Ich holte mir einen Kaffee und schlenderte zurück zu ihrem Zimmer. Ein Versuch war es wert.
Doch sofort hielt mich eine Schwester auf: "Sie dürfen hier nicht weiter, Sir. Oder sind sie ein Familienmitglied?" Sie sah mich mit großen Augen an und ich musste schwer schlucken. Was sollte ich ihr denn nun sagen. Sollte ich lügen?
"Ist er. Er ist wahrscheinlich die einzige Familie, die sie hat", ein mit gesenktem Kopf umherwandernder Josh kam aus ihrem Zimmer. Er konnte mir nicht einmal in die Augen blicken, doch ich bemerkte die roten aufgequollenen Augenlider. Ein Zeichen von Tränen.
"Ok. Aber die Besuchszeit endet bald. Sie können sich für morgen-"
Und da war es:
Schnelles Piepen.
Ein entsetzter Blick der Schwester zum Arzt hinter mir.
Verständnislosigkeit in Josh's Augen.
Ein an mir vorbei huschender weißer Kittel.
Das Klicken der Tür zu Jade's Zimmer.
Ein Satz.
"Bringt mir sofort den Defibrillator!"Es war schon komisch, wie schnell und auch parallel langsam die Zeit vergeht. Kaum war es Anfang des Sommers, endete er auch schon wieder. Dennoch ist es gefühlt eine Ewigkeit her, seitdem ich Jade das letzte Mal geküsst hatte. Eine Woche war seit meinem Besuch mit Josh vergangen.
Meine schweren Augenlider gewöhnten sich nur langsam an das Erwachen.
Ein leichter Druck in meiner Hand. Ich räusperte mich leicht, auch wenn meine Sinne noch nicht komplett in mir zurückgekehrt sind. Ich musste wohl eingeschlafen sein.
Noch ein Druck in meiner Hand.
Mein Kopf schnellte nach oben. Nur mäßig schärften sich meine Augen.
Ich sah ein Krankenhausbett. Das weiße Lacken kannte ich sofort. Ich blickte mich um, doch konnte unschwer den Sessel erahnen, auf dem ich eingeschlafen bin. Während meine rechte Hand durch mein Gesicht fuhr, hielt die andere immer noch Jade's Hand. Ich ließ sie nur los, wenn es umbedingt sein musste.
Verschlafen folgte ich den Kabeln des Herzmonitors. Er piepte gleichmäßig.
Ich atmete erleichtert aus und stützte mich mit meiner Rechten wieder am Bett ab. In der letzten Woche hatte ich viel Zeit hier verbracht. Naja, die Zeit, die ich hier verbringen durfte. Seit ich dieses blöde Ding wie verrückt piepen hörte, wich ich nicht mehr von ihrer Seite. Ich hätte sie fast verloren. Ein zweites Mal.
Wieder ein leichter Druck in meiner Hand. Verwundert und verwirrt darüber, sah ich zu ihrer Hand und danach hoch in ihr Gesicht. Ich wischte mir nochmal über meine Augen und fiel zurück auf die Lehne des Stuhls. Die Ärzte warnten mich bereits vor etwaigen Zuckungen und dass sie praktisch nichts bedeuten.Erst jetzt fiel mir auf, wie meine Kehle vor Trockenheit brannte. Ich erhob mich aus dem Sessel und holte meine Wasserflasche aus meinem Rucksack. Sofort nahm ich wieder neben ihr platz und führte die Flasche an meine Lippen.
Mit einem Seitenblick erkannte ich ihre Augenlider zuckten. Danach schloss ich die Augen und ließ das Wasser meine Kehle hinunter fließen. Das Wasser war kalt, aber nicht so kalt wie die raue Herbstluft, die sich langsam näherte. Es wurde langsam Zeit. Zeit für sie nach Harvard zu gehen. Ihr Brief kam gestern. Ich brauchte nicht einmal reinzusehen, um zu wissen, dass sie es geschafft hatte. Der Umschlag war ziemlich dick.
Moment. Ihre Augenlider zuckten. Ich war so schlaftrunken, dass mein Gehirn die Information jetzt erst verarbeiten konnte.
Ich riss meine Augen auf, doch traute mich nicht mich zu bewegen, hielt inne in meiner Bewegung zu trinken. Meine Augen wanderten langsam Jade's Torso entlang, zu ihrem Hals, ihrem Mund und schließlich zu ihren Augen. Sie blinzelte leicht, ihre Augen mussten sich, genauso wie meine, an das grelle Licht hier gewöhnen.
Unachtsam lies ich die Flasche fallen und krallte mir sofort ihren Arm.
"Jade? Jade, bist du wirklich wach? Oder träume ich nur." Über meine Lippen kam gerade so ein Flüstern, in der Angst ich könnte sie, wie ein scheuest Reh erschrecken. "Schwester? Wir brauchen einen Arzt!", rief ich nach draußen gewandt und drehte meinen Kopf sofort wieder zu diesen kristallblauen Augen. Ich konnte sie wirklich sehen.
Ein Arzt kam hereingestürmt. "Warten Sie bitte draußen." Und mit diesen Worten wurde ich vor die Tür bugsiert.Zwanzig ewig lange Minuten ging ich jetzt schon eine Furche im Flur vor ihrem Zimmer. Ein Arzt und eine Schwester verschwanden hinter der Tür und kamen bis jetzt nicht heraus.
Ich wagte gar nicht zu hoffen, sie sei aufgewacht. Es würde mir nur das Herz brechen, wenn dem nicht so ist. Ein Verstand kann sich vieles einbilden, wenn er nur fest genug daran festhielt. Waren es wirklich ihre Augen? Oder hatte mich meine Trauer nun endgültig um den Verstand gebracht.
Augenblicklich öffnete sich die Tür und die Schwester trat nach draußen.
"Mister Carter, kann ich kurz mit Ihnen sprechen?"
Ich nickte sofort betroffen und senkte meinen Kopf. Dies kann unmöglich ein gutes Zeichen sein. Doch als ich wieder hoch sah, lächelte sie mich freundlich an und in mir stieg widerwillig eine Hoffnung auf. Eine Hoffnung, die mein Herz vernichten könnte. Die mich in Stücke reißen könnte und mich nie wieder zusammensetzen könnte. Eine Hoffnung, die mir aber auch Jade wieder bringen könnte.
"Miss Reed ist aufgewacht!", teilte sie mir freudig mit und legte einen Arm auf meine Schulter. Geschockt schnappte ich nach Luft und schlug mir mit der Hand vor den Mund. Unmöglich. Sofort trieb es mir wieder die Tränen in die Augen.
"Sie wird nun einiges an Ruhe brauchen und sie muss wieder zu Kräften kommen, doch erste Tests lassen keine Folgeschäden vermuten. Wenn Sie wollen, können wir sie für ein paar Minuten zu ihr lassen. Danach würden wir gerne noch ein paar Test durchführen, um sicher zu gehen."
Sie lächelte mir nochmals freundlich entgegen und ich kam nicht umhin ihr Namensschild zu lesen.
"Danke Miss Forbes! Danke für alles", brachte ich unter meiner Freude heraus und sah gleichzeitig den Arzt ihr Zimmer verlassen.
Einen Wimpernschlag später stand ich schon an ihrer Tür und drückte den Griff nach unten.
Ihre Augen sahen mir bereits entgegen, und ich schnellte sofort an ihr Bett.
Unter Freudentränen drückte ich nur außergewöhnlich schwer Worte aus meinem Mund: "Oh mein Gott Jade. Du bist wirklich wach? Ich kann es kaum glauben!" Ein Tropfen rannte meine Wange entlang und fiel schließlich von meinem Kinn auf ihr Bett.
Sie lehnte sich nach vorne, ohne mich aus den Augen zu lassen und wischte mir über die Wange.
"So schnell wirst du mich nicht los!"-Jade-
Er fing an unter seinen Tränen zu lachen und zog mich sofort in eine Umarmung. Ein stechender Schmerz durchzog mich an der Wirbelsäule und ich zischte laut auf.
Er lies sofort von mir ab und sah mir erschrocken entgegen. Ich fühlte mich sofort wieder kalt und leer. "Ich glaube, ich hab schon Schlimmeres überstanden, Carter!", motzte ich sogleich und zog ihn an seinem Nacken an meine Lippen. Ich spürte wieder seinen Bart meinen Daumen kitzeln und presste mich noch enger an ihn. Seine weichen Lippen an Meinen zu spüren, war alles, was ich jetzt brauchte. Er war alles, was ich brauchte. Ich konnte spüren, wie seine Hände meine Wangen vor Sehnsucht umfassten und auch ich zog mich noch fester an ihn. Er krallte sich verzweifelt an mich, fast so, als ob ich jeden Moment verschwinden könnte. Als ob ich nur ein Traum wäre. Ein Märchen, dass zu schön wäre, um wahr zu sein.
Meine Wangen wurden ebenfalls nass, ich merkte erst jetzt, dass ich vor Erleichterung weinte. Mein 'Vater' hat ihm nichts angetan!
"Ich bin so froh, dass es dir gut geht!", prasselte es aus mir heraus und unterbrach somit den Kuss. Auch er löste sich von mir, um mir verwirrt ins Gesicht zu blicken. Über seine Augen huschten sehr schnell Fassungslosigkeit, Sprachlosigkeit und Ungläubigkeit, welches schließlich in einem leichten Schmunzeln endete.
"Bist du bescheuert?", fragte er mich und legte seinen Kopf leicht schräg. Dabei fielen ihm ein paar Strähnen seiner Haare ins Gesicht. Sofort waren meine Hände dort und strichen sie auf die Seite. Ich konnte es immer noch nicht fassen ihn vor mir zu sehen. Ihn spüren zu können. Ihn küssen zu können.
"Ich bin froh, dass es dir gut geht. Und, dass du lebst. Dass du aufgewacht bist. Und, dass ich endlich wieder dieses verdammte Carter aus deinem Mund hören darf!", zum Ende hin war es nur noch ein verzweifeltes Flüstern.
Er lehnte wieder seine Stirn gegen Meine und ich konnte seinen Schmerz fühlen, ja schon fast greifen.
"Ich hatte so Angst, dass er dir ebenfalls etwas antut. I-Ich kämpfte bis ans Ende, doch ich bekam keine Luft mehr. Es tut mir so Leid, Luke. Alles!", dabei strömten Tränen unkontrolliert meine Wange entlang und meine Stimme zitterte. Ich kniff meine Augen zusammen und erinnerte mich zurück. "Es tut mir so Leid, dass ich fahren wollte. Es tut mir Leid, dass ich dir weh getan hab. Und es tut mir Leid, dass ich nicht weiter gekämpft habe", presste ich unter zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Gedanke an diese Nacht war mit unglaublichen Schmerzen verbunden. "Dennoch konnte ich nicht gehen, ohne zu wissen, ob es dir gut geht!"
Seine sanfte Stimme lies mich wieder meine Augen öffnen: "Jade, beruhige dich!"
Ich hob meine Stirn von seiner und blickte ihn verzweifelt an. Meine Hände wanderten in seinen Nacken. "Nein, es tut mir so unendlich Leid, was ich gesagt habe. Ich hoffe du kannst mir irgendwann verzeihen! I-Ich", stammelte ich vor mich hin, bevor er mich jedoch schmunzelnd unterbrach.
"Jade, verdammt. Das wäre mein Satz gewesen", lächelte er mich an. "Ich wollte dich nicht alleine lassen. Ich war nur so geblendet von dem Schmerz dich nie wieder sehen zu können. Ich hoffe du kannst mir verzeihen!", seine Stimme wurde rauer. Ich lächelte ihn jedoch nur an. Wann genau wurde er eigentlich so wichtig für mich? "Jade, ich liebe dich wie verrückt."
Wärme durchschoss meinen ganzen Körper. Ich spürte sie in jeder Faser und in jeder Ecke. Dieses Gefühl der Freiheit als ich LA verließ, konnte diesem hier nicht mal ansatzweise das Wasser reichen. Mit Gänsehaut und einem leichten Schauer, der mir über den Rücken rannte, zog ich ihn wieder zu mir.
"I-Ich liebe dich auch", kam es endlich über meine Lippen.
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Killing my Feelings
RomanceRaus aus LA. Ein Traum, den sich Jade schon immer erfüllen wollte und jetzt ist es soweit. Auf der Flucht vor ihrer Heimat und vor ihrer Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die starke Narben hinterlassen hat. Eine Vergangenheit, die hohe Mauern um ih...