Kapitel 5

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Ich schaute sie an. Sie war noch so jung,  jedoch hatte ihr Gesichtsausdruck etwas von einer Erwachsenden. Ich nahm ihre Hand. „Mona, weißt du, wo der Spiegelsee ist?", fragte ich sanft. Sie nickte. Wieder riss ich mir ein Stück von meinem Nachthemd ab und gab es ihr. „Könntest du das im See einmal nass machen und wieder zurückbringen?" Sie schaute zu den schlafenden Kindern und rannte zum See. 

Nach zehn Minuten sah ich sie hechelnd auf uns zu rennen. „Hier bitte", sagte sie außer Atem. „Danke." Ich lächelte sie an. Dann zerriss ich das Stück in der Mitte. Wassertropfen fielen auf das Gras und die einzelnen Perlen glänzten wie Diamanten. Wasser. Wenn wir genügend Wasser gehabt hätten, wäre das Dorf dann noch das alte? 

„Soll ich dir helfen?", kam es leise von Mona. Ich gab ihr ohne Antwort eines der Stücke. Sofort fing sie an, die Stirn des kleinen Jungen abzutupfen. „Auf Flo habe ich schon öfters aufgepasst. Seine Mutter verstarb bei der Geburt. Danach fand man seinen Vater nur noch in der Kneipe." Ihre Worte ließen mich verstehen, dass ich von unserem Dorf keine Ahnung hatte. Was tat ich mein Leben lang. „Mona?" Ich legte ein Arm auf ihren Rücken. Von ihr kam nur ein abwesendes „Hm?" Ich lächelte. „Weißt du eigentlich, wie mutig du bist?" Mona starrte nach vorne. „Dieses Feuer hat dir nicht nur deine Eltern genommen, sondern auch deine Kindheit. Du musst ab jetzt tapfer sein, für deine Schwester und für dich ."Ich streichelte ihr über den Rücken. Ihr Blick wurde streng und sie fing an zu zittern.

„Doch du kannst bei mir immer noch Kind sein. Du darfst bei mir weinen und jammern", flüsterte ich zu ihr. Plötzlich fing sie fürchterlich an zu weinen und sprang mir in den Arm. „Ich hatte solche Angst", wimmerte Mona und vergrub ihr Gesicht in meiner Schulter. Ich hielt sie fester und versuchte, sie zu beruhigen. „Ich weiß, ich weiß. Jetzt ist alles vorbei, ihr seid in Sicherheit. Ich bin bei dir", flüsterte ich leise. Mona weinte für einen Moment. Dann wischte sie sich ihre Tränen aus dem Gesicht, schaute nach vorne und machte weiter. 

Langsam wachten die Kleinen nach und nach auf. Fiona nahm Josh an die Hand und beide gingen zum See, um sich ein wenig sauber zu machen. Als sie zurückkamen, saßen wir alle schon zusammen und aßen das, was Mike uns mitgebracht hatte. Hungrig rannten sie zu uns und stürzten sich auf das Essen. Emilie hatte zwar immer noch Fieber, saß jetzt aber fröhlich bei uns und knabberte an ihrem Brot. Flo hingegen schlief noch. Es ging ihm immer schlechter. Zum Glück war Mike da. Er kümmerte sich gut um Flo. Hätte man nicht gewusst, dass die beiden sich gerade erst begegnet sind, hätte man denken können, sie seien Geschwister. Ich schaute die beiden friedlich an und merkte, wie sehr ich Mike vermisst habe. Als wir zu Ende gegessen hatten, forderte ich alle auf, sich jetzt Reisefertig zu machen. 

Während die Kleinen das taten, ging ich zu Mike und zog ihn ein wenig Abseits, weg von den Kindern. „Wie schlimm ist es?", fragte ich leise. Mike schaute mich traurig an. „Bis jetzt scheint ihr die einzigen Überlebenden zu sein." Ich wurde blass. „Wann kommen die anderen. Oder gehen wir allein?", kam es leise von mir. Mike schwieg einen Moment und er bekam einen Gesichtsausdruck, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Hätte ich Mike nicht gekannt, könnte man denken, er sei verärgert über meine Frage. „Mike?", wiederholte ich. Dann drehte er sich zu mir und lächelte. „Die suchen noch nach weiteren Überlebenden. Wir sollten jedoch los. Flo geht es immer schlechter." Besorgt ging ich zu Flo, um ihn hochzuheben. „Ach, lass mich Flo tragen. Trag du dafür Emilie", sagte Mike schnell und nahm ihn in den Arm. Ich war ein wenig verwundert, jedoch auch unglaublich erleichtert, dass Mike mir helfen wollte. Ich ging zu Emilie. Sie kletterte auf meinen Rücken und wir machten uns alle gemeinsam auf den Weg in die Stadt.

Das Land, in dem wir leben, hat viele Berge und Wälder. Um in die Stadt zu kommen, mussten wir einen von ihnen hoch wandern. Nach drei Stunden machten wir eine Pause auf einer Lichtung. Jedoch drängte Mike uns, weiterzugehen, da es Flo immer schlechter ginge und es nach Regen aussah. Wir tauschten. Ich nahm Flo und er Emilie. Ich schaute nach hinten zu Mona, die Fiona und Josh an der Hand hielt. Dann ging mein Blick über sie hinweg und fiel auf das Tal, wo einst unser Dorf stand. Es war nur noch ein grauer Fleck. Ich schloss meine Augen und hörte Kinderlachen. Meine Eltern, die mit mir spielten und ich sah fröhliche Gesichter. Der Wind wehte durch mein Gesicht und trocknete mir meine Tränen. 

„Amina?", sprach eine leise Stimme. Blitzschnell öffnete ich meine Augen, doch ich sah niemanden.

„Amina, denk daran die Augen sind das Fenster zur Seele", kam es wieder von beiden Seiten. Es klang wie das Wispern des Windes. 

Das Wispern des Windes-Man sagt, die Augen seien das Fenster zur Seele-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt