Noch etwas perplex von Martinas Reaktion, stieg Selma aus dem Umzugswagen aus. Sie wagte noch einen letzten Blick in Richtung ihrer blonden Kollegin, doch diese schaute nur starr gerade aus. Schade. Selma hatte Martina wahrscheinlich doch etwas falsch eingeschätzt. Wobei...Wenn sie an ihre Coming-out Zeit dachte, dann hatte auch sie mehrere Rückschläge und Zweifel daran, wie es ihr mit der Information gehen sollte, dass sie auf Frauen zu steht. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, war diese Erkenntnis für sie anfangs auch sehr befremdlich. Sie würde Martina jetzt erst einmal in Ruhe lassen und das Thema nicht mehr ansprechen. Wenn sie darüber sprechen wollte, dann würde sie sich schon bei ihr melden. Oder bei Jo. Aber insgeheim wünschte sie sich, dass sie mit ihr darüber sprechen würde.
Selma konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als sie Martina das erste mal gesehen hatte. Das war nämlich der Tag, an dem sie nach Stuttgart gezogen war. Selma war abends in die Stadt gegangen, um sich die Bars, die Stuttgart zu bieten hatte, anzuschauen. Außerdem war sie dort mit einem ehemaligen Schulfreund verabredet, der bereits seit einigen Jahren hier in Stuttgart lebte.
Eigentlich war sie eher eine Person, der ihr Sofa zu Hause genug war - mit einem Wein in der Hand und einem guten Film oder einer guten Serie. Aber ab und zu brauchte sie auch das Nachtleben. Einfach mal abschalten, die gute Musik genießen und tanzen. Das Tanzen liebte sie schon ein kleines Kind und Jugendliche. Früher war sie sogar in einer Tanzgruppe gewesen, aber da sie dort nie wirklich dazugehört hatte, war sie dort nicht lange geblieben. Also verbrachte sie den Großteil ihrer Freizeit damit, in ihrem Zimmer zu ihrer Lieblingsmusik zu tanzen. Als sie dann endlich 18 wurde, war sie zusammen mit ihrer besten Freundin immer im Nachtleben in ihrer Heimatstadt unterwegs. Später wurde diese beste Freundin dann zu ihrer Freundin. Selma hatte bereits mit 15 Jahren eine Ahnung, dass sie Frauen bevorzugte, doch sie konnte ihre Gefühle nie so richtig einordnen. Sie wusste immer, dass da etwas war, konnte es aber nicht greifen. Andrea war ihre erste feste Freundin gewesen, doch ihre Beziehung war in die Brüche gegangen, als beide nach dem Abitur eigene Wege gegangen waren. Seitdem hatte Selma ab und zu Affären, aber nie etwas festes. Aber das war absolut okay für sie, denn sie hatte bisher noch nicht das Bedürfnis, sich fest zu binden.Die Bar war an dem Abend sehr voll, denn es war Freitag und gefühlt alle Menschen in Stuttgart wollten ihren Alltag hinter sich lassen und sich ins Nachtleben stürzen. Sie setzte sich in die nähe der Barfrau und wartete dort auf ihren Freund. Von dort hatte sie auch einen guten Blick auf die zwei Frauen, die miteinander tanzten. Eine davon, war Martina. Die beiden waren nicht zu übersehen, denn sie waren, zusammen mit einem anderen Pärchen, die einzigen, die tanzten. Martina wirkte an dem Abend sehr sehr locker und schien sich überhaupt nicht dafür zu interessieren, was andere Menschen über sie dachten. Umso mehr wunderte sich Selma über ihre heutige Reaktion. Selma beobachtete die beiden für eine Weile und konnte ihren Blick einfach nicht von der blonden Frau abwenden. Die Art wie sie sich bewegte, war einfach so wunderschön. Sie hatte ein Gefühl für den Rhythmus der Musik - auch, wenn man ihr das nicht direkt ansah, denn sie trug einen Hosenanzug. Ungewöhnlich, dachte Selma in diesem Moment. Aber nun, da sie Martina ein kleines bisschen kannte, konnte sie es besser nachvollziehen. Irgendwie passte es zu ihr. Und gut sah sie darin auf jeden Fall aus. Irgendwie gab ihr das einen unnahbaren Touch, und das mochte Selma. Ja, sie musste zugeben, dass sie ein klein wenig für die Kriminalhauptkommissarin schwärmte. Sie beobachte die beiden Frauen weiterhin, als sie sah, dass Martina das Gesicht ihrer Begleitung in ihre beiden Hände nahm und sie innig küsste. Selma musste sich ein Schmunzeln unterdrücken, denn die beiden waren einfach nur zu süß anzusehen. Und dass sie etwas angetrunken waren, war offensichtlich.
Selma entfernte sich vom Umzugswagen und holte ihren Schlüssel aus ihrer Tasche. Martina wartete noch in ihrem Wagen bis ihre brünette Kollegin in der Haustür verschwunden war und fuhr dann los.
Selma ging direkt unter ihre Dusche. Sie liebte es sich direkt nach einer warmen Dusche ins Bett zu legen. Dort grübelte sie noch sehr lange über das Gespräch mit Martina. Sie hatte versucht, sich mit Tierdokus abzulenken, das machte sie immer, wenn sie nicht direkt einschlafen konnte, doch heute half auch das nicht. Manchmal schlief sie dabei sogar ein und wachte den nächsten Morgen mit ihrem Handy vorm Gesicht auf. Sie scollte noch etwas durch Instagram, ging auf die Suchfunktion und tippte Martina Seiffert ein. Und tatsächlich wurde sie fündig. Auf ihrem Profilbild war Martina nicht sofort zu erkennen, denn sie war von hinten fotografiert, wie sie in den Sonnenuntergang blickte. Doch den kurzen blonden Bob erkannte Selma sofort. Und ihre Haltung. Martina hatte diese ganz besondere Haltung, die sie so stark aussehen lässt. Sie hatte bisher noch nichts gepostet und Selma zwang sich, nicht auf folgen zu klicken, denn sie wollte von Martina nicht als Stalkerin gehalten werden.
Selma stellte sich noch den Wecker für den nächsten Morgen und die Lautstärke ihres Handys auf Anschlag. Ihr WLAN ließ sie prinzipiell an. Man konnte nie wissen, wer in der Nacht ihre Hilfe brauchte, und da sie einen so festen Schlaf hatte, brauche es einige Dezibel, bis sie wach wurde.Am nächsten Morgen, beschloss Selma mit dem Fahrrad zum Revier zu fahren. Schließlich konnte sie gestern ihre Joggingrunde nicht zu Ende laufen. Also musste sie das heute, zusätzlich zu ihrer morgendlichen Runde, kompensieren. Sie schloss ihr Rad an und sah, wie Martina mit dem Auto neben ihr einparkte. Selma wartete noch auf ihre Kollegin. Ob das so eine gute Idee war, würde sich herausstellen, denn nach gestern Abend war sich Selma unsicher, wie Martina heute auf sie zu sprechen war.
Martina sah etwas müde und durcheinander aus, als sie aus dem Wagen stieg.
„Selma. Hast du einen kurzen Moment?" Martina wirkte sehr ernst. „Wegen gestern Abend...", fing sie an, doch Selma unterbrach sie.
„Ist schon gut Martina. Ich kann das doch verstehen. Hör mal, wenn du nicht darüber sprechen möchtest, ist das vollkommen in Ordnung. Du hast ja Recht. Wir beide kennen uns gerade erst seit einem Tag, und im Grunde genommen geht mich dein Privatleben ja auch nichts an."
„Nein nein Selma!", schoss Martina aufgeregt hervor. „Ich habe eben nicht Recht. Ich hätte dich niemals so angehen dürfen. Das war unfair und unangebracht. Es tut mir wirklich Leid." Martina schaute zu Boden, als Selma über ihre Schulter streichelte. „Martina, es ist wirklich okay. Und nachtragend bin ich auch nicht." Selma versuchte ihre Kollegin etwas aufzumuntern und zwinkerte ihr zu doch diese brach plötzlich in Tränen aus. „Nein, nichts ist okay. Du verstehst das nicht!"
„Ich kann ganz gut nachvollziehen, wie du dich fühlst, Martina, ich hab das glei-." Doch Martina lies sie den Satz nicht zu Ende sprechen.
„Sie war erst 17, Selma! 17!"
„Was? Wer?" Erst als sie das letzte Wort aussprach, realisierte Selma, wen Martina mit sie gemeint hatte. Ach du Schreck. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.
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Rot ist die Farbe der Hoffnung
DragosteRichard und Martina sind seit einigen Wochen getrennt. Selma Kirsch kommt neu ins Team der Soko Stuttgart. Nachdem Richard und Martina nun schon seit acht Wochen getrennt waren, hatte Martina endlich eine eigene Wohnung gefunden, um aus dem gemeinsa...