Oskar holte Lynn wie besprochen am ersten Arbeitstag nach den Ferien ab. Über Nacht hatte es leicht gefroren und am Morgen lagen die Temperaturen noch immer nur knapp über Null. As Oskar Lynns Einfahrt erreichte, stand sie bereits am Bürgersteig. Sie hatte sich wieder ihren riesigen Schal um den Hals gewickelt und stieg, sobald Oskar anhielt, ein.
»Guten Morgen«, begrüßte sie ihn, was er erwiderte, und sie lächelten sich kurz zu. Während der Fahrt blieben beide schweigsam, was Oskar jedoch als angenehm empfand. Er war früh morgens nicht der gesprächigste Mensch.
Stattdessen hing er seinen Gedanken nach, während das Radio im Hintergrund lief, was auch am heutigen Morgen der Fall war. Er dachte daran, wie er sich am gestrigen Abend mit Lynns Bruder per Messenger ausgetauscht hatte, wobei Simon derjenige gewesen war, der Oskar zuerst angeschrieben hatte. Natürlich hatte dieser vom gemeinsamen Spaziergang und dem geführten Gespräch mit Lynn längst Bescheid gewusst und Simon hatte zu Oskar gemeint, dass dieser deutlicher machen musste, dass er für Lynn mehr als nur ein Kollege und Bekannter sein wollte.
»Und warte nicht zu lange damit. Sonst bist du ganz schnell in der Kumpelzone! Und glaub mir: Bei Lynn kommst du da nicht so schnell wieder raus.« Was genau das war, was Oskar tatsächlich fürchtete und auf keinen Fall wollte. »Und eins noch: Wenn meine Schwester, aus welchen Gründen auch immer, wegen dir irgendwann heulend vor meiner Tür steht, dann bist du ein toter Mann!«
Mit dieser Ansage hatte Oskar schon viel früher gerechnet und hatte daraufhin sofort beteuert, dass das auf keinen Fall passieren würde. Allein, weil Sarah schon das Gleiche angedroht hatte.
Nichtsdestotrotz war es ein seltsames Gefühl, keinerlei Zweifel mehr daran zu haben, Lynn näherkommen zu wollen. Es war geradezu verrückt, dass er sich das vor noch gar nicht allzu langer Zeit nicht mal im Traum hatte vorstellen können. Dazu kam, dass es für ihn absolutes Neuland war, dass er derjenige war, der nicht in die Wir-sind-einfach-nur-gute-Bekannte-Schublade geschubst werden wollte. Deshalb bereitete ihm der Gedanke, Lynn beweisen zu müssen, dass er ernsthaft an ihr interessiert war, schon etwas Kopfzerbrechen.
Oskar seufzte leise in sich hinein und erinnerte sich nur zu gut an die Abfuhr, die er am Wochenende bekommen hatte, was auf keinen Fall nochmal passieren durfte. Denn der nächste Korb würde ihn garantiert um einiges härter treffen.
Doch genau das war der Knackpunkt des Ganzen: Wie konnte er verhindern, etwas zu sagen oder zu tun, was Lynn nicht erneut falsch verstehen oder sie abschrecken würde? Seine Kollegin erschien immer so überkorrekt und anständig, dass Oskar sich fast wie ein Straftäter fühlte, wenn er sich immer öfters dabei ertappte, sich zu fragen, wie sich ihr Körper wohl unter den dicken Winterklamotten anfühlte und er sich vorstellte, was er alles mit Lynn anstellen wollte.
Oskar zwang sich, nicht zu seiner Beifahrerin hinüberzuschauen, die für seine nun nicht mal ansatzweise jugendfreien Gedankenspiele verantwortlich war, und räusperte sich. Aus einem Bauchgefühl heraus war ihm klar, dass er bei Lynn Geduld haben und sich vor allem körperlich langsam an sie herantasten musste. Auch wenn seine innere Unruhe wuchs, mit jeder Minute, die er mit ihr zusammen verbrachte.
Am großen Parkplatz des Bürogebäudes angekommen, warf er einen Blick Richtung Lynn, die sich erneut den Schal um den Hals schlang, den sie während der Fahrt abgelegt hatte. Er registrierte, dass sie ihre Haare zwar ordentlicher als sonst, aber dennoch scheinbar in Eile und in alter Manier am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengebunden hielt und ihren hellen Mantel von neulich gegen eine dunkle Winterjacke eingetauscht hatte.
Oskar konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. Hatte sie sich für heute nicht etwas netter zurechtmachen können? Immerhin würden sie am Abend zusammen essen gehen.
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Sag noch mal, dass du mich liebst
RomanceAuf der Weihnachtsfeier hat Oskar zuviel getrunken. Auf der Heimfahrt teilt er sich ein Taxi mit seiner Kollegin Lynn. „.... Ich liebe dich, du mich doch auch, oder?" "Ja. Natürlich." Keiner der beiden hat diese Worte ernst gemeint und doch ist dana...