Am Boden unter der Falle wich das Holz jetzt einem Loch, nein, vielmehr einem Krater aus zu feiner Kohle verarbeiteten Holz-Resten.

Kurz: der erste Testlauf hatte sich schon einmal als erfolgversprechend herausgestellt. Nichtsdestotrotz nahm Lincoln mental Notiz davon, beim nächsten Mal etwas umsichtiger zu mischen. Schwarzpulver an sich war zwar eine gute Sache, doch teuer, und manchmal war wohl weniger tatsächlich mehr. Gerade in geschlossenen Räumen...

„Regin?" Lincoln wandte den Kopf nach hinten und blickte auf das rote Bündel Stoff mitten im Gang zurück.

Inmitten der ganzen Aufregung lag Regin seelenruhig herum - bloß wenige Schritte zwischen Lincoln und dem größten Brandherd. Die burgunderfarbene Kaputze seiner Robe lag ihm quer übers Gesicht und ein leises Stöhnen war daraus zu vernehmen. Die Spitze des roten Stoffes kokelte am Rande des Feuers und rauchte kontinuierlich ein kleines Rauchfähnchen vor sich hin. Ansonsten von dem leichten Brandfleck auf der Kleidung schien sein Bruder jedoch von Kopf bis Fuß unversehrt von der Explosion geblieben zu sein. Nun ja, abgesehen von der hässlichen Beule auf seiner Stirn natürlich - aber die zählte strenggenommen ja nicht, die hatte er schließlich schon vorher.

Lincoln atmete erleichtert auf. Welches Schutzzeichen Regin wohl auch immer über sich gewirkt hatte, es hatte ihn sowohl vor der Hitze des Feuers, als auch der unmittelbaren Wucht der Explosion bewahrt. Womöglich war es aber auch die Tatsache, dass Regin so weit unten lag. Denn eigentlich wirkten Schutzzeichen der ersten Stufe nur, wenn sie gegen eine Schadensart gerichtet waren. Feuer und Bratpfannen-Hiebe mochten da wohl eher in unterschiedliche Kategorien fallen.

Die Schreie intensivierten sich. Sie hatten jetzt einen anderen Unterton, waren höher und deutlich unangenehmer auf der Haut.

Lincoln hörte, wie ein Regal umgestoßen wurde. Diesmal konnte er ihren Ursprung eindeutig ausmachen: Aus dem Augenwinkel erspähte er Penelope, die sich mit dem auf sie übergreifendem Feuer abmühte und wild umherfuchtelnd darum kämpfte, die vielen aufkeimenden Flammen an ihrem Körper totzuschlagen. Allen Versuchen zum Trotz, war Ihre Geistergestalt bereits ein Flickenteppich aus dem knallend hellen Rot des Feuers und ihrer eigenen, dimm bläulich schimmernden, blassgrauen Haut.

Lincoln beobachtete, wie Penelope in ihrer Panik, auf eine Bücherwand zurannte und mit materialisiertem Rücken gegen selbige prallte. Die ganze Konstruktion kippte und löste - wie ein gigantischer Dominostein - eine Kettenreaktion an herabfallenden Bücherregalen aus. Penelope selbst flog indes japsend zu Boden, wo sie begann, nun willkürlich hin und her zu rollen – wohl um auch die letzten hartnäckigen Flammen zum Ausgehen zu bewegen.

Autsch, Lincoln verzog das Gesicht: Das hatte sicher weh getan. Er beschloss, das nächste Mal noch eine Unze mehr vom Schwarzpulver wegzunehmen.

Lincoln wollte sich gerade aufmachen, ihr zu helfen, als ihn irgendetwas zurückhielt. Mit gerunzelten Brauen beobachtete er die Szenerie um Penny noch eine halbe Sekunde länger, bevor es ihm auffiel: Es war der Schrei! Irgendetwas an dem Schrei, den sie zu Beginn ausstieß, als sie das Feuer an sich bemerkte schien ihm... falsch zu sein. Ihre jetzigen Rufe verursachten tatsächlich Gänsehaut bei ihm. Doch es schien ihm nicht, als würde Penny, die das Feuer inzwischen schon fast gelöscht hatte, vor Schmerzen schreiebn. Es klang eher nach Wut. Ungeheuerlicher, unnachgiebiger Wut.

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