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15 Jahre später:


"LUNA AUFSTEHEN!" Eine laute Stimme durchbrach die friedliche Stille des kleinen Zimmers und riss Luna unsanft aus dem Schlaf. Benommen blinzelte sie in das Dunkel ihres Zimmers. Sie brauchte in paar Momente, bis sie einigermaßen wach war, dann drückte sie auf den Lichtschalter neben ihrem Bett. Das grelle Licht erfüllte den Raum und sie kniff schnell die Augen zusammen. Als sie sich langsam an das Licht gewöhnt hatte, öffnete sie ihre Augen wieder und stand, immer noch verschlafen, auf. Müde lief sie zu ihrem Kleiderschrank und holte eine abgetragene Jeans und ein schwarzes T-Shirt daraus hervor.

Nachdem sie sich angezogen hatte, öffnete sie ihren verstrubbelten Pferdeschwanz und kämmte ihre dunkelbraunen, welligen Haare, die ihr geschmeidig bis auf die Schultern fielen. Im Spiegel blickte ihr ihr eigenes Spiegelbild müde entgegen. Einen Moment betrachtete sie ihr schmales, helles Gesicht mit den intensiv grünen Augen, die Annalena immer als "kotzgrün" zu beschreiben pflegte. Ach ja, Annalena. Ihre absolut unausstehliche "Schwester". Eigentlich war sie gar nicht ihre Schwester, allein schon ihr Aussehen konnte nicht unterschiedlicher sein. Annalena hatte patinblond gefärbte Haare, die ihr glatt über die Schultern hingen. Ihr Gesicht mit den braunen Augen war eher rundlich und auch auf den Hüften hatte sie einige Kilos zu viel. Luna dagegen war schmal und gelenkig, hatte wellige, dunkelbraune Haare und grüne Augen. Sommersprossen zierten ihr Gesicht und auch ohne Schminke musste man zugeben, dass sie gut aussah. Den Frust darüber ließ Annalena ihre Adoptivschwester oft genug spüren. Auch ihre Eltern standen ganz hinter ihr, sie war ihre einzige Tochter und würde regelrecht verhätschelt. Immer wieder fragte sich Luna, warum sie sie überhaupt adoptiert hatten, aber laut stellte sie diese Frage lieber nicht. Außer ihrem Namen, den sie behalten hatte, wusste sie nichts von ihrer Vergangenheit. Luna Ellis. Sie mochte den Namen. Gedankenverloren strich sie mit ihren Fingern über ihr rechtes Schlüsselbein. Dort war eine kleine, schmale Narbe, die aussah wie ein Blatt. Luna wusste nicht, woher sie kam, aber die feinen weißen Linien gefielen ihr. Sie waren wie gezeichnet, mit einem feinen weißen Stift, wie ein kleines Kunstwerk. Wieder versanken ihre Gedanken in der Vergangenheit. Bis vor drei Jahren hatte sie in einem Kinderheim gelebt. Jetzt war sie fünfzehn, aber die traurigen Augen der Kinder, die vor Trauer tränenfeucht waren und die Einsamkeit, die in dem hässlichen Betonklotz herrschte, würde sie nie vergessen. Hier hatte sie wenigstens mehr Freiheiten, konnte rausgehen und hatte meistens ihre Ruhe.

"LUNA!" Die laute Stimme ihrer Adoptivmutter riss sie unsanft aus ihren Gedanken. Soviel zu Ruhe. Wenn sie sich jetzt nicht beeilte, würde sie wirklich Ärger bekommen. Schnell lief Luna aus ihrem kleinen Zimmer und sprang leichtfüßig die Treppe herunter. Unten stieß sie fast mit ihrer Adoptivschwester zusammen, die mitten im Flur stand und auf ihr Handy gestarrt hatte. "Pass doch auf wo du hinläufst!" Wütend funkelte Annalena sie an und ihre sorgsam nachgemalten Augenbrauen zogen sich zusammen. Insgesamt war ihr ganzes Gesicht mit Schminke bemalt, was ihr nicht unbedingt stand. "Sorry!", murmelte Luna, bevor sich die Blondhaarige noch mehr aufregte und quetschte sich zwischen ihr und der Wand durch, was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Als sie es schließlich geschafft hatte, ging sie in die Küche und lief zu dem Esstisch. Heute war keine Schule und Luna fragte sich, warum sie überhaupt schon aufstehen musste, es war schließlich Samstag. Die große Uhr an der Küchenwand zeigte an, dass es erst viertel nach Sieben war und die Müdigkeit saß dem braunhaarigen Mädchen noch tief in den Knochen.

"Na endlich, was braucht das denn so lang?" Eine genervte Stimme erklang und eine spindeldürre Frau trat in Lunas Blickfeld. Diese sah ihre Adoptivmutter nur kurz an, bevor sie ein leises, geseufztes "Sorry", hören ließ. Die Frau, deren dunkelblonde Haare sorgfältig auf Lockenwickler gedreht waren, bedachte sie mit einem giftigen Blick. "Hör mir zu! Wir werden mit Annalena neue Kleider kaufen gehen, sie braucht dringend ein paar Sommersachen." Aha, das war also der Grund für die ganze Aufregung. Alle paar Wochen gingen Annalena und ihre Eltern shoppen und Luna fragte sich langsam, wie ihre Adoptivschwester überhaupt noch mehr Kleider in ihrem sowieso schon riesigen und überfüllten Kleiderschrank unterbringen wollte. Wahrscheinlich gab sie wieder in paar abgetragene Sachen ihr, so wie immer. Die nervtötend schrille Stimme ihrer Adoptivmutter ließ sie wieder aufschrecken. "Du wirst zu Hause bleiben!" Natürlich. Nichts anderes hatte sie erwartet. "Du rührst nichts an, machst keinen Lärm und öffnest nicht die Tür! Am besten, du bleibst einfach in deinem Zimmer!" Ein warnender Blick folgte und Luna nickte brav. Was hätte sie auch sonst anderes tun sollen.

Resigniert beobachtete sie, wie ihre Adoptivmutter Annalena aus der Tür schob und das Auto aufschloss. Einen Vater gab es in der Familie nicht, soweit Luna wusste hatten sich ihre Adoptivmutter und er schon kurz nach der Geburt ihrer Tochter wieder getrennt. Niemand sprach je über ihn und nicht im Traum wäre es ihr eingefallen, das Thema zu erwähnen. Als das Auto außer Sichtweite war drehte sich Luna um und lief wieder in die Küche. Suchend durchstöberte sie den Kühlschrank nach etwas Essbaren. Am liebsten aß sie Wurst oder Fleisch, doch für den Morgen tat es auch ein Glas Orangensaft und ein Butterbrötchen. Das einzige, was sie nicht mochte, war Gemüse. Karotten oder Paprika fand sie ekelhaft und sie war froh, dass es das meistens nicht gab. Annalena aß hauptsächlich Fastfood, alles Gesunde mochte sie nicht. Dieses Essverhalten war ihrer Figur nicht sehr zuträglich, doch ihre Eltern schien es nicht zu stören.

Nachdem sie fertig gegessen hatte, wusch sie ihr Geschirr schnell ab und lief die Treppe hoch in ihr Zimmer. Ihr kleines Bett quietschte, als sie sich darauf fallen ließ. Inzwischen schien die Sonne durch das geöffnete Fenster und ein leichter Wind ließ die Vorhänge umherflattern. Es war auffallend warm, dafür, dass es erst Mai war und Luna beobachtete versonnen den blauen Himmel, der nur von ein paar kleinen, weißen Wolken bedeckt war. Vögel zwitscherten vor dem Fenster und das braunhaarige Mädchen stand in einer geschmeidigen Bewegung auf. Sie kannte diese Vögel, sie nisteten schon lange in dem Dachbalken, der über ihrem Fenster lag und ihr fröhliches Gezwitscher war wie Musik in ihren Ohren. Langsam trat sie an das Fenster und streckte ihren schlanken Arm aus. "Na hallo, guten Morgen!" Ihre Stimme war leise und zärtlich und ihr Mund verzog sich zu einem leisen Lächeln, als ein kleiner Spatz sich auf ihrem Arm niederließ. Immer schon liebte sie Tiere, sie vertrauten ihr und waren ihre liebste Gesellschaft. Liebevoll blickte sie den kleinen Vogel an, der fröhlich zwitschernd auf ihrem Arm hin- und herlief. "Na du kleiner Rabauke, machst du hier Lärm, he?" Wie zur Bestätigung ließ der Spatz nochmal sein fröhliches Gezwitscher hören, bevor er wieder zu seiner Familie zurückflog.

Lächelnd sah Luna ihm hinterher, ehe sie sich wieder auf ihr Bett setzte. Was sollte sie nur den ganzen Vormittag tun? Seufzend ließ sie sich in ihr weiches Kissen sinken und starrte die Decke an. Gelangweilt schloss sie die Augen und fast wäre sie vor Langweile eingedöst, als ein Geräusch sie die Augen aufschlagen ließ. Sie hätte fast vor Schreck aufgeschrien, denn an ihrem Fenster stand jemand. Fassungslos sprang sie auf, ihre geweiteten Augen auf die Person vor ihr gerichtet. Es war ein junger Mann, Luna schätzte ihn auf etwa dreißig, er hatte hellbraune, kurze Haare und grüne Augen, sie auf ihr lagen. Sein Körper war muskulös, doch was Luna am meisten auffiel, war seine markante Nase , die in seinem schmalen Gesicht lag. Immer noch musterte er sie mit einem interessierten Blick, als würde er Lunas fassungslosen Gesichtsausdruck gar nicht bemerken. Unfähig, sich zu bewegen sah sie ihn an, sie brachte keinen Ton heraus und konnte ihren ungläubigen Blick nicht von ihm wenden. Wie zur Hölle war er hier reingekommen und vor allem, was wollte hier?




Wer das wohl ist? Und was er wohl will?

Ich hoffe euch hat das erste Kapitel meiner Geschichte gefallen, schreibt mir gerne eure Rückmeldungen in die Kommentare :)

Ich würde mich sehr über ein paar Votes freuen ^-^

Lulu <3

Arunà AcademyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt