Kapitel 12

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Es ist mitten in der Nacht, als ein Geräusch mich weckt. Emma liegt mit ihrem Rücken an meine Brust geschmiegt und ich habe einen Arm um ihren Körper geschlungen. Schon als Kinder haben wir so geschlafen, aber damals hat es sich noch anders angefühlt. Weniger intensiv, weniger verwirrend. Es hat mein Herz weniger zum Rasen gebracht und mir nicht den Atem geraubt, ihr so nahe zu sein. Doch in diesem Moment, als ich das leise Knarzen der Dielen höre, kann ich nur daran denken, Emma zu beschützen. Jeder Muskel in meinem Körper spannt sich an, bereit, alles zu tun, was mir möglich ist, um Emma vor jeder Gefahr zu bewahren.

Alarmiert öffne ich die Augen und versuche, in der Dunkelheit etwas zu sehen. Aber alles, was ich über Emmas Schulter hinweg sehen kann, ist ein schwarzer Schatten, der im Türrahmen steht. Trotzdem weiß ich instinktiv, dass Vater dort steht und uns beobachtet. Ich strenge mich an, weiter ruhig zu atmen, damit er nicht bemerkt, dass ich wach geworden bin.

Ich kann mich nicht entsinnen, jemals bemerkt zu haben, dass er nachts in unser Zimmer kam. Oder er sich früher so sehr für uns interessiert hätte, dass er uns einen zweiten Blick gewährt hätte, außer es ging darum, uns zu bestrafen, uns zu quälen oder uns fühlen zu lassen, wie tief seine Verachtung für uns ist. Irgendetwas hat sich in den letzten Tagen verändert. Den heutigen Nachmittag hat er damit verbracht, mir auf der Landstraße vor dem Wald, der unsere Farm umgibt, das Fahren mit dem Transporter außerhalb der Farm beizubringen. Eine Meile endlos gerade Straße hin, eine Meile zurück. Immer wieder und wieder, bis er zufrieden mit mir war. Genau wie Mutter glaube ich nicht, dass er plötzlich seine Berufung als Vater entdeckt hat. Alles, was er tut, tut er immer aus Eigennutz. Den Kontakt zu uns, beschränkt er normalerweise auf das Wesentliche: Bestrafung, Anweisungen und Missachtung.

Mom ist sich sicher, dass er mich darauf vorbereitet, zukünftig die Einkäufe für ihn zu erledigen, damit er uns nicht mehr unbeaufsichtigt im Haus zurücklassen muss. Bedeutet das auch, dass ich zukünftig Opfer für ihn beschaffen soll? Bei dem Gedanken krampft sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Ich will nicht sein wie er. Und ich will nicht die Dinge tun, die er tut. Ich will nicht, dass seine Grausamkeit auch mich in den Abgrund reißt. Aber wenn er mich einkaufen schickt, dann werde ich den Weg zur Farm kennenlernen, weil er mir die Augen nicht mehr verbinden kann. Und dann schaffe ich es vielleicht, Hilfe zu holen.

Die Dielen knarzen wieder, als Vater sich zurückzieht und wenig später die Tür zum Schlafzimmer leise ins Schloss fällt. Erst jetzt wage ich es, tief durchzuatmen und meine Muskeln zu entspannen. Meine Sorge um Emma war schon immer groß, aber seit Dad sich so merkwürdig benimmt, wächst sie von Tag zu Tag.

»Er macht mir noch mehr Angst als sonst«, flüstert Emma, die mir erst jetzt zu erkennen gibt, dass auch sie wach ist. Sie dreht sich in meinen Armen um und eine ganz andere, viel aufregendere Art Flattern macht sich in meinem Magen breit.

Seit ich sie heute Mittag auf der Weide in den Armen gehalten habe und wir uns näher als jemals zuvor gewesen waren, kann ich kaum noch genug von dem Gefühl bekommen, bei ihr zu sein und sie zu halten. Ich will sie berühren und wieder diese Wärme und Leidenschaft fühlen. Und ich will jede Sekunde wissen, dass sie sicher ist. Ich lege eine Hand auf ihre Wange und fahre mit einem Daumen über ihre weichen Lippen. Alles hat sich zwischen uns verändert, ist aufregender und verwirrender geworden. Und es macht mir Angst, denn obwohl ich nicht von ihr lassen kann, fürchte ich mich vor Dad. Jedes Nervenende in meinem Körper schreit panisch bei dem Gedanken auf, er könnte es wissen. Vielleicht wäre es besser, meine Gefühle für Emma tief zu vergraben.

»Wir sollten das hier nicht mehr tun, Em«, sage ich leise und meine Kehle schnürt sich bei diesen Worten zu.

»Wegen ihm? Wegen dem, was er tun könnte?«, hakt Emma nach und legt eine Hand flach auf meine Brust. Ihre Finger bewegen sich sanft auf dem Stoff meines Shirts, als würden sie nach etwas suchen, aber Emma ist nur nervös. Ich weiß es, weil ihre Finger sich dann immer bewegen. »Wir haben schon darüber gesprochen, er ist mir egal. Und auch, dass er glaubt, ich wäre eine Schlampe. So wie die Frauen, die er in den Keller bringt. Ich habe keine Angst vor ihm oder dem Tod.«

Weil mein Schatz ein Serienmörder istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt