Kapitel 4

222 14 4
                                    


Emma

Der Mann ist schon vor einer Weile aus dem Haus gegangen, um zu arbeiten, wie Liam behauptet hat, aber mein Po und mein Rücken tun noch immer weh. Ich spüre den Schmerz pulsierend und brennend, und wenn ich mich bewege, wird er noch schlimmer. Aber ich weine nicht, weil ich Angst habe, er könnte zurückkommen und mich noch einmal über die Holzbank legen. Stattdessen kämpfe ich mit den Tränen, die immer wieder meine Sicht auf das Buch versperren, das vor mir liegt und aus dem Liam gerade leise vorliest.

Er buchstabiert das Wort Farm für mich, aber es fällt mir nicht leicht, mich zu konzentrieren, obwohl ich schon ein bisschen lesen kann. Ich bin immer gern in die Vorschule gegangen, aber wenn Schmerz deinen Körper beben lässt und die Tränen dich fast ersticken, weil du sie nicht fließen lässt, ist es nicht einfach, zuzuhören.

»Warum müssen wir lernen«, stoße ich frustriert aus und schiebe das Buch weg, so dass Liam neben mir nicht weiterlesen kann.

»Weil es wichtig ist, viel zu wissen, mit Wissen kann man so viel erreichen«, erklärt Liams Mutter und legt eine Hand auf meinen Unterarm, aber ich entreiße ihn ihr, weil ich nicht will, dass sie mich berührt. Ich will von niemandem außer meiner Mom berührt werden.

Ich sehe sehnsüchtig zum Keller und schluchze laut auf. »Ist meine Mommy sehr krank? Hat der Mann sie krank gemacht?«

Liam greift nach dem Buch und holt es wieder zurück. »Du solltest lernen«, sagt er harsch.

»Es gibt Gutes und Böses auf der Welt«, sagt Liams Mom sanft. »Es wichtig, zu wissen, was gut und was böse ist. Besonders für uns ist es wichtig, dass wir niemals vergessen, was böse ist.«

»Der Mann ist böse«, sage ich zornig und Liams Mutter nickt.

»Das ist er und weil wir alle hier sind, müssen wir vorsichtig sein und uns nicht dazu verleiten lassen, zu glauben, dass es okay ist, was er tut«, erklärt sie.

Liam zieht das Buch wieder zu sich heran. »Ich werde nie so wie er. Ich hasse ihn.«

Liams Mom legt jetzt eine Hand auf Liams Unterarm und sieht ihn ermahnend an. »Hass und das Böse liegen oft nah beieinander. Sie sind nahe Verwandte«, erklärt sie. »Verabscheue, was er tut. Sei wütend und sei dir darüber im Klaren, dass nichts davon richtig ist, auch nicht, dass wir hier bei ihm sein müssen. Aber hasse ihn nicht.«

Sie tippt mit einem Finger auf das Wort, das Liam buchstabiert hat. »Und jetzt du Emma, lies.«

»Ich möchte lieber in der Vorschule bei meinen Freunden lesen«, werfe ich trotzig ein, beginne dann aber doch das Wort zu lesen und es danach zu buchstabieren.

Kurz darauf bekommen wir Rechenaufgaben, die wir allein lösen sollen. Kaum haben wir begonnen, in unsere Hefte zu schreiben, kommt der Mann von draußen rein und sorgt dafür, dass ich erstarre. Aber er schaut mich gar nicht an. Stattdessen erlöst er die Frau von der Kette und tut dann etwas, was mich noch mehr erstarren lässt. Er legt Liam die Kette um den Fuß.

Er richtet sich wieder auf, wirft einen Blick auf unsere Hefte und brummt leise vor sich hin. »Ihr bleibt sitzen, rührt euch ja nicht von euren Plätzen. Wenn eure Mutter im Garten fertig ist, dann solltet ihr auch fertig sein. Auch ein Farmer sollte bisschen was im Kopf haben«, meint er, bevor er seine Hand um den Oberarm der Frau legt und sie mit sich nach draußen führt.

»Wo gehen sie hin«, frage ich Liam leise, als die beiden im Gang verschwunden sind.

»Er bringt Mom in den Garten, damit sie dort arbeitet. Wenn er das tut, kettet er mich immer an. Einer von uns muss immer im Haus bleiben, damit der andere nicht versucht zu fliehen«, flüstert Liam zurück.

Weil mein Schatz ein Serienmörder istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt