Kapitel 10

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„Du solltest wirklich wieder anfangen zu daten.", lacht mir Ben entgegen, nachdem ich ihm von der Nacht in Colsons Haus erzählt habe.

„Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?" Ist das sein Ernst?
„Seit Nick hast du intime Beziehungen komplett gemieden. Vielleicht waren die kleinen Schmetterlinge, die du bei Colson gespürt hast, ein Resultat daraus. Du bist sexuell frustriert, meine Liebe." Das Kissen, welches ich bis vor einer Sekunde noch mit meinen Fäusten malträtiere, trifft die Seite von Bens rotem Lockenkopf, was ihm einen großen Lacher entlockt.
„Du bist unmöglich!" Auch ich muss mittlerweile lachen.

Noch vor 9 Monaten war ich glücklich mit dem Mann verlobt, der 4 Jahre lang an meiner Seite war. Dann, vor 8 Monaten war ich ein Wrack, konnte mich nicht vorstellen je wieder jemanden an mich heranzulassen. Nick und ich führten drei Jahre lang eine nahezu perfekte Bilderbuchbeziehung. Wir fuhren zusammen in den Urlaub, gingen regelmäßig aus und hatten ein erfülltes Sexleben. Nick war ein erfolgreicher Bauunternehmer. Dass er auf eigenen Beinen stand und immer genau wusste, was er wollte, zog mich an. Dazu kam sein wahnsinnig attraktives Auftreten. Ich war ihm komplett verfallen. Irgendwann legte sich dann ein Schalter in seinem Kopf um. Zunächst wurde er unfassbar eifersüchtig, verbot mir jeglichen Kontakt zu Männern und Frauen, von denen er Konkurrenz fürchtete. Als ich an einem Donnerstag eine halbe Stunde später als vereinbart, von der Arbeit nach Hause kam, schlug er mich zum ersten Mal. Erst redete ich mir ein, dass er einfach zu viel Stress auf der Arbeit hatte und die Phase schon wieder vorbeigehen würde. Doch stattdessen wurde es schlimmer. Wie ich es noch ein ganzes Jahr mit ihm ausgehalten habe, kann ich mir heute kaum noch erklären. Als ich irgendwann endlich die einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt hatte, war mein Körper vom Hals abwärts mit dunkelblauen und lilafarbenen Blutergüssen, die er mir mit seinen Fäusten und Füßen zugefügt hatte, überzogen. Heute darf er sich mir nicht auf weniger als 200 Meter nähern. Seit 8 Monaten habe ich nichts mehr von ihm gehört, es auch nicht versucht. Ich gehe regelmäßig zur Therapie und komme endlich wieder klar. Eine Person wieder so nah an mich heranzulassen, sei es emotional oder sexuell, macht mir allerdings weiterhin eine höllische Angst.

„Ben, ich bin nicht sexuell frustriert! Und ich hatte definitiv keine Schmetterlinge im Bauch, als ich bei Colson war.", sage ich laut und mit ernster Miene. Aus irgendeinem Grund will ich so überzeugend wie nur möglich wirken. Vielleicht, weil ich weiß, dass er recht hat. Nicht nur einmal habe ich mir in der vergangenen Nacht vorgestellt, wie er schmeckt, wie er sich anfühlt. Aber das hat nichts zu bedeuten. Ich habe keine Zeit für so etwas. Meine Schwester braucht mich mehr als ich einen Partner brauche. Außerdem wird Colson Baker mir bestimmt nicht das geben, was ich brauche. Er ist sorglos, hat viel Sex mit vielen verschiedenen Frauen. Und das ist okay. Ich hingegen brauche Zeit. Sorgloser, ungezwungener Sex gehört einfach nicht zu meinen Fähigkeiten.

„Jaja, wenn du dich damit besser fühlst, bist du völlig ausgeglichen.", lacht Ben mit einer unüberhörbaren Ironie in Stimme und Blick. „Im Büro ist übrigens was für dich angekommen." Er streckt mir einen schwarzen Umschlag entgegen, welchen ich sofort öffne. Backstage-Pass. Dom lädt mich zu seinem Konzert in zwei Wochen ein, was mir einen freudigen Ausruf entlockt. Jedes Mal, wenn er in der Stadt Konzerte gibt, schickt er mir einen Backstage-Pass. Eine Möglichkeit ihn öfter zu sehen, was ich immer gerne in Anspruch nehme. Außerdem wird das Konzert ein wohltuender Abschluss für einen harten Arbeitsmonat, etwas worauf ich mich freuen kann.

Die folgenden zwei Wochen verbringe ich die meiste Zeit mit der Arbeit. Allerdings mit dem weniger erfreulichen Teil, dem Papierkram. Ich bekomme kaum jemanden vor meine Kameralinse. Jeden Abend versuche ich, meine Schwester zu erreichen, um mich wenigstens am Telefon vergewissern zu können, dass es ihr gut geht. Doch sie ignoriert meine Anrufe. Als es schließlich so weit ist, und ich mich für Doms Konzert fertig mache, kann ich meinen Kopf das erste Mal seit zwei Wochen wieder ausschalten. Dieser Abend ist für mich. Ich entscheide mich für eine schwarze Mom-Jeans mit aufgestickten Rosen, ein enges schwarzes turtle neck Top und eine schwarze oversized Jeansjacke, Um den Look abzurunden, schlüpfe ich in meine schwarzen Dr. Martens Boots. Perfekt.

Pressures from outside us - A Colson Baker StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt