• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 9 •

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Kat

Ruckelnd fährt der Bus über die holprige Landstraße. Ich habe mich auf dem Sitz vorgebeugt und meine Ellenbogen auf einem geländerartigen Gestell vor dem vordersten Sitzplatz abgestützt.

Wenn man den Blick aus dem Fenster schweifen lässt, ist neben weiten Feldern nicht wirklich viel zu sehen. Wie auch bei meiner ersten Fahrt sitzt Friede seelenruhig in der hintersten Reihe. Alles, was ich von ihr höre, ist das leise Klackern ihrer Stricknadeln. Schon bevor ich eingestiegen bin, saß sie dort, den von grauem Haar bedeckten Kopf gesenkt auf ihre Arbeit gerichtet.

Bis auf den Fahrer ist der Bus ansonsten leer und genau jener löst seinen Blick keine einzige Sekunde von der Straße. Einerseits kommt mir das sehr verantwortungsbewusst vor, andererseits wirkt sein gerades Starren fast schon ein bisschen zu verbissen, sodass ich mich ein wenig schlecht fühle, als ich in diesem Moment meine Stimme erhebe: „Ich habe Ihnen ja letztes Mal gesagt, dass ich keine Kiehsauerin bin."

Der Fahrer brummt bloß irgendetwas, das eine Bestätigung aber auch ein unfreundlicher Kommentar, um mich zum Schweigen zu bringen, sein könnte, doch ich versuche, mich nicht von seiner mürrischen Art irritieren zu lassen.

„Denken Sie, ich könnte das rückgängig machen? Also, wenn ich jetzt aussteigen würde, könnten Sie dann wieder denken, ich sei eine Kiehsauerin."

„Wenn Sie endlich aussteigen", murrt der Alte, ohne seine Augen auch nur für den Hauch einer Sekunde auf mich zu richten, „dann denke ich über Sie, was auch immer Sie wollen!"

Um ehrlich zu sein, kann ich das ‚endlich' in seinem Satz nachvollziehen. Mittlerweile fahre ich schon seit über einer Stunde durch die Gegend. Wieso ich überhaupt eingestiegen bin, weiß ich schon gar nicht mehr genau. Vielleicht war es die Aufregung wegen des Junggesellinnenabschieds – vielleicht aber auch der pure Fluchtinstinkt, nachdem ich ausversehen Glitzers Himbeerduft-Conditioner leer gemacht habe.

Molly hat mir bereits geraten, ihm erst heute Abend wieder unter seine von Liedschatten funkelnden Augen zu treten und ich würde den Teufel tun, wenn ich diesen Ratschlag mir nicht zu Herzen nehmen würde.

Meine bisherige Fahrt war jedoch recht unspektakulär. Ein paar Minuten lang habe ich versucht, ein Gespräch mit Friede anzufangen, das sie jedoch so sehr aus dem Konzept gebracht hat, dass die alte Dame nicht mehr wusste, was sie stricken wollte, weshalb ich sie widerwillig allein gelassen habe und stattdessen zum Busfahrer zurückgekehrt bin. Obwohl ich es selbst nicht so recht glauben kann, habe ich bis gerade noch geschwiegen. Das Resultat davon ist aber, dass mir nun nur umso mehr Wörter auf der Zunge brennen.

„Das ist sehr nett von Ihnen. Wissen Sie, als ich letztes Mal-."
„Nächste Station Kiehsau!", unterbricht mich der Busfahrer schroff.

Tatsächlich! Ich kann bereits die kleine verwahrloste Haltestelle in nicht allzu weiter Ferne erkennen. Seufzend springe ich von meinem Sitz hinunter.

„Es war schön und wissen Sie, ich gehe gleich auf einen Junggesellinnenabschied!", lasse ich den Fahrer noch strahlend wissen, ehe der Bus bereits zum Stehen kommt. Mit einem leisen Zischen öffnen sich die schweren Türen und die verkümmerte Bank kommt vor mir zum Vorschein. Als ich hinaustrete, erwarte ich zu hören, wie der Bus geschlossen wird, doch ehe sich die Türen auf ihre Position zurückbegeben, erklingt noch die Stimme des Fahrers: „Auf Nimmerwiedersehen, Kiehsauerin!"

Damit fährt der große Wagen ratternd davon. Allein aber lächelnd bleibe ich an der Haltestation zurück.

Keine drei Stunden später ist mein Blick nicht mehr auf einen davonfahrenden Bus, sondern eine volle Bar gerichtet. Neben mir sitzt Nesrin an einem runden Tisch und quatscht munter mit einem großen dunkelhaarigen Typen. Der junge Mann namens Theo, der sich als Mollys kleiner Bruder herausgestellt hat, – obwohl er eigentlich gar nicht klein aussieht – ist mit uns in dem Club, genau wie Luke und ein mir ebenfalls zuvor unbekannter David.

Erst als er Nesrin mit ‚Schwesterchen' angesprochen hat, habe ich begonnen, meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Von ihrem Aussehen her war es nicht wirklich erkennbar, dass die beiden Geschwister sind. Während David rotbraunes Haar hat, ist das seiner Schwester in einem finsteren Rabenschwarz und auch ihre Hauttöne unterscheiden sich deutlich.

Für einen Junggesellinnenabschied verläuft der Abend bisher ziemlich ruhig, doch Nesrin scheint es zu gefallen. Zumindest heben sich ihre Mundwinkel regelmäßig leicht in die Höhe, was bei ihr so viel zu sein scheint wie bei anderen ein strahlendes Lächeln.

„Nesiiiiiii", Luke zieht das Ende ihres Namens verheißungsvoll lang, was bereits erahnen lässt, dass gleich irgendetwas absurdes von ihm folgen wird.

„Was auch immer du gedacht hast", knurrt David entschieden, „verschon uns!"
„Aber es ist so lustig! Wirklich!"

„Heb dir den Witz für ein anderes Mal auf", stimmt auch Theo zu und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Glas, so als würde er schon befürchten, dass Luke sich nicht zurückhalten kann. Damit scheint er auch Recht zu haben, denn dieser wendet sich mit flehendem Welpenblick an Nesrin.

„Nesii, als meine allerallerbeste und absolut liebste Freundin-."
„So fühlt sich also Verrat an", schnaubt David kopfschüttelnd, aber Luke lässt sich nicht beirren.

„Erlaubst du mir diese eine winzige Frage."
„Hau schon raus!", brummt Nesrin nur kühl wie immer und lässt beim Blinzeln die Augen eine Sekunde länger zu, so als würde sie tief durchatmen, um sich auf das, was auch immer Luke nun von sich geben wird, vorzubereiten.

„Du bist ja lesbisch..."
„Offensichtlich!"
„Warum trinkst du dann einen Cocktail?"

Noch ehe Theodors genervtes ‚Luke' erklingt, verfallen dieser und ich gleichzeitig in lautes Gelächter. Ich kann einfach nicht anders! Dieser Spruch war schon wieder so unlustig, dass ich ihn witzig fand und da Luke ein ausreichendes Ego zu besitzen scheint, bin ich nicht die Einzige, die sich kaum einkriegt.

Nesrin verdreht die Augen, grinst dabei jedoch ein wenig, was Theo nur noch mehr stöhnen lässt. Auch David schüttelt bloß weiterhin den Kopf.

„Auf diese Frage, Luke, bekommst du keine Antwort", erklärt Nesrin und deutet mit ihrem Zeigefinger tadelnd auf ihren Freund, „denn ich werde jetzt den Cocktail zurückbringen."

Damit steht sie auf, lässt jedoch ihr Glas stehen.
Irritiert ziehe ich die Brauen zusammen: „Zurückbringen?"

Vielleicht liegt es an den paar Cocktails, die ich ebenfalls schon getrunken habe, aber ich kann ihrem Plan nicht ganz folgen.

„Sie geht strullern", versucht Luke mir auf die Sprünge zu helfen.
„Sie lässt Wasser", kommt auch David dazu, sodass ich instinktiv fragend zu Theo gucken muss.
„Ich sage dazu gar nichts", brummt dieser abwehrend und trinkt auch den Rest seines Getränks aus.

„Na dann", ich rutsche eilig aus der Bankreihe, „ich komme mit, Nesrin!"
„Typisch Mädchen", kommentiert Luke lautstark hinter uns, was ihm zwei feurige Blicke einbringt.

„Sei nicht so vor laut", drohend sieht Nesrin ihn an, „eines Tages gehst du allein zur Toilette und wirst hinterrücks erschlagen, glaub's mir besser! Und falls niemand kommt, der dir diese Lektion lehrt, mache ich es selbst!"

Mit dieser typischen freundschaftlichen Morddrohung einer allerallerbesten Freundin verschwindet sie in Richtung Toiletten. Ich mache mich daran, ihr schleunigst zu folgen.

Der Gang, der uns zu den Räumen führt, verunsichert mich noch bevor ich überhaupt drei Schritte getan habe. Nur ein gedimmtes Licht erhellt den Weg, so als wäre diese Stelle der Bar dafür gemacht, dass Pärchen sich in den Ecken bespringen können. An Nesrins gerümpfter Nase erkenne ich, dass sie meine nicht vorhandene Begeisterung teilt. Solche Orte versprühen einfach ein unwohles Gefühl, dass mir eine leichte Gänsehaut auf die Arme treibt.

Endlich kommt die Tür mit der Aufschrift ‚Ladys' am Ende eines Seitengangs in Sicht, als hinter uns eine tiefe Stimme erklingt: „Na, ihr Hübschen!"

𓅿

Im nächsten Kapitel am Samstag geht es erst einmal mit Fionas Junggesellenabschied weiter...

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