• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 21 •

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Kat

„Ist das so?", fragt meine Mutter noch immer skeptisch. Zwischen ihren schmalen Augenbrauen hat sich eine steile Falte gebildet.

„Wieso sollte es nicht so sein", entgegnet Molly und schlendert mit einer mir unergründlichen Gelassenheit an meine Seite. Die Lüge ist an keiner noch so kleinen Regung ihrer Gesichtszüge zu erkennen. Nicht einmal, als sie ihren Arm um mich legt, scheint sie zurückzuzucken. Ich hingegen kann spüren, wie mir das Blut in den Kopf schießt, doch ich lächle bloß weiter. Wieder einmal danke ich Gott im Stillen für meine braune Haut, die jegliche Farbe in meinem Gesicht versteckt.

„Wollen Sie hereinkommen?", will meine selbsternannte Freundin wissen und deutet auf das Gebäude hinter sich.
Mutter mustert das Gemäuer abschätzend, nickt dann jedoch zu meiner Überraschung: „Wieso nicht."

Ein winziges Zucken von Molly verrät mir, dass sie mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte, aber genau wie ich hält auch sie ihr Lächeln aufrecht.

„Gerne", sie dreht sich um und reicht mir ihre Hand. Ich ergreife sie, ohne zu zögern, während Molly bereits mit Links die Haustür aufschließt. Meine Mutter folgt uns mehr oder minder beeindruckt hinein. Ich muss sie nicht einmal ansehen, um mir vor meinem inneren Auge ausmalen zu können, wie sie bei Anblick des Treppenhauses die Nase rümpft, aber sie sagt nichts.

„Ist Glitzer da?", frage ich Molly leise. Sie nickt wortlos. Sofort spüre ich ein drückendes Gefühl in meinem Bauch, das von Stufe zu Stufe wächst. Wenn er nicht mitspielt, werden wir schneller auffliegen, als Leonardo „Jurastudium" sagen kann.

Nach unbestreitbar zu wenig Zeit kommen wir bereits im obersten Stockwerk an.
„Glitzer?", ruft Molly.
Blitzschnell schlägt die Tür auf. Der kleine junge Mann schaut zwischen uns beiden hin und her, bis sein Blick an meiner Mutter hängen bleibt.

„Frau Stiegler!", er strahlt sie an, als wäre sie das Schaufenster eines Süßigkeitenladens und er ein zehnjähriger pummeliger Knabe, „was für eine Ehre!"

Hätte mir Molly nicht in die Seite gekniffen, wäre ich spätestens jetzt vor Lachen zusammengebrochen. Wusste er nicht erst seit ein paar Stunden, wer meine Mutter überhaupt war? Und selbst wenn er schon länger ihren Namen gekannt hätte, wäre es mir genauso lächerlich vorgekommen.

„Die Ehre ist ganz Ihrerseits", grummelt diese nun hinter mir, was Glitzer beinahe die Gesichtszüge entgleiten lässt. Seine sonst so schlagfertige Art scheint vollkommen verschwunden zu sein.

„Mach mal einen Schritt beiseite, damit wir eintreten können", meint Molly zu ihm. Noch immer ungläubig, aber gehorsam macht er Platz. Bei jedem Schritt scheint meine Mutter ihre Umgebung aufs Neue zu analysieren.

„Das Dach wird nicht zusammenbrechen", verspreche ich ihr und kann dabei nur mit Mühe ein Schnauben unterdrücken.
„Man weiß nie!"

„Möchten Sie sich setzen?", fragt Molly in diesem Moment und deutet auf die Couch, an deren Rand immer noch meine Bettdecke liegt.

Mutter gibt nur ein nicht sonderlich damenhaftes Brummen von sich, bei dem es sich anscheinend um ein ‚Ja' handelt.

Während meine Mutter über den Teppich stolziert, setzt sich Molly auf den Stuhl gegenüber und zieht mich kurzerhand auf ihren Schoß. Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht, aber ich wage es auch nicht, wieder aufzustehen. Ein sanfter Vanillegeruch umhüllt mich, als ich weiter zu Molly zurücksinke. Im Stillen nehme ich den Duft tief in mich auf, nur um die Luft in nächsten Moment geräuschlos entgleiten zu lassen.

„Seit wann seid ihr zusammen?", will meine Mutter wissen. Glitzer verschwindet unterdessen grummeln in der Küche. Ihn scheint unser kleines Schauspiel gar nicht zu interessieren – zumindest nicht mehr seit der Abfuhr von meiner Mutter.

„Seit Donnerstag", erklärt Molly lächelnd.
Ich nicke nur zustimmend.
„Das ist nicht sonderlich lang."
„Wir haben vorher oft geschrieben und telefoniert", fügt meine Alibi-Freundin noch hinzu, „außerdem sind wir uns vor vielen Jahren schon in einem Lokal in der Hamburger Altstadt begegnet."

„Wie romantisch", offenbar scheint meine Mutter nichts außer ihre schnippischen Kommentare zu dem Gespräch beitragen zu wollen.
„Das ist es!"

„Und überraschend", meint sie, wobei ihre blauen Augen mich regelrecht durchbohren, so als versuche sie die Wahrheit aus meinen Zügen herauszulesen, „meine Tochter hat nie erwähnt, dass sie sich für Frauen interessiert."

Sofort wird Mollys Blick eine Spur forscher, was mich ein wenig verwundert. „Stört es sie?", erkundigt sie sich nach ein paar kurzen schweigsamen Sekunden. Ihrer Stimme ist deutlich zu entnehmen, dass es sich bei dieser Frage um einen Test handelt.

Mutter lacht ein für sie übliches freudloses Lachen: „Ich arbeite in der Modebranche, Frau Goldblum, „wir haben keine Quotenschwulen, sondern Quotenheteros, um wenigstens ein bisschen Gleichberechtigung zu schaffen."

„Sie können mich Molly nennen."
„Ein englischer Name", die Falte taucht wieder zwischen den Augen meiner Mutter auf, „sind Sie Ausländerin, Molly?"
Das mit dem Duzen scheint meine Mutter nicht wirklich annehmen zu wollen.

„Mein Großvater ist in Amerika aufgewachsen. Seine Eltern waren im ersten Weltkrieg geflohene Juden."
„Interessant!"

Ich kann nicht sagen, ob sie das ernst meint oder nicht. Mollys Reaktion nach zu urteilen, ist es ihr relativ egal, was Mutter davon hält. Wieder einmal kann ich nicht anders, als von der Art meiner Alibi-Freundin fasziniert zu sein. Sie kommt mir plötzlich so anders vor. Man könnte fast meinen, Molly hätte eine völlig neue Maske aufgesetzt und diese unterschiedlichen Facetten erinnern mich an jemanden.

„Wie lange möchten Sie noch in Kiehsau bleiben, Frau Stiegler?", sie versucht die Frage unbedeutend klingen zu lassen, doch ich kann deutlich spüren, wie sich Mollys Körper anspannt.
„Bis Mittwoch."

„Dann werden Sie wohl oder übel die Hochzeit am Dienstag mitbekommen", erzählt Molly weiter, als sei das völlig nebensächlich. Es verwundert mich stets, wie gesittet sie sich verhalten kann. Ihre ganze Körperhaltung kommt mir wie eine Kampfansage an Mutter vor. Ich könnte nicht im Leben mehr als drei Sätze so geschwollen sprechen, ohne vor Förmlichkeit zu sterben. Auf Familientreffen ist mir für gewöhnlich mindestens in jedem zweiten Satz ein ‚Alter' oder ‚Digga' über die Lippen gekommen, wodurch ich meinen Platz als schwarzes Schaf der Familie immer erfolgreich verteidigte.

„Ich freue mich darauf, aber ich denke, es wird Zeit für mich zu gehen", Mutter wirft einen schnellen Blick auf ihre goldene Armbanduhr, „Kat, begleitest du mich zur Tür?"

„Sicher", brumme ich und rapple mich auf. Mutter steht währenddessen wesentlich vornehmer auf. Mit strammen Schritten läuft sie voraus, sodass mir nichts anderes übrigbleibt, als ihr zu folgen. Erst als wir unten an der Haustür ankommen, dreht sie sich zu mir um.

„Molly Goldblum scheint eine nette Frau zu sein", sagt Mutter und rückt ihre Handtasche zurecht.
Ich kann nicht anders als zu schmunzeln: „Das ist sie."

„Ja, das ist sie", mir entgeht ihr leises Seufzen bei diesen Worten nicht, doch erst als sie fortfährt, verstehe ich es, „deshalb solltest du Molly am besten jetzt verlassen, damit es für sie einfacher ist. Sieh es ein, Kat. Sie ist eine Frau und du bist ein Mädchen, das endlich auf die richtigen Gleise zurückkommen muss."

Ihre Worte treffen mich härter, als ich es hätte zulassen sollen.
„Du wolltest, dass ich dir einen Grund zeige, warum ich hier bin. Molly ist der Grund."

Darauf erwidert Mutter nichts mehr, sondern schreitet wortlos aus dem Haus. Ich bleibe allein im Türrahmen zurück und sehe ihr nach, wie sie den Gehweg entlangläuft. Eigentlich will ich mich umdrehen, aber mir wird plötzlich eins so klar, dass ich zusammenzucke: Wenn ich diese Treppe wieder hinaufgehe, ist das, was da gerade zu sein scheinte, wieder weg. Meine Mutter hat wohl doch recht: Molly ist eine Frau und ich bin ein naives Mädchen, das immerzu aus kindlicher Dummheit so weit springt, dass dem es hätte klar sein müssen, dass es irgendwann auf nichts mehr landet.

𓅿

Mal sehen, ob die Beiden ihr kleines Schauspiel bis zur Hochzeit durchziehen können...

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