Chapter 2

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Für einen kurzen Augenblick schloss ich meine Augen und genoss den Moment. Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet. Die Luft, die durch meine Lungen glitt fühlte sich anders an. Als wenn ich jetzt erst erfahren durfte, wie es ist zu atmen. Ich hatte es durchgezogen. Ich war weg. Was wohl zuhause gerade los war? War es ihnen überhaupt schon aufgefallen? Mir fiel mein Handy ein, dass ich bei meiner Abfahrt auf Stumm gestellt hatte und zog es aus meiner Hosentasche. Vier verpasste Anrufe von meiner Mutter und eine Nachricht.

Mutter: Wo bist du? Kannst du nur einmal keine komplette Enttäuschung sein. Komm sofort nach Hause. Dein Dad will auch mir dir sprechen.

Mit einem 'Pfff' lies ich mein Telefon sinken und schmiss es zu meinen Klamotten in die Reisetasche. Schnell drehte ich den Zündschlüssel um und fuhr aus der Tankstelle und auf den Highway. Weiter gehts!

Kleine Stops in Sacramento, Redding, Yreka bis hin zu Portland. Ich wollte immer weiter. Keiner konnte mich aufhalten. Meine Gefühle waren wie ausgeschaltet und nichts konnte mich zurückhalten. Jedoch war ich innerlich leer und das wurde mir von Stadt zu Stadt schmerzlicher bewusst. Ich war am Ende, doch der Gedanke endlich frei von meinen Fesseln, die sich Zuhause nannten, zu sein, mir nicht mehr um meine Eltern Gedanken machen zu müssen, dies hielt mich über Wasser.

Nach eineinhalb Tagen erreichte ich Bellingham, kurz vor der Grenze Kanadas. Nur noch einige wenige Minuten trennten mich von meiner endgültigen Freiheit. Es war mittlerweile stockdunkel und als ich auf die Uhr des Jeeps blickte realisierte ich erst, dass es schon fast Mitternacht war. Plötzlich erinnerte ich mich, dass meine Großeltern hier am Stadtrand ein kleines Haus besaßen und ich die Schlüssel dafür auf meinen Bund hatte. Ich fuhr vom Highway ab und freute mich innerlich über ein gemütliches Bett für die Nacht und nicht noch einmal meine Rückbank des Autos für ein bis zwei Stunden.
Als ich in die Auffahrt fuhr und aus dem Auto stieg, blieb mein Blick an dem Vorgarten hängen. In diesem Moment überkamen mich meine Gedanken an früher. Die Gedanken an ein Leben ohne Angst, Panik und Schmerzen. Ein freies Leben.

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Flashback:

"Na warte Jade, ich bekomm dich schon noch." Der 10-jährige Josh, mein Bruder, war hinter mir und wir rannten im Vorgarten herum. Ich hatte ihm einen Schneeball ins Gesicht geworfen und nun wollte er sich rächen. Ich blickte, während ich weiterlief, über meine Schulter, sah Josh schon dicht hinter mir und musste lachen: "Nicht, wenn du weiterhin so langsam bist." Bevor er mich jedoch erreichen konnte, stolperte ich über eine herausragende Wurzel und viel in den Schnee und Josh mir hinterher. Nachdem jedoch der anfängliche Schock bei uns beiden verdaut war, fingen wir lauthals an zu lachen. Josh nahm eine Handvoll Schnee und rieb ihn mir genüsslich ins Gesicht. "Hey, das ist unfair", beschwerte ich mich doch Josh unterbrach mich gleich: "Ich hätte dich sowieso gleich gehabt." Er fing wieder an zu lachen und auch ich stieg in sein Lachen mit ein.

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Ich lehnte mich mit einem Lächeln an meinen Jeep und musste an die wunderschönen Tage mit meinen Bruder und meinen Großeltern hier denken. Die einzigen Urlaube, die ich je kannte, denn unsere Eltern waren zu geizig, um mit uns wegzufahren. Also haben uns unsere Großeltern immer mit hierher genommen und mir somit ein Gefühl von familiärer Liebe gegeben, die ich von Zuhause nicht kannte. Ich stieß mich vom Wagen ab und ging auf die Haustür zu. Als ich die Tür aufschloss, sprang mir sofort die Kommode in die Augen, an der ich mir mal den Kopf gestoßen hatte und mein Großvater mir keine Sekunde von der Seite gewichen war, bis der Arzt bestätigte, das mir nichts fehlte. Auch an das Wassereis, dass Josh in der Zwischenzeit mit meiner Großmutter gekauft hatte, konnte ich mich erinnern, als ob es gestern war. Der fruchtige Geschmack legte sich auf meine Zunge und das Grinsen meines Bruders zog an meinem inneren Augen an mir vorbei. Auch wenn ich Lächeln musste, war es ein Lächeln voller Trauer. Trauer, weil die Zeit nie mehr wieder kommen würde, meine Großeltern waren tot und zu meinem Bruder hatte ich jeglichen Kontakt verloren. Er hat mich mit unseren Eltern allein gelassen. Ist einfach abgehauen, ohne auch nur an mich zu denken. Zu seiner Verteidigung, damals war es noch weit nicht so schlimm, wie in den letzten 2 Jahren.
Nein, halt. Ich will nicht an Zuhause denken. Schluss damit. Ich ging mit zügigen Schritten auf die Minibar von meinem Großvater zu und zog eine alte Flasche Whiskey heraus. Schnell öffnete ich die Flasche und nahm einen großen Schluck. Ich kann hier nicht bleiben, ich muss weiter. Flüsterte meine innere Stimme mir zu, jedoch war ich zu erschöpft um weiterzufahren. Meine Beine trugen mich nur spärlich und ich zwang mich meine Augen offen zu halten, jedoch raubten mir meine Gedanken immer noch jeglichen Schlaf.

Killing my FeelingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt