Kapitel 5

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- Gegenwart –

Die Zeit scheint wie angehalten. 9 Monate ist es her, dass ich seine Stimme gehört habe. Meine Knie sind so zittrig, dass ich mich mit einer Hand am Waschbecken abstütze.

„Ich... Ich hatte... Ich wurde eingeladen...", stammle ich leise vor mich hin. Er lächelt nicht. Ganz still steht er mir gegenüber und es kommt mir so vor, als würden die gefliesten Wände des Badezimmers immer näherkommen.
„Ich weiß.", beginnt er mit der gleichen Ruhe. „Ich hätte einfach nicht gedacht, dass du kommst. Warum bist du hier?" Ich antworte nicht. Die ehrliche Antwort ist, Ich habe keine Ahnung. Ich weiß, dass Chase nicht der einzige Grund ist und ich weiß, dass ich ihn sehen wollte. Aber darüber hinaus habe ich keine Ahnung.
„Warum bist du hier, Liv?", widerholt er seine Frage und schaut mir nun das erste Mal direkt in die Augen, ein beinahe trauriger Ausdruck macht sich auf seinem Gesicht breit.
„Chase...", flüstere ich mit zitternder Stimme. Ich will stark sein, ihm zeigen, dass ich hier sein kann. Ich will ihm zeigen, dass mir sein Blick nichts ausmacht. Er soll nicht sehen, dass ich innerlich zu zerbersten drohe.
„Chase", widerholt er mich erneut und nickt dabei. „Wer ist deine Begleitung, Liv?" Seine Stimme wird leise und er kommt einen halben Schritt auf mich zu.
„Sein Name ist Andrew... Er ist..." – „Liv, bitte... Wer ist er?", unterbricht er mich mit flehendem Ton. Er hört sich so verletzlich an, was mir sofort Tränen in die Augen treibt.
„Und wer ist sie?", stelle ich die Gegenfrage, die mir auf der Zunge brennt seit ich die beiden das erste Mal zusammen gesehen hatte. Ich will die Situation verlassen, die Antwort nicht hören. Andererseits werde ich meine Tränen nicht aufhalten können. Wie von selbst fange ich an meinen Körper an ihm vorbei in Richtung Tür zu schieben, doch er hält mich am Handgelenk und dreht mich wieder zu sich. Ich bin ihm jetzt so nah, wie schon so lange nicht mehr. Automatisch atme ich seinen Duft ein, wiederstehe der Versuchung meine Augen zu schließen. Mit seiner Hand unter meinem Kinn hebt er meinen Kopf, bis unsere Augen sich treffen und er umschließt mein Gesicht nun mit beiden Händen. Ich habe ihm etliche Male in die Augen geschaut, seine Berührungen etliche Male gespürt und doch ist dieses Mal anders. Er hält mein Gesicht als sei es ihm das wertvollste in seinem Leben. Auch seine Augen sind glasig und mit seinem traurigen Blick wirkt er fast so zerbrechlich wie ein kleines Kind. Langsam nähert sich sein Gesicht meinem, bis er seine Stirn an meine lehnt. Ich kann nur den Atem anhalten.
„Colson...", flüstere ich, was ihn zum Schmunzeln bringt.
Er nimmt meine Hand und führt sie an seine Brust. Ich spüre sein Herz und fühle mich ihm auf einmal wieder so nah.
„Du hättest nicht herkommen dürfen.", gibt er so leise von sich, dass es kaum zu vernehmen ist. Doch ich höre seine Worte. Mir rollen Tränen die Wange hinunter, welche er mit seinem Daumen vor dem Fallen bewahrt. Von außerhalb dringt der Bass der Musik ins Badezimmer und man hört Menschen heiter reden und miteinander lachen. Doch all das nehme ich kaum war. Alles was ich zu spüren vermag ist sein Daumen, der in kreisenden Bewegungen über meine Wange fährt und seine andere Hand, die meine noch immer auf seiner Brust hält.
„Ich weiß.", hauche ich, meinen Kopf noch immer gegen seinen gepresst. Langsam lockert er den Griff um meine Hand, entfernt seinen Daumen von meinen glühenden Wangen und geht einen Schritt zurück. Sofort werden seine Berührungen von einer unfassbar starken Leere und Kälte ersetzt und ich schnappe beinahe verzweifelt nach Luft.
„Bitte... nicht.", flehe ich mit gebrochener leiser Stimme und kann nicht einmal sagen, ob ich wieder seine Nähe spüren, oder ihn soweit es geht von mir entfernen will. Doch die Entscheidung nimmt er mir ab. Er schließt die Lücke zwischen uns erneut und presst seine Lippen mit spürbarer Verzweiflung auf meine. In diesem Moment sind wir eins. 

Pressures from outside us - A Colson Baker StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt