Kapitel 7

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Emma

Ob es Tag oder Nacht ist, wissen wir nur, wenn wir den Fernseher anschalten und nach der Uhrzeit suchen, denn Tageslicht gibt es in unserem Zuhause nicht, das in den letzten Jahren immer mehr zu einem Hochsicherheitsgefängnis geworden ist. Die Fenster sind zugemauert, vergittert und von außen mit Stahlplatten verschlossen. Die Ziegel allein haben dem Mann nicht mehr gereicht. So dass das Haus, wenn man draußen davorsteht, aussieht, als wäre es auf einen schweren Orkan vorbereitet worden. Der Zugang zum Dachboden ist mittlerweile auch verschlossen, weil Liam und ich uns früher gern dort oben versteckt haben. Luft von außen dringt einzig durch den Lüftungsschacht zu uns herein. Manchmal glaube ich, so sehr das Haus uns einsperrt, so sehr sperrt es auch alles aus.

Ich kann mich nicht einmal mehr an die guten Sachen erinnern. Sie sind nur noch ein Schatten in meinen Träumen. Das Gesicht meiner Mutter, wenn sie lächelt, meine Grandma, wenn sie mit mir Kekse backt oder Grandpa, der geduldig stundenlang mit mir und meinen Puppen gespielt hat. Ich weiß, dass es diese Personen gab in meinem Leben, aber so sehr ich mich auch anstrenge, ich finde weder die Bilder noch ihre Stimmen in meinem Kopf. Es gab mal eine Zeit, in der hatte ich ein anderes Zuhause, aber jetzt ist dieses Gefängnis hier mein Zuhause. Und solange der Mann nicht da ist, ist es wohl auch ein gutes Zuhause, denn Liam ist hier und die Frau, die jetzt Mom ist.

»Schon wieder Baywatch?«, fahre ich Liam genervt an und springe vom Boden neben ihm auf, um den Fernseher auszuschalten, aber Liam ist schneller. Er packt meine Hand, zerrt mich nach unten und ich lande mit einem überraschten Aufkeuchen auf seinem Schoß. Liam legt seine Arme um mich und zwingt mich dazu, bei ihm zu bleiben. Als ich mich gegen ihn wehre, lässt ihn das nur lachen. Er spannt seine Muskeln unter dem löchrigen Shirt an und verstärkt seine Umklammerung, je mehr ich strample.

»Ja, schon wieder Baywatch«, sagt er amüsiert.

Ich stoße ihm grob meine Faust gegen die Brust und springe auf, sobald er mich loslässt. »Ich weiß genau, warum du es dir immer wieder ansiehst«, werfe ich ihm trotzig vor.

Mom steht in der Küche, spült das Geschirr des Abendbrots ab und grinst. Sie weiß es auch.

»Ich mag die Serie eben. Und solange Dad nicht da ist, bin ich der Mann im Haus und bestimme, was wir ansehen.«

Missmutig verziehe ich das Gesicht und wuschle Liam mit einer Hand durch sein volles dunkles Haar, bis er aussieht, als wäre er eben erst aus dem Bett gestiegen. Ich gehe in die Küche, schnaube laut und hole die Dose mit den Keksen vom Regal. »Das ist nicht der Grund.« Ich beiße in einen von Moms Keksen und stöhne genüsslich.

»Streitet euch nicht«, sagt Mom ruhig und kämmt mit ihren dünnen Fingern durch mein Haar.

Weil es mich ärgert, wenn sie so tut, als wäre ich noch ein kleines Kind, dass sich nicht mal selbst die Haare kämmen kann, hebe ich meine freie Hand und kämme mit meinen Fingern durch ihre dunkelblonden Strähnen. Sie schüttelt lachend den Kopf, wendet sich der Keksdose zu, die noch immer offen neben ihr auf dem Küchenschrank steht, verschließt sie und streckt sich so weit nach oben, um sie zurück auf das Regal zu stellen, dass der ausgefranste Saum ihres abgetragenen Hemds kaum noch ihren Hintern bedeckt.

Wir sind seit zwei Tagen im Haus eingesperrt. Dieses Mal lässt der Mann uns schon ziemlich lange allein. Wenn er wegfährt, um sich ein neues Opfer zu holen oder Waren zu verkaufen, dann selten länger als einen Tag, sonst wären die Tiere zu lange unversorgt. Er nimmt Liam seit ein paar Jahren nicht mehr oft mit, wenn er die Farm verlässt, worüber ich mich freue. Jeder Tag ohne Liam ist ein sehr einsamer langweiliger Tag. Wahrscheinlich hat er Angst, dass Liam versuchen könnte, Hilfe zu finden, jetzt, wo er kein Kind mehr ist.

Weil mein Schatz ein Serienmörder istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt