Clubs, Bars und Frauen

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Martina schaute nur noch zu Boden. Sie traute sich gar nicht, Selma in die Augen zu sehen.
„Okay. Erst mal ganz ruhig. Bist du dir wirklich sicher, dass sie 17 war?" Selma versuchte logisch an die ganze Sache heranzugehen.
„Ich...ja.", begann Martina. „Wir waren in dieser Bar, aber das weißt du ja schon...und...und dann mussten wir gehen, da warst du dann aber schon weg, und..und." Martina stotterte nur noch vor sich her, denn sie konnte in diesem Moment einfach keinen klaren Gedanken fassen.
„Ganz ruhig, Martina. Lass uns erstmal in die Cafeteria gehen und einen Tee trinken. Das wird dir gut tun." Selma nahm Martina am Arm und zog sie sanft in Richtung Revier.
„Aber wir müssen doch zur Arbeit", warf Martina ein. Doch Selma lies nicht mit sich verhandeln.
„Das kann warten. Und außerdem haben wir noch gut 30 Minuten Zeit, bis wir auf unseren Bürostühlen sitzen müssen."
Martina gehorchte ihrer brünetten Kollegin und folgte ihr wortlos. Auf dem Weg dort hin, dachte Martina an nichts. Sie hatte auch keine Angst mehr, Selma alles zu erzählen. Was hatte sie schon zu verlieren? Und irgendwie fühlte sie sich in Selmas Nähe geborgen. So, als könnte ihr nichts passieren, egal, was sie ihr gleich erzählen würde.

Die beiden nahmen an einem Tisch am Fenster platz und umschlossen ihre warmen Teetassen. Martina nahm einen Schluck und schaut dann von ihrer Tasse auf, direkt in Selmas Augen, die sie erwartungsvoll aber gelassen ansah.
„Ich habs nicht gewusst, Selma.", begann Martina.
Selma hörte ihrer blonden Kollegin aufmerksam zu und lies sie zunächst alles erzählen.
„Ich war betrunken. Aber das ist keine Ausrede, ich weiß. Mein Mann Richard und ich sind seit acht Wochen getrennt. Zu der Zeit, also...als du uns gesehen hast...habe ich noch in unserem gemeinsamen Haus mit ihm gelebt. Die Zeit war nicht ganz leicht, wie du dir vorstellen kannst. Wir sind uns ständig über den Weg gelaufen. Ich konnte,...wollte ihn nicht mehr sehen. Versteh mich nicht falsch, wir sind eivernehmlich auseinandergegangen. Aber trotzdem war da diese Wut in mir. Ich wollte einfach nur weg, alles vergessen, mit dem Finger schnipsen und ein neues Leben irgendwo anders, weit weg, anfangen."
Selma hörte weiterhin gespannt zu und trank aus ihrer Tasse.

„Nunja, und dann bin ich völlig planlos in eine Bar gegangen und habe mich...betrunken. Ja, ich weiß. Das klingt sehr nach Klischee. Aber das war genau das, was ich zu diesem Zeitpunkt brauchte. Klischee hin oder her. Und dann war da diese Frau...dieses Mädchen...und, sie hatte so eine Leichtigkeit. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, tanzten und tranken zusammen. Sie wirkte so erfahren, so selbstbewusst, so viel älter."
An diesem Punkt machte Martina eine kleine Pause und schaute auf ihre Hände, die immer noch ihre Tasse umschlungen.
„Wir...wir sind dann irgendwann gegangen..also...wir wollten eigentlich zu ihr.", fuhr sie fort.
„Eigentlich?", hakte Selma nach.
„Ja, also...ich wollte zu ihr. Zu mir war ja völlig ausgeschlossen, da Richard auf jeden Fall da sein würde, und das die beiden zusammenstoßen wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Aber sie hat die ganze Zeit rumgedruckst, wollte lieber zu mir, bis sie mir dann die Wahrheit erzählte, dass sie vor einem halben Jahr in ein Heim für betreutes Wohnen gezogen ist. Das war dann der Moment in dem ich realisiert habe, dass sie noch nicht so alt sein konnte, und auch der, an dem ich wieder vollkommen nüchtern war. Ich hab das Ganze dann natürlich sofort beendet. Hab sie noch zu ihrer Wohnung gebracht und mich dann allein auf den Weg zum Haus gemacht."
Martina schnaufte, als sie ihr bisher größtes Geheimnis laut ausgesprochen hatte.
Selma schaute sie verständnisvoll an. „Martina, das war vielleicht keine Glanzleistung von dir, aber am Ende hast du alles richtig gemacht. Und ich habe das Mädchen auch gesehen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass sie 17 ist. Wobei ich auch weniger auf sie geachtet habe."
Martina schaute sie verdutzt an. „Das ist nicht lustig, Selma."
„Auf der Tanzfläche hast du dich sehr amüsiert.", schoss Selma hinterher.
Martina verdrehte die Augen. „Aber auch nur, weil ich betrunken war. Normalerweise stehe ich gar nicht auf sowas."
„Auf sowas?"
„Naja, du weißt schon. Clubs, Bars,...Frauen."
„Das sah mir aber an dem Abend anders aus." Selmas Miene verzog sich etwas.
Martina schaute sie eindringlich an. „Was? Ich habe nichts gegen Homosexuelle. Ich gehöre nur einfach nicht dazu."
„Martina, mach dir nichts vor. Du hattest den Spaß deines Lebens an diesem Abend. Ich hab das gesehen, und alle anderen in der Bar auch." Selma hob ihren Arm, um einen Blick auf ihre Uhr zu werfen.
„Ich glaube wir sollten uns so langsam auf den weg ins Büro machen. Wenn du magst, können wir aber später weiterreden." Selma drückte Martinas Hand und lächelte ihr verständnisvoll zu, bevor sie sich aus ihrem Stuhl erhob. Martina blieb noch einen kurzen Moment sitzen und folgte ihrer Kollegin schließlich mit ihrer Tasse in der Hand in Richtung Büro. Sie ging durchaus erleichtert aus diesem Gespräch. Es tat gut, jemandem diese Geschichte zu erzählen, die sie schon so lange mit sich herumtrug. Und doch war da dieses komische Gefühl in ihrem Bauch, was sie nicht ganz zuordnen konnte.

Im Büro angekommen durchwühlten alle Soko Mitglieder die Beweislage. Martina kümmerte sich um die Social Media Profile der Toten. Selma um das der Freundin. Die Daten dafür hatte Rico um Nu herausgesucht und an die beiden weitergereicht. Jo und Kaiser befragten in der Zeit die Eltern der Frau, die sie für den heutigen Vormittag ins Revier bestellt hatten.

Während Martina sich durch die Instagram Bilder der Toten klickte, schaute sie ab und zu in Selmas Richtung, deren Schreibtisch etwa 3 Meter weiter weg stand. Sie beobachtete, wie Selma sehr gerade auf ihrem Bürostuhl saß, sodass die Länge ihres Rückens deutlich zu erkennen war. Ihre Locken hingen in einem einfachen hohen Zopf und umspielten ihren Nacken. Martina erkannte ein paar kleine Sommersprossen, die teilweise durch die braunen Locken durchschimmerten. Ihr Blick schien festgefahren zu sein, denn sie bemerkte nicht, als Selma sich zu ihr umdrehte und sie schelmisch anlächelte.
„Martina? ... Martina?? Kommst du mal? Ich hab was gefunden."
Martina schüttelte leicht ihren Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Sie ging in Selmas Richtung, stellte sich halb hinter die Brünette und beugte sich etwas nach unten, um einen guten Blick auf den Bildschirm zu haben. Ein kleiner Hauch von Selmas Parfüm kam ihr entgegen. Sie roch ein bisschen nach Rosen und Babypuder. Sie stellte fest, dass dieses Zusammenspiel einen sehr angenehmen Geruch ergaben.
„Schau dir mal dieses Bild an." Martina wurde aus ihrer Trance gerissen und konzentrierte sich auf das Bild, was auf Selmas Bildschirm erschien. Darauf waren zwei Frauen zu sehen: Die Tote, und die Frau, dessen Bild Selma auf dem Nachttisch der Toten entdeckt hatte.
„Die beiden schienen wirklich ein Paar zu sein." Selma schaute schräg hoch zu Martina, sodass ihre Gesichter nur noch ein paar Zentimeter voneinander entfernt waren. Die beiden sahen sich eine gefühlte Ewigkeit in die Augen, als Jo das Büro betrat und auch auf Selmas Bildschirm starrte.
„Ist das die Tote?", fragte er nach.
Selma und Martina lösten ihre Blicke voneinander und antworten beide gleichzeitig mit „Ja."
„Dann sollten wir die Freundin der Toten mal zu uns einladen."
Gesagt, getan. Bereits am nächsten Morgen saß Anna Martina und Selma im Verhandlungsraum gegenüber.

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