Duzen ist Pflicht bei uns

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Martina griff nach ihrem Smartphone, was den üblichen Alarmton machte, an den sie sich mittlerweile gewöhnt hatte. Heute fiel ihr das Aufstehen zum Glück leichter als in den letzten Tagen, denn heute stand ein besonderer Tag bevor. Ein nicht besonders schöner, aber ein besonderer. Aber zunächst stand Arbeit auf dem Plan. Mit ihrer Stelle als Kriminalhauptkommissarin bei der der Soko Stuttgart ist für sie ein großer Traum wahr geworden. Wenn nicht sogar ihr größter. Sie liebt ihren Beruf, aber vor allem ihre Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie schon so viel erlebt hatte. Jo gehörte dabei zu ihrem Liebsten. Mit ihm führte Martina schon seit einigen Jahren eine wunderbare Freundschaft.

Zum Glück hatte Martina bereits in den letzten Tagen alle Vorbereitungen für den heutigen Umzug geplant, sodass der Tag bereits voll durchgeplant war und alles in der Zeit zu schaffen sein sollte. Ordnung und Planung gehörten zu Martina's größten Stärken, weswegen sie noch nie in Zeitnot geraten war, oder aber je einen Termin verplant hatte. Sie nahm ihr Smartphone, entsperrte es, und schaltete ihr WLAN an. Menschen, die ihr WLAN über Nacht nicht ausschalteten, hatte sie noch nie verstanden. „Wollen die Leute sich wirklich noch nachts der nicht ungefährlichen hochfrequenten elektromagnetische Felder aussetzen?", dachte sie, und schüttelte abwertend den Kopf. Erst letztens hat sie eine Studie darüber gelesen, wie viel Strahlung ein Mensch tagtäglich ausgesetzt ist. Mit diesem Wissen kann sie eine eingeschaltete WLAN-Verbindung in ihrem Smartphone nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren. Sie hatte sogar schon überlegt, ganz auf ihr Smartphone im Schlafzimmer zu verzichten, hatte jedoch schnell gemerkt, dass sie der Smartphonesucht bereits verfallen war. Martina öffnete also WhatsApp und beantwortete alle angefallenen Nachrichten, welche sie über den gestrigen Tag nicht mehr beantworten konnte, weil sie einfach zu müde gewesen war, um noch mehr Text aufzunehmen. WhatsApp Nachrichten zu beantworten gehörte so wie so noch nie zu ihren Stärken. Der einzige, mit dem sie schon immer regen Kontakt pflegte, war ihr bester Freund Jo. Sie beschloss seine Nachricht vorerst zu ignorieren, da sie ihn so wie so gleich auf Arbeiten sehen würde. Sie öffnete als nächstes Instagram und scrollte für zehn Minuten durch ihren Feed. Das brauchte sie jeden Morgen, um noch ein wenig Zeit für sich zu haben, bevor sie sich in den Tag stürzte. Ja, auch sie musste zugeben, dass Instagram nicht das Schlechteste war, auch, wenn die 54 jährige sich anfangs dagegen sträubte und davon nichts wissen wollte.

Danach legte sie ihre Bettdecke schwungvoll beiseite, zog ihren Bademantel über und ging's ins Badezimmer. Nachdem sie sich fertig gemacht hatte, ging sie in ihre Küche, nahm ihre Wasserflasche und verlies das Haus. Frühstücken und Kaffe gab es immer erst im Büro. So früh konnte sie so wie so noch nichts trinken, geschweige denn essen.
Im Büro angekommen, sah sie Rico bereits auf seinem Bürostuhl sitzen, der sie mit einem freundlichen Nicken begrüßte. „Guten Morgen, Martina." Martina lächelte ihn an und setzte sich vor ihn halb auf den Tisch. „Guten Morgen, Rico. Schon so früh im Büro? Hast du unser letztes Gespräch über gesunde Arbeitszeiten bereits vergessen?" Rico antwortete ihr in seinem typischen neutralen Ton: „Seit wann haben wir es bei unserem Job mit gesunden Arbeitszeiten zu tun?" „Touché Rico.", erwiderte Martina und formte ihren Mund dabei zu einem Halbkreis. „Nein aber im Ernst, gönn dir Pausen, bitte. Die sind wichtig. Besonders in deinem Alter." Rico starrte sie verdutzt an. „Aber du bist doch viel älter als ich. Warum sollte ich also besonders darauf achten?" In diesem Moment betrat Jo das Büro: „Dafür bist du aber deutlich langsamer beim Denken, du Pfeife." Martina lächelte Jo zu. „Ich hoffe ihr habt Hunger. Ich habe unterwegs Brötchen besorgt." Martina setzte sich auf und konnte ihre Freude auf ihren ersten morgendlichen Kaffee kaum verbergen: „Jemand Kaffee dazu?". Während Jo ihr signalisierend zunickte, saß Rico immer noch verdutzt an seinem Schreibtisch. Jo und Martina wollten gerade Ricos Büro verlassen, also Jo sich noch einmal zu Rico umdrehte: „Rico? Sarkasmus." Rico wollte gerade etwas erwidern, als Jo ihm bloß zuzwinkerte und Martina in die Küche folgte. Rico war schon immer etwas besonders gewesen, aber genau das liebten alle so an ihm. Während er einer der klügsten Köpfe im Team war, verstand er von menschlicher Interaktion, geschweige denn von Sarkasmus, herzlich wenig. Rico erhob sich von seinem bequemen Bürostuhl und folgte nun auch den beiden in die Küche. „Gibts schon was neues von unserer neuen Kollegin?", warf Jo in den Raum. Martina verschluckte sich beinahe an ihrem heißen Kaffee. „Neue, eh, neue Kollegin?" „Ja", antwortete Jo, „Heute sollte doch ihr erster Arbeitstag sein. Ich dachte, sie wäre schon längst hier." „Oh, das muss ich wohl vergessen haben", entgegnete ihm Martina. Bei dem Stress in den letzten Tagen, hatte Martina einfach keinen Kopf, auch noch darüber nachzudenken. Sie und Richard waren nun schon acht Wochen getrennt und Martinas Auszug aus dem gemeinsamen Haus fiel ihr nach 15 Jahre Ehe absolut nicht leicht. Die beiden hatten sich die letzten Jahren einfach auseinandergelebt. Es war einfach besser für jeden, zum mindest hatten sie das so besprochen. Sie hatten allerdings auch besprochen, noch weiterhin füreinander da zu sein und sich gegenseitig zu unterstützen, und dennoch ignorierten sie sich die letzten Wochen komplett. Beide. Das wird alles noch besser, versuchte sich Martina einzureden. Aber insgeheim wusste sie, dass eine Trennung nie ohne Streit verlaufen konnte. Ihr Gedankengang wurde unterbrochen, als eine junge Frau den Raum betrat. „Wow.", flüsterte Jo, und Martina ertappte sich dabei, dem nicht widersprechen zu können. Die Frau hatte braune, mittellange Locken, die zu einem leichten unteren Zopf gebunden waren. Ihre leicht ausgewaschenen Jeans passten sich perfekt ihren Beinen an. Dazu trug sie ein weißes Shirt mit einer Jeansjacke darüber. Martina fasste sich wieder, als die Frau ihnen mit einem freundlichen Lächeln entgegentrat: „Guten Morgen zusammen. Ich bin Selma Kirsch, Ihre neue Kollegin.". Als Martina mit einem einfachen „Du." antwortete, schaute sie die ihr gegenüberstehende Frau nur verdutzt an: „Bitte?". Jo ergriff nun das Wort und gab seiner neuen Kollegin zu verstehen, dass man sich hier unter Kollegen duzte. Nachdem alle Soko Mitglieder sich nacheinander vorstellten, streckte auch Martina ihre Hand aus und begrüßte Selma mit einem bestimmten, aber freundlichen „Guten Morgen." Selma erwiderte ihr Lächeln mit einem breiten Grinsen. Nun kam auch Kaiser, der Leiter des Polizeipräsidiums, in den Raum gestolpert. Das war nichts Neues, denn Michael Kaiser, den alle nur „Kaiser" nannten, kam nicht zum ersten Mal zu spät. Es war also Zeit für die wöchentliche Besprechung. Martina und die anderen vom Team gingen gemeinsam mit ihrem Kaffee in der Hand in den Besprechungsraum, um den neusten Fall und das Vorgehen zu besprechen.

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