Die geheimnisvolle Frau

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Im Besprechungsraum angekommen, nahmen alle ihre gewohnten Plätze ein. Selma setzte sich auf den freien Platz neben Martina und lächelte ihre neue blonde Kollegin herzlich an. Martina war nie besonders gut gewesen, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen, besonders bei Menschen, die sie wenig oder gar nicht kannte. Deswegen fiel es ihr schwer, das Lächeln, das sie Selma zurückschickte, genauso herzlich aussehen zu lassen. Martina ist keineswegs kalt. Sie hatte lediglich Schwierigkeiten, sich Menschen von Anfang an zu offenbaren. Vermutlich hatte sie das von ihrem Vater geerbt, Der tickte ähnlich wie die Kriminalhauptkommissarin. Schon in ihrer Jugend galt Martina als ein eher zurückhaltendes Mädchen, sodass sie in ihrem Freundeskreis nie zu denen gehörte, die sich zur Begrüßung und Verabschiedung einen Kuss auf den Mund gaben. Selma schaute sie noch immer erwartungsvoll an, bis Marina merkte, dass sie die Brünette die ganze Zeit anstarrte. Sie warf noch ein kurzes Lächeln hinterher und lies dann ihren Blick durch den Raum schweifen. Ihre Augen machten bei Jo halt, der sie amüsiert beobachtete. Ohne zu wissen, worüber Jo sich so zu amüsieren schien, warf sie ihm einen warnenden Blick zu. Bei Jo konnte man nie genau wissen, was dahintersteckte. Aber da er meist irgendwelche Flausen im Kopf hatte, ging Martina mit ihrem Blick auf Nummer sicher. Zwar folgte Jo meist seinem Gefühl, wenn es um das Aufklären eines heiklen Falles ging, jedoch lag er in den meisten Fällen richtig und ging clever vor. Deswegen schätzte Martina ihren Freund auch sehr als einen sehr guten Kollegen, der seinen Job immer Ernst nahm.
Nun begann Rico schließlich damit, den aktuellen Fall für alle zusammenzufassen. Das Opfer war eine junge Frau Ende 20, die leblos in ihrer Wohnung gefunden wurde. Bis jetzt ist noch unklar, wer oder was die Frau umgebracht hatte. Fakt war, dass sie ein fast perfektes Leben führte. Ihr Studium hatte Sie bereits seit einem Jahr abgeschlossen und in einer IT Firma als Assistentin der Abteilungsleiterin angefangen, mit der Aussicht mit deren Rente, ihre Stelle zu übernehmen. Alles schien perfekt, und dennoch lag die Frau so leblos auf ihrem Küchenboden wie Kaiser dem Geschehen im Besprechungsraum folgte. Er starrte leicht angespannt aus dem Fenster und schien gar nicht mitzubekommen, was um ihn herum geschah. Ja, Kaiser war oft etwas verplant und vor allem unpünktlich, aber seine Arbeit hatte er schon immer Ernst genommen. Umso mehr wunderte sich Martina über Kaisers Unkonzentriertheit. Martina notierte sich zunächst alle wichtigen Infos in ihrem kleinen blauen Notizbuch, was sie immer bei sich trug. Um Kaiser würde sie sich später kümmern. Jetzt galt es erst einmal den heutigen Arbeitstag und ihren Umzug hinter sich zu bringen. Nachdem Rico seinen Vortrag beendet hatte, schlug Jo vor, mit Martina und Selma zusammen, die Eltern der Toten zu informieren, um so gegebenenfalls noch mehr Informationen über sie zu bekommen. So hatte Selma auch die Möglichkeit, den Ablauf im Soko Team besser kennenzulernen.

Am Auto angekommen, setzte sich Martina auf den Fahrersitz und startete den Motor. Die Stimmung war merklich angespannt, anders als sonst, denn Jo und Martina kannten sich nun schon seit Jahren und waren ein eingeschweißtes Team. Martina hasste Smalltalk und war auch nicht besonders gut darin. Sie wollte das Schweigen im Auto unterbrechen, wusste aber nicht so Recht wie. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, war ihr das auch egal, denn sie hatte bereits ihren Umzug am Nachmittag im Kopf. Umso dankbarer war sie Jo, dem es gelang das Schweigen zu unterbrechen und die Atmosphäre etwas aufzulockern. „Selma, hast du dich in Stuttgart schon etwas eingelebt?" Selma antwortete etwas zögerlich: „Oh, ehm ja, also ich bin schon seit vier Wochen hier und habe die freie Zeit genutzt, um die Stadt und die Gegend etwas zu erkunden. Und bisher gefällt es mir richtig gut." Martina beobachtete die Brünette durch den Rückspiegel. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie Selma schon einmal irgendwo gesehen hatte, sie konnte sich aber nicht mehr erinnern woher. „Wo wohnst du denn?", sprudelte es aus Martina raus. So direkt wollte sie die Frage eigentlich gar nicht stellen. Doch Selma schien ihr die direkte Frage nicht böse genommen zu haben. „In der Nähe vom Höhenpark. Ist ganz schön da. Vor allem, weil ich dann morgens durch den Park laufen kann." Nun, sportlich sah Selma auf jeden Fall aus, dachte Martina. Sie hatte sich schon gefragt, welchen Sport sie machte, denn einige Körperteile der Brünetten sahen wirklich sehr trainiert aus. Martina war schon ewig nicht mehr laufen gewesen. Vor zwei Jahren noch ist sie ebenfalls jeden Morgen vor der Arbeit extra zeitiger aufgestanden, um ihre morgendliche Runde zu drehen. Aber irgendwie hatte sie das in den letzten beiden Jahren schleifen lassen. Warum, wusste sie nicht genau. Vielleicht weil ihr der Stress mit Richard immer mehr zu schaffen gemacht hatte. An der nächsten Kreuzung bog das Auto des Dreiergespanns rechts in eine Familiengegend ab und hielt vor einer Doppelhaushälfte. Dort angekommen klingelte Jo an der Haustür. Die Mutter der Toten öffnete die Tür und schaute die drei entgeistert an. „Polizei? Ich verstehe nicht. Haben wir etwas falsch gemacht?." Ohje. Martina hasste diesen Teil an ihrer Arbeit. Angehörigen die Nachricht über den Tod eines geliebten Menschen zu übermitteln war schon schwer genug, aber wenn es dann die Eltern betraf, nahm es Martina umso mehr mit. Da sich die beiden kaum beruhigten, beschlossen die drei, die Befragung auf morgen im Revier zu verschieben und stattdessen in die Wohnung der Toten zu fahren, die direkt in der Stadt lag.

Martina, Selma und Jo betraten die schicke Dreizimmerwohnung, die noch immer Tatort war, und verteilten sich in die jeweiligen Räume. Wow, dachte Martina. Eine so große Wohnung hatte sie in diesem Alter noch nicht. Sie erwischte sich dabei, wie sie die junge Frau verurteilte, ohne sie auch nur gekannt zu haben. Normalerweise hasste sie Menschen, die nichts anderes zu tun hatten, als über das Leben anderer zu lästern. Warum nicht einfach mal andere machen lassen und sie das Leben leben lassen, was sie möchten? Sie schob ihre moralischen Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit. Ihr Blick glitt durch den Raum und Martina versuchte jedes noch so kleine Detail aufzunehmen. Eines ihrer Stärken, wobei sie nicht an Ricos fotografisches Gedächtnis herankam. Die Frau besaß ein 1,8m großes Bett mit einem großen Kleiderschrank, der genau gegenüberstand. Die Fenster gingen bis zum Boden, und so auch die Vorhänge. Martina gefiel der Einrichtungsstil. Hier konnte sie sich gleich Anregungen für ihr neues zu Hause holen. Etwas makaber, aber praktisch. Ihr Blick ging weiter zum Schminktisch der Frau. Hier lagen ihre Schminkutensilien noch genau so, wie sie die Tote verlassen hatte. Schließlich war sie beim Nachttisch angekommen, auf dem ein eingerahmtes Bild einer jungen blonden Frau stand, die in die Kamera lächelte. Die Tote führte anscheinend eine Beziehung mit einer Frau, dachte Martina. Zum mindest würde das erklären, warum das Bild genau neben ihrem Bett stand. In diesem Moment betrat Selma den Raum: „Die Tote führte anscheinend eine Beziehung mit einer Frau." Als hätte Selma Martinas Gedanken gelesen, sprach die Brünette die gleichen Worte aus, die Martina zuvor in ihrem Kopf formuliert hatte. Martina zuckte leicht zusammen. „J..ja. gut möglich." Selma ging an Martina vorbei, nahm das Bild und verpackte es sicher in einer Tüte. „Vielleicht können uns Angehörige etwas über ihre Freundin sagen." Martina schaute von Selmas Händen zum Boden und wieder zurück und spitzte dabei ihre Lippen zu. „Eh, was meinst du genau?" Selma schaute sie etwas perplex an und antwortete: „Naja, wir wissen ja noch nicht wer sie ist, oder kennst du die geheimnisvolle Frau?" Martina errötete bei diesen Worten leicht, als auch Jo den Raum betrat. „Welche geheimnisvolle Frau?" „Die Freundin der Toten.", antwortete Selma. „Wir wissen noch nichts genaueres über sie oder deren Verhältnis. Deswegen habe ich das Bild auf dem Nachttisch direkt eingepackt." Jo signalisierte mit einem Daumen hoch seine Zustimmung, während Martina noch etwas steif im Raum stand. Warum war sie nur so angespannt? Sie hatte sonst nie Probleme, klare Gedanken zu fasse. Wahrscheinlich lag es am Umzug. Das musste es sein.

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