Chapter 33

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Meine Augen füllten sich mit Tränen, während ich die Horrorszene vor mir betrachtete. Am Boden war ein Blutlache, die vollkommen verschmiert war. Die Wände waren ebenfalls blutverschmiert und es waren überall rote Handabdrücke verteilt. Der Vorraum sah aus, als käme er aus einem Horrorfilm.
Die Vier schlossen ebenfalls zu mir auf und ich hörte nur entfernt, wie Samira aufschrie. Jack nahm sie aus Reflex zur Seite und versuchte sie zu beruhigen, doch ich konnte mich weder abwenden, noch auch nur meine Augen schließen. Ich fühlte mich so schuldig, dass ich mich mit diesem Anblick bestrafen wollte. Das Bild des Vorraums, in welchem mehr Blut verteilt war, als Wandfarbe, brannte sich schmerzlich in meinen Kopf.
"Daniel ruf bitte einen Krankenwagen!", meinte ich danach ruhig und wandte mich ab, nachdem ich mir eine Träne aus dem Gesicht wischte. Ich konnte nur noch hoffen, dass sie zumindest am Leben war, aber die Menge an Blut vor uns ließ auf etwas anderes schließen.
"Luke, hier!", rief Tyler und deutete auf eine Blutspur. Man konnte deutliche Tropfen der roten Flüssigkeit am Boden erkennen, die ihren Weg weiter durch den Gang bahnten. Ich blickte hoch zu Tyler und nickte in die Richtung der Spur, um ihm zu deuten, dieser zu folgen. Er nickte mir ebenfalls zu und folgte mir, bis die Spur schließlich vor ihrem Trainingsraum zu einem Ende kam.
Uns blieb beide der Atem stehen, nachdem wir den Innenraum betrachteten.
"Oh mein Gott", brachte Tyler flüsternd heraus, aber ich hörte ihn kaum. Den Schmerz, den ich in diesem Moment fühlte, war nicht zu beschreiben. Der Tod meiner Mutter war schon genug für mich, aber wir hatten uns von ihr verabschieden können. Wir wussten, was auf uns zu kam. Auf das Bild vor uns konnte mich keiner vorbereiten. Meine Beine liefen wie von allein zu Jade, welche auf den Boden lag, rundherum Scherben des zerbrochenen Spiegels, die in Blut getränkt waren. Mein Kopf war wie auf Autopilot. Ich verlor jegliches Gefühl von Zeit und Raum, das Stechen in meine Brust war das Einzige, was zurückblieb. Ich kniete mich neben sie, doch meine Tränen ließen meine gesamte Sicht verschwimmen.
"Jade?", flüsterte ich ihr zu und zog ihren Kopf auf meinen Schoß. "Jade, Babe? Bitte mach deine Augen auf", wurde ich etwas lauter und Tyler kniete sich neben mich. Ihr Gesicht war kreidebleich, entstellt von blauen Flecken, rissigen Lippen und geschwollenen Stellen. Tyler griff währenddessen nach ihrem Handgelenk und fühlte nach einem Puls. Doch ich konnte nicht hinsehen. Sie konnte mich jetzt nicht verlassen. Ich wollte nicht hören, dass sie vielleicht keinen Puls mehr hatte.
"Jade!", schrie ich und strich ihre mit Blut verklebten Haare aus dem Gesicht, bevor ein Schluchzen meinen Mund verließ. Wenn ich gestern glaubte, dass sie mir das Herz brach, würde ich jetzt sagen, es wurde mir herausgerissen und in tausend Stücke zerfetzt. Wenn die Liebe deines Leben leblos vor dir auf dem Boden liegt, verlierst du einen Teil von dir. Und mir wurde jetzt erst bewusst, wie groß der Teil in mir war, den Jade besetzt hatte.
Ich hörte nur, wie etwas im Raum zu Boden viel und blickte von ihr hoch. Daniel stand im Eingang und das Handy lag zu seinen Füßen. Er war geschockte, seine Augen geweitet, seine Hände hielt er vor den Mund.
"Daniel, hast du die Rettungsdienste gerufen?", rief ihm Tyler zu, doch Daniel bewegte sich nicht.
"Daniel!", schrie er nochmals etwas schärfer und mein bester Freund kam wieder zu sich. Er sammelte schnell das Handy vom Boden auf und hielt es an sein Ohr.
"Tut mir Leid, wir sind in der Eddison-Street 34, eine Freundin von uns wurde schwer verletzt." Er kam näher zu uns und hielt das Handy von seinem Ohr weg. Eine Frau sprach nun aus den Lautsprechern. Doch ich wandte mich wieder Jade zu.
"Bitte verlass mich nicht Babe. Das würde ich nicht schaffen", flüsterte ich ihr zu und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Eine meiner Tränen fiel auf ihre Wange hinab und kullerte ihre weiße Haut entlang.
"Wie ist ihr Zustand?", hörte ich die Frau sprechen und Tyler übernahm nun das Reden.
"Sie ist bewusstlos. Ich sehe und spüre keine Atmung. Sie hat eine Wunde im Oberschenkel und hat viel Blut verloren. Und ich fühle auch keinen Puls."
"Okay, ein Rettungsteam ist schon auf dem Weg zu Ihnen...", danach wirkte alles wie ein Traum. Ich konnte nichts mehr fassen. Nichts mehr greifen. Ich sah nur noch Jade in meinem Schoß und zählte die Sekunden, bis die Sanitäter ankamen. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit und Tyler musste mich von ihr wegziehen, um die Rettungsdienste an sie ran zu lassen. Danach war alles nur noch taub. Ich beobachtete die Sanitäter, wie sie Jade auf eine Trage packten und nach draußen fuhren.
"Einer von euch kann im Krankenwagen mitfahren", erklärt uns einer der Sanitäter und ich folgte ihm sogleich.
"Wir fahren mit dem Auto hinterher. Wir treffen uns dort", schrie mir Daniel nach, doch ich hüpfte schon hinter Jade auf der Trage in den Krankenwagen.
Ich kann vom Weg zum Krankenhaus bis hin zum Warteraum nichts wiedergeben. Das Einzige was ich aufnahm, war ihr Zustand, den mir ein Doktor, kurz nachdem sie mit Jade in den OP verschwanden, mitteilte.
Nun saß ich im Warteraum. Ich war der Einzige hier. Es war ja auch gerade Mal acht Uhr früh. Ich konnte erst wieder greifen, wo ich mich befand und was gerade passiert war, als Samira, Jack, Tyler und Daniel zur Tür hereinkamen und mich traurig begrüßten. Unerwartet kam ihnen auch mein Vater hinterher in den Warteraum. Er sagte kein Wort und ich wusste, die anderen hatten ihn informiert. Meinen Vater ohne Worte auf den Lippen zu sehen, war mir Bestätigung genug. Selbst als Mum ihre letzten Tage im Krankenhaus verbrachte, hatte er mit mir und auch meiner Mutter stundenlang geredet.
Alle nahmen neben, oder gegenüber von mir Platz, doch ich konnte meine Blick nicht vom Boden wenden. Ich war leer. Spürte keinen Funken Leben in mir. Ich fühlte mich so leblos, wie Jade vorhin noch auf meinem Schoß aussah.
"Luke, hast du schon mit einem Arzt gesprochen?", erkundigte sich Samira und ich blickte zu ihr hoch.
"Jade hatte einen schwachen Puls. Sie hatte eine Menge Blut verloren, durch die Wunde an ihrem Bein und einer Wunde am Hinterkopf. Ihr rechtes Handgelenk und eine Rippe war gebrochen. Sie sind mit ihr gleich in den OP und versuchen alles, was sie können. Aber der Doktor hat gesagt, dass die Situation sehr kritisch aussieht. Sie ist am Leben, aber keiner kann sagen, ob sie das übersteht", beim letzten Satz entkam mir wieder ein Schluchzen und ich schnappte nach Luft.
"Luke, es wird alles gut werden", versuchte nun Tyler auf mich einzureden, aber in diesem Moment kam alles hoch.
Mir entglitt jegliche Kontrolle über mich selbst und die Emotionen strömten alle an die Oberfläche.
Als aller Erstes kam die Wut. Wut auf ihren Vater, über die gesamte Situation, aber alles kein Vergleich zu der kochenden Wut auf mich selbst. Ich hätte bei ihr bleiben sollen, hätte mich nicht von meiner Wut leiten lassen sollen. Allein, wenn ich sie hätte fahren lassen, gleich anfangs, wäre sie jetzt nicht in dieser Lage. Egal wie ich es drehe und wende, alles fiel auf mich zurück. Es war meine Schuld, dass sie jetzt in dieser Situation war. Ich drückte meine Augen zu und atmete einmal tief durch, doch die Wut verflog nicht. Ja, ihr Vater ist dafür verantwortlich, aber sie wollte hier weg. Sie hätte ihn gerade so verpasst, wenn ich nicht gewesen wäre. Schuldgefühle übermannten mich und ich erhob mich von meinem Stuhl.
"Luke, was-?", hörte ich meinen Vater verwirrt, doch ich lief schnurstracks auf die Wand vor mir zu. 'Bei mir bist du sicher'. 'Ich kann dich beschützen'. Meine eigenen Sätze hallten in meinem Kopf umher und ich konnte nicht fassen, welche Lügen ich ihr erzählt hatte. Ohne Vorwarnung schlug ich mit meiner Faust gegen die Wand hier im Wartezimmer. Immer und immer wieder flog die Faust auf die Wand vor mir nieder, aber meine Wut wurde auch durch den stechenden Schmerz in meiner Hand nicht gelindert. Ich war so sauer und enttäuscht von mir selbst, wie nie zuvor. Ich spürte, wie sich eine zierliche Hand auf meine Schulter legte und mich vom nächsten Hieb abhielt. Ich wandte mich von der Wand ab und in diesem Moment verflog jede Art von Wut, die in mir war. Trauer und Schmerz war alles was zurück blieb und ich rutschte die selbe Wand, auf der ich gerade noch eingeschlagen hatte, nach unten auf den Boden. Der Ärger war mir um einiges lieber, denn die Gefühle, die jetzt auf mich einprasselten, erstickten mich. Meine Hände wanderten in meine Haare und meine Tränen strömten unkontrolliert meine Wangen hinab. Ich spürte wie sich zwei Arme um mich schlangen, aber ich konnte nur daran denken, wie sehr ich mir wünschte, dass es Jade's Arme wären. Samira hockte neben mir und drückte mich fest an sich, doch alles was ich konnte war unkontrolliert zu weinen. Ein hysterisches Schluchzen überkam mich und ich bekam keine Luft mehr in meine Lungen. Der Schmerz fraß mich von innen auf und ich konnte absolut nichts dagegen tun.
Meine Kämpferin steht an der Schippe zum Tod und ich kann nichts tun. Sie hatte mir immer geholfen und alles was ich tue, ist sie zu enttäuschen.
Die, nach Atem ringenden Schluchzer mussten sehr laut gewesen sein, da eine Krankenschwester hereinkam und sich ebenfalls vor mich kniete.
"Hey. Was ist den los?", versuchte sie mein krampfhaftes Weinen zu unterbrechen, aber ich konnte nicht stoppen. Ich glaube keiner hätte mich in dem Moment stoppen können, nur der süße Duft von Vanille an meiner Lieblingsperson. Ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Die Schuldgefühle, der Schmerz und die Wut wurden zu viel für mich, bis mir ein Wasser und eine Tablette vor die Nase gehalten wurde.
"Zur Beruhigung. Sie wird dir helfen", erklärte mir die Krankenschwester bevor ich sie mir unter Schluchzern auf die Zunge legte und mit dem Wasser nach unten spülte. Kurz darauf ließ mein Weinen nach. Ich bekam wieder Luft, doch meine Augenlieder wurden schwer. Ich kämpfte, wollte nicht den Arzt verpassen, der uns über Jade's Zustand informieren sollte, aber meine Augenlider wurden zu schwer. Und so schlief ich auf dem Krankenhausboden im Wartezimmer ein, während meine große Liebe nebenan um ihr Leben kämpfte.

-Tyler-
Als Luke sich endlich beruhigt hatte und in den Schlaf verfiel, wurde es wieder still im Warteraum. Die Stille war erdrückend, aber keiner traute sich etwas zu sagen. Und auch wenn, keiner wusste was er sagen sollte.
Bis sich Samira meldete. Luke war neben ihr auf dem Boden eingeschlafen, seine Beine immer noch angezogen, aber seine Hände hatte er nun vor seiner Brust verschränkt und sein Kopf lehnte an Samiras Schulter.
"Ich kann es nicht fassen", war alles was sie sagen konnte. Doch ich wusste genau, was sie meinte. Solche Ereignisse kennt man aus Filmen, aber man würde sich nicht mal im Traum ausmalen, dass das alles Wirklichkeit wird. Es fühlte sich so surreal an.
"Was genau ist passiert?", fragte Paul plötzlich nach und wir alle sahen uns gegenseitig an.
Keiner von uns konnte diese Frage beantworten. Es schien als wäre Luke der Einzige der zumindest eine Idee hatte, was vorgefallen war.
Doch ich versuchte ihm die Situation wenigstens aus unserem Blick zu erklären. Der Weg nach drinnen, die blutgetränkten Räume und Jade bewusstlos auf dem Boden.
Als ich fertig war, konnte ich sehen, wie sich auch in Samira's und Paul's Augen Tränen formten und Jack sprang sofort von seinem Platz und nahm Samira in den Arm, darauf bedacht Luke nicht zu stören.
"Luke musste irgendetwas gewusst haben, sonst hätte er nicht so darauf bestanden in ihr Haus einzudringen", räusperte sich auch Daniel. Wir sahen nun alle auf Luke, den es schwerer erwischt hatte, als uns alle.
"Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es ihm jetzt geht", murmelte ich und Paul nickte.
„Er hatte uns erst vor einigen Tagen erzählt, dass er sie liebt. Kann das jemand glauben?", fragte Daniel leicht schmunzelnd in die Runde und wir alle stimmten ihm lächelnd zu. Jemand der Luke vorher gekannt hatte, der hätte ihn jetzt nicht wiedererkannt.
„Ich hatte ihn noch nie so gesehen, wie mit Jade", meinte danach Paul und lächelte etwas.
„Er schien von ihr verzaubert, seit er sie das erste Mal erblickte", äußerte Samira und drückte ihn etwas fester an sich. „Er liebt sie wirklich. Dass hatte man ihm von Anfang an angesehen."
Paul räuspert sich traurig: „Nur einige Wenige sehen den Menschen, den sie lieben, am Rande des Todes. Das wünsche ich keinem."

Killing my FeelingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt