Prinzessin der Welt, oder: Morgenmuffel

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Nachdem die beiden Martinas Strickjacke aus Selmas Wohnung geholt hatten, verabschiedeten sie sich vor der Wohnungstür mit einem langen Kuss.
„Selma, stopp, ich möchte dir ungern widerstehen."
„Dann lass es halt." Selma lächelte sie an und küsste sie weiter.
„Ich muss wirklich los."
„Na gut, ich verstehe ja. Soll ich noch mitkommen?"
Martina überlegte. „Ich glaube das ist keine so gute Idee. Ich wollte mit Richard noch einmal in Ruhe reden, bevor ich all meine Sachen aus dem Haus geholt habe."
Selma nickte verständnisvoll und wurde plötzlich ernst.
„Was ist?", fragte Martina.
„Was ist, wenn es Richard war, der am anderen Ende der Tür stand?
Martina lachte . „Das wäre eine Katastrophe. Er hat mir schon damals bei unserer Trennung vorgeworfen, dass ich ihn wegen einer Frau verlassen hätte."
„Im ernst?" Fragte Selma geschockt.
„Ja, wahrscheinlich hatte er es insgeheim schon ein wenig geahnt."
„Und hast du?", hakte Selma nach,
„Was?"
„Na ihn für eine andere Frau verlassen?"
„Was, nein! Du bist die erste."
„Naja ..." warf Selma vorsichtig ein.
Martina rollte mit den Augen. „Zweite."
„Los jetzt geh, sonst musst du hier bleiben und mich weiter küssen." Selma öffnete die Tür, während sie Martina küsste und langsam Richtung Ausgang schob.
„Bis morgen!", verabschiedete sich Martina.
„Bis morgen!", rief Selma hinterher und schloss ihre Wohnungstür.
Als Martina an ihrem ehemaligen Haus angekommen war und klingelte, öffnete keiner die Tür. Mh, komisch. Sie hatte gestern noch mit Richard geschrieben und ausgemacht, dass sie heute vorbei kommen würde. Ihr kamen Selmas Worte wieder in den Kuss und bei dem Gedanken daran, Richard könnte die beiden gehört haben, wurde ihr ganz schlecht. Sie schob den Gedanken weg, drehte sich um, und beschloss noch eine Runde im Park spazieren zu gehen, bevor sie sich wieder auf dem Heimweg machen würde. Sie genoss die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht und fühlte sich wie auf einer Wolke. Deswegen hieß es wohl „Auf Wolke sieben schweben", dachte sie. Sie setzte sich auf eine Schaukel und begann ihre Beine auf und ab zu bewegen. Okay. Das war wirklich kitschig. Als ein Pärchen an ihr vorbeikam und sie etwas schräg ansah, beschloss Martina zum See weiterzulaufen und sich dort auf eine Bank zu setzen. Sie beobachtete, wie eine Ente mit ihren Küken an ihr vorbei schwamm. Sie liebte diesen Ort und hatte schon viele Sonntage hier mit einem guten Buch verbracht. Apropos: Sie hatte lange kein Buch mehr angefangen, und das, obwohl sie Bücher liebte. Früher als Jugendliche hatte sie Lesen gehasst. Sie konnte nicht verstehen, wie ihre Eltern im Urlaub sich einfach so auf einen Sessel setzen konnten, um in ein Buch zu starren. Wahrscheinlich war sie damals noch sehr viel unruhiger in ihrem ganzen Wesen gewesen, aber wahrscheinlich sind das alle Jugendliche, dachte sie. Wenn Menschen sie jetzt einschätzten, beschreiben sie sie immer als tiefenentspannt. Wenn die Leute nur wüssten. Martina schmunzelte etwas. In ihr sah es ganz anders aus. Es mag zwar den Anschein haben, als könnte sie nichts aus der Fassung bringen, aber in Wirklichkeit loderte in ihr das Feuer. Viel zu viele Gedanken schwirrten umher, und überhaupt hatte sie sehr viel um die Ohren, als das sie tiefenentspannt sein könnte. Sie dachte an die letzten Stunden zurück und merkte, dass Selmas Nähe ihr eine gewisse Ruhe gegeben hatte. Mal von den ganzen Schmetterlingen im Bauch abgesehen, fühlte sie sich locker und entspannt. Vielleicht lag es auch an dem Sex, den sie schon lange nicht mehr hatte. Aber Selma hatte etwas leichtes an sich, was Martina gut tat. Sie raffte sich auf und ging wieder in Richtung Auto, um nach Hause zu fahren. In ihrer Wohnung abgekommen, beschloss sie ihre noch nicht gelesenen Bücher zu durchstöbern, die schon so lange in ihrem Nachtschrank lagen. Vor einigen Jahren hatte sie angefangen englischsprachige Bücher zu lesen, um die Sprache etwas aufzufrischen. Sie brauchte dafür zwar etwas länger Zeit aber mittlerweile war sie sehr geübt und musste kaum noch Wörter nachschlagen. Ihr stach ein Buch sofort ins Auge: „The Seven Hutbands of Evelyn Hugo" von Taylor Jenkins Reid. Das Buch hatte sie schon völlig vergessen. Sie las den Klappentext und entschied sich für das Buch. Sie setzte sich auf ihr Sofa und begann zu lesen.

...
Nachdem Martina wie ein Baby sieben Stunden geschlafen hatte, klingelte nun ihr Wecker. Sie schaute auf die Uhrzeit. 5 Uhr. Uff. Sie hasste Montage. Da fiel ihr das Aufstehen besonders schwer. Wer von sich behauptete, gerne zeitig aufzustehen, musste ein Psychopath sein. Eine andere Erklärung war undenkbar.
Als sie im Revier ankam, sah sie Selma bereits auf ihrem Bürostuhl sitzen, mit einer Tasse Kaffee in der Hand.
„Guten Morgen Martina! Deiner steht schon auf deinem Tisch."
Martina war erstaunt. „Oh danke dir! So werde ich gerne auf Arbeit begrüßt." Sie warf Selma ein Lächeln zu. Eigentlich wollte sie Selma am liebsten in den Arm nehmen und knuddeln. Küssen. Ihr all die Liebe geben, die sie zur Verfügung hatte. Sie würde es tun, wären da nicht die anderen 20 Kolleginnen und Kollegen, die ihnen dabei zusehen könnten.
Als sie sich an ihren Tisch setzte sah sie, dass Selma ein kleines Herz in ihren Kaffee gemalt hatte. Martina lächelte Selma zu, die jedoch mit dem Rücken zu ihr saß und ihr Lächeln nicht sah. Oh weh, sie war maßlos in diese Frau verliebt. Martina bereitete ihren Arbeitsplatz vor und fuhr den Computer hoch.
Es ist so herrliches Wetter draußen, vielleicht könnten wir beide heute außerhalb ermitteln? Selma stand vor ihrem Schreibtisch und grinste sie an.
„Klingt gut! Aber erstmal brauch ich meinen Kaffee, sonst nützt mir das beste Wetter nichts.", sagte Martina.
„Morgenmuffel?"
„J..ja...das trifft es ganz gut."
„Ich liebe es zeitig wach zu werden. Das fühlt sich immer an, als wäre man die Königin der Welt. Alle anderen schlafen noch, nur du bist wach und hörst die Vögel zwitschern. Einfach toll.", antwortete Selma daraufhin.
Martina schaute sie schräg von der Seite an. „Hm, klar du Königin."
„Trink du erstmal deinen Kaffee, Prinzessin", lachte Selma.
„Haha." Martina verdrehte die Augen. „Hast du Jo heute schon gesehen?"
„Nein, aber kommt er nicht immer später als du?"
In diesem Moment kam er auch schon durch die Tür. „Sorry Leute! Habs verschlafen." Er ging direkt Richtung Küche und brachte sich einen Kaffee mit.
„Na ihr beiden, wie war euer Wochenende."
„Gut", sagten die beiden im Chor und schaute danach etwas verlegen zu Boden.
Jo, der einen guten Menschenverstand hatte, hakte nicht weiter nach und dachte sich seinen Teil. Martina ahnte, dass Jo die Spannung zwischen ihnen beiden bemerkte und schmunzelte.
Anders als geplant verlief der heutige Arbeitstag im Bürogebäude und nicht außerhalb, denn es musst noch weitaus mehr Recherche betrieben werden, als vorher gedacht. In der Mittagspause kam Jo zu Martina und nahm sie beiseite.
„Ist alles okay zwischen dir und Richard?", fragte er.
„Naja abgesehen davon, dass wir uns getrennt haben und momentan Funkstille herrscht, ist alles okay, warum?", antworte Martina sarkastisch.
„Er hatte mich gestern Abend etwas, naja...wütend angerufen und sich beschwert, dass du ihm nicht die Tür aufmachen wolltest."
Martina ahnte schlimmes. Ohje, dachte sie. Wie sehr kann der Zufall gegen sie spielen?
Schließlich antworte sie: „Nicht die Tür aufmachen wollte? Ich war einfach nicht schnell genug." Doch sie wusste, dass sie Jo nichts vormachen konnte.
„Nicht schnell genug, ja? So so.", grinste er.
Martina schaute Jo unschuldig an.
„Schon gut.", sagte er schließlich. „Du ist ihm absolut keine Rechenschaft schuldig. Aber so wir er wirkte, hat er an der Tür mehr mitbekommen, als dir vielleicht lieb ist."
Jo hatte Mitleid mit Martina. Da hatte sie endlich einmal jemanden gefunden, bei der sie glücklich sein kann, und dann das.
Martina sagte noch immer nichts.
„Soll ich mal mit ihm reden?", hakte Jo nach.
„Ach ich weiß doch auch nicht. Warum ist dieser Mann so schwierig? Ich weiß noch nicht mal, ob ich bereit dafür bin und soll meinem noch-Mann von meiner Affäre mit meiner Kollegin erzählen? Komm Jo, das kann doch nicht dein Ernst sein?"
„Affäre?" Selma stand plötzlich neben den beiden und schaute Martina fragend an.
Martina konnte es nicht glauben.
Jo sah sie hilflos an.
„Selma, ich, ich habs nicht so-" Doch Selma war schon auf dem Weg nach draußen.
„Verdammt Jo! Warum kann ich nicht einmal meine verdammte Klappe halten?"
Jo wollte ihr noch irgendwie helfen, doch Martina war schon auf dem Weg nach draußen, um Selma zu suchen.

Rot ist die Farbe der Hoffnung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt