Kapitel 5

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Liam

Emma steht ein paar Schritte von mir entfernt und betrachtet nachdenklich einen Apfel. Vom Regen hängen ihre langen Haare strähnig herunter und kleben in ihrem Gesicht. Aber heute ist es auch sehr warm, obwohl es schon Herbst ist, weswegen uns beiden trotz der Arbeit draußen nicht kalt ist.

»Du musst schneller machen«, ermahne ich sie zum wiederholten Male. »Wenn Dad mit dem Transporter kommt, müssen wir alle Äpfel aufgesammelt haben, sonst dürfen wir bestimmt nicht mehr spielen heute.«

Sie sieht zu mir auf und runzelt die Stirn. »Ich weiß nicht, ob der Apfel in den Korb oder in den kommt«, sagt sie. Sie verzieht das Gesicht und stößt ein unglückliches Wimmern aus. »Zu Hause musste ich nie so viel arbeiten. Den ganzen Tag«, stöhnt sie und streckt ihre Hand nach Bobby aus, der neugierig etwas näherkommt und an dem Apfel schnuppert. Emma macht ihre Hand ganz flach, genauso, wie ich es ihr gezeigt habe, und Bobby zupft mit seinen Lefzen den Apfel von ihrer Hand.

»Lass ihn nicht zu viele Äpfel fressen«, warne ich sie. »Er bekommt sonst nur Bauchschmerzen.«

»Müssen wir dann einen Tierarzt rufen«, will sie wissen.

Ich schüttle den Kopf. »Keinen Tierarzt. Dad wird ihn erschießen, wenn er krank wird.«

»O«, macht Emma und drückt ihre Hände gegen Bobbys Seite, um ihn dazu zu bringen, sich von den herumliegenden Äpfeln zu entfernen.

Ich lege die Hand an die Stirn, um meine Augen vor der Sonne abzuschirmen und zähle die Bäume, die noch vor uns liegen. »Noch 15, wenn wir uns beeilen, schaffen wir das.«

»Ich weiß noch immer nicht, ob ich es richtig mache«, wirft Emma ein und lässt den Blick über die Reihe Körbe streifen, die sich entlang der Bäume zieht.

»In die hinteren Körbe wirfst du die mit braunen Stellen, die schneidet Mom später raus und macht Saft aus den Äpfeln, Kuchen, Marmelade oder sie kocht sie ein. Die, die gut aussehen, kommen in die vorderen Körbe, die verkauft Dad«, erkläre ich ihr noch einmal, obwohl ich sicher bin, dass Emma es längst verstanden hat. Sie hat nur keine Lust mehr, mir zu helfen. Aber das wird sie sehr schnell begreifen müssen, denn wenn Dad merkt, dass sie sich vor der Arbeit drückt, bekommt sie nichts mehr zu essen.

Emma bückt sich nach dem nächsten Apfel, mustert ihn und wirft ihn in einen der vorderen Körbe. Ich beschließe, mich nicht mehr so sehr um Emma zu kümmern und lieber zu arbeiten, denn ich würde wirklich gern noch etwas draußen spielen dürfen. Jetzt, wo da ein anderes Kind ist. Ich hoffe, Emma hat auch Lust.

Ich hebe den nächsten Apfel auf, aber meine Zuversicht erlischt in dem Augenblick, in dem ich den Transporter auf uns zukommen sehe. Dad ist schon da und wir sind noch lange nicht fertig. Ich lasse den Apfel in meiner Hand in den Korb fallen, so wie ich meine Schultern heruntersinken lasse. Ich kann schon an Dads Gesicht sehen, dass er nicht zufrieden mit uns ist. Er steigt aus dem Auto und wirft einen flüchtigen Blick in einen der Körbe.

»Das sieht nicht so aus, als hättet ihr euch angestrengt«, sagt er missmutig. »Euer Gaul hat wahrscheinlich mehr Äpfel gefressen, als in diesen Körben liegen.«

Ich könnte ihm sagen, dass das nicht stimmt, aber dazu müsste ich ihm widersprechen, und das mag Dad noch viel weniger, als unerledigte Arbeit. Emma schleicht sich in einem weiten Bogen um meinen Vater herum und kommt zu mir. Sie bleibt schräg hinter mir stehen und schiebt eine Hand von hinten in meine. Ich umfasse ihre Hand und hoffe, dass ich ihr so etwas Trost spenden und ihre Angst in mich aufsaugen kann.

»Ihr beendet das morgen, jetzt nehmt den Gaul und geht runter vor die Scheune. Ihr dürft etwas spielen, aber nur, bis ich alles eingeladen habe«, sagt er und überrascht mich so sehr, dass ich erstaunt aufkeuche. Natürlich lasse ich mir das kein zweites Mal sagen. Ich nehme Emmas Hand fester, gehe zu Bobby und packe seine Führleine und gehe mit beiden runter zur Scheune, vor der Vaters kleiner Traktor steht. Im Winter bewahrt er ihn und die verschiedenen Werkzeuge, die er vorne an den Traktor anbauen kann, in der Scheune auf. Im Sommer liegt das meiste davon vor der Scheune, so dass der feste Vorplatz sich kaum noch zum spielen eignet. Aber wir haben Glück, Dad hat das meiste schon reingefahren.

Weil mein Schatz ein Serienmörder istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt