Unerwartetes

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Es war Freitag. Mittlerweile waren fast sieben Wochen vergangen, seit Lynn beschlossen hatte, die Arbeitsstelle zu wechseln und heute war ihr letzter Arbeitstag im Fortbildungsinstitut.

Bereits nach wenigen Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen hatte sie ein Jobangebot bekommen, das sie auch gleich, ohne zu zögern angenommen hatte.

Rückblickend musste sie zugeben, dass sie zwischendurch daran gezweifelt hatte, etwas Neues zu finden. Vor allem, weil Simon fast die ganze Zeit davon überzeugt gewesen war, dass sie scheitern würde.

Er hatte sie sogar mehrmals darum gebeten, ihr Vorhaben, sich woanders zu bewerben, noch mal zu überdenken.

Letztendlich waren jedoch all ihre Gespräche gut verlaufen und Lynn war heute glücklich und auch stolz, dass sie die Chance bekommen hatte, einen beruflichen Neustart beginnen zu können.

»Und wie gesagt: Wenn Sie nicht weiterkommen, fragen Sie einfach Herrn Weyland oder einen der anderen Kollegen«, redete sie ihrer Nachfolgerin Frau Mertens aufmunternd zu.

Diese hatte eine laute Sprech- und eine unverkennbar raue Lachstimme, die in den letzten zwei Wochen schon öfters zu hören gewesen war.

Die neue Kollegin hatte offensichtlich keine Probleme damit, Anschluss zu den anderen zu finden, was Lynn zu Anfang einen kleinen Stich versetzt hatte.

Mittlerweile war sie allerdings nur erleichtert, dass ein guter Ersatz für sie gefunden worden war.

Frau Mertens war etwa Ende vierzig und sah vom Monitor zu ihr rüber. Sie schob ihre Lesebrille nach oben in ihre rot gefärbte Kurzhaarfrisur und Lynns Blick schweifte über den Schreibtisch zu Oskar herüber, der gerade an seinem Kaffee nippte und dabei auf seinen Bildschirm schaute.

»Stimmts, Oskar?«

Der Fachbereichsleiter wandte ihr langsam sein Gesicht zu und sie zog automatisch ihre Mundwinkel nach oben. Als sich ihre Blicke trafen, zogen sich auch seine wie von selbst nach hoch.

»Natürlich!«, bekräftigte er lässig und griff nach dem Keks, den sie ihm heute Morgen mit der ersten Tasse Kaffee dazugelegt hatte. Er biss davon ab, ließ es hörbar zwischen seinen Zähnen knirschen und sah sie weiter an.

In dem Moment wurde Lynn bewusst, dass sie an diesem Morgen das letzte Mal das kleine Ritual zwischen ihr und ihrem Kollegen vollzogen hatte.

Sie hielt ihr Lächeln aufrecht, auch wenn ihre gute Stimmung mit einem Mal verflogen war.

So unauffällig wie möglich nahm sie einen tiefen Atemzug, schluckte kurz und lächelte noch etwas breiter.

»Wunderbar!«, erklang Frau Mertens Stimme und Lynn wandte sich wieder der Älteren zu. Diese zwinkerte ihr, kurz bevor sie sich wieder der Arbeit widmete, zu, als wollte sie Lynn sagen, dass alles gut werden würde.

***

Keine zwei Stunden später trat Lynn aus dem Bürogebäude und begab sich zu ihrem Wagen. Sie schniefte kurz und tupfte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.

Das wars also.

Sie konnte sich nicht erklären, warum, aber ihre Schultern fühlten sich trotz der Erleichterung, die sie verspürte, seltsam schwer an.

Seufzend stieg sie ins Auto, startete den Motor und fuhr nach Hause.

Dort angekommen, steckte sie gerade den Schlüssel ins Schloss, als die Haustür aufgerissen wurde.

»Da bist du ja, Liebes! Wie war dein letzter Arbeitstag? Bist du sehr traurig? Ach komm, lass dich erst mal drücken!«

Noch bevor Lynn antworten konnte, wurde sie bereits von ihrer Mutter umarmt und weiter mit Fragen bombardiert.

Sag noch mal, dass du mich liebstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt