• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 37 •

39 11 9
                                    

Kat
Eine Woche später

Es ist seltsam, das Unternehmensgebäude zu betreten und zeitgleich zu wissen, dass meine Mutter nicht mit dem üblichen missbilligenden Blick im Büro auf mich warten wird. Nein – es ist nicht nur seltsam, es ist verdammt schmerzhaft! Früher habe ich sie mehrere Monate nicht gesehen, ohne dass es weh tat, doch jetzt weiß ich ganz genau, dass sie immer fehlen wird. Am Anfang waren es Wochen, dann Monate und irgendwann werde ich aufwachen in dem Wissen, dass es jetzt Jahre sind.

Ich zwinge mich dazu, tief durchzuatmen. Vor drei Monaten habe ich von dem Krebs meiner Mutter erfahren. Nicht, weil sie es mir gesagt hätte, sondern weil ich eines abends ohne anzuklopfen in ihr Schlafzimmer kam und ihre Perücke entdeckte. Kurze Zeit darauf fand sie mich, wie ich das Stück aus teurem Kunsthaar vollkommen verwirrt in den Händen hielt, sodass ihr nichts anderes übrigblieb, als mir endlich die Wahrheit zu sagen. In der darauffolgenden Zeit verschlechterte sich ihr Zustand rapide. Es ging so schnell, dass man ihr förmlich beim Verschwinden zusehen konnte, bis sie schließlich nur noch im Krankenhaus blieb. Erst als ich sie dort sah – inmitten der strahlend weißen Laken – wurde mir wirklich klar, was ihre Krankheit bedeutete. Noch immer weiß ich nicht, ob ich froh sein soll, dass sie mich nicht mit ihr hat leiden lassen oder ob ich sie dafür verfluchen soll, weil ich unsere letzte Zeit nicht richtig geschätzt habe.

„Kat?", reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken.
„Ja?", fragend sehe ich auf.

Louis kommt auf mich zugeeilt mit einem Klemmbrett im Arm, dessen hellblaue Farbe perfekt zu seinem Jakett passt. Meine Mutter hat ihn noch vor ihrem Tod von der französischen Filliale herkommen lassen, um hier für einen fließenden Übergang zu sorgen. Offenbar sind die Beiden schon ewig gute Freunde gewesen, trotz den dreißig Jahren Altersunterschied. Seitdem sie weg ist, kommt es mir vor, als wäre Louis eine Art Mentor für mich geworden.

„Ich wollte Ihnen noch mitteilen, dass wir haben einen neuen Mitarbeiter", erklärt er mir, während wir uns gemeinsam daran machen, die Wendeltreppe hinaufzugehen.
Ich hebe eine Augenbraue: „Jemand von Bedeutung? Ein Designer?"

„Nein, ziemlich unbedeutend. Jedenfalls für mich, nicht unbedingt für Sie", Louis kichert, so wie er es nur dann tut, wenn wir unter uns sind, ehe er den Blick wieder zurück auf sein Klemmbrett richtet.

Ich kann nicht anders, als auch meine andere Braue zu heben. Wer sollte denn Bedeutung für mich aber nicht für ihn haben? Es ist nicht so, dass ich bei internationalen Treffen an irgendwelchen Designern oder Designerinnen großes Interesse gezeigt hätte. Trotz meines auffordernden Blicks schweigt Louis in sich hineingrinsend.

Endlich kommen wir im zweiten Stockwerk an, wo eine mehr als nur verängstigte Katja an uns vorbeieilt.
„Wieso hat sie nur solche Angst?", murmle ich eher zu mir selbst als zu Louis.

„Wer?", brummt dieser.
„Katja. Ihr schien es in den letzten Wochen besser zu gehen. Oder ihre neue Foundation ist eine Spur dunkler als die alte."
Nun sieht auch Louis der aufgeschreckten Sekretärin nach: „Ach Katja, ich hatte ihr angeordnet, unseren neuen Mitarbeiter zu betreuen."

Irritiert blinzle ich ihn an: „Ist unser neuer Mitarbeiter ein Clon meiner Mutter oder wen haben wir denn bitte eingestellt, der sie so zurichtet?"
„Mich", antwortet jemand mir sehr bekanntes.

Wie gestochen ruckt mein Blick zu dem Ursprung der Stimme. Ein junger Mann sitzt auf einem der Wartestühle und hat seine Beine überschlagen. Sein Outfit passt so perfekt in den Raum, dass ich mich einen Moment lang frage, ob er nach unserer Inneneinrichtung recherchiert hat. Wieso stelle ich das überhaupt in Frage. Natürlich hat er das – er ist schließlich niemand geringeres als Glitzer.

„Oh mein Gott, Glitzer!", entfährt es mir. Strahlend sehe ich ihn an. Er erwidert mein Lächeln deutlich verhaltener, während der durchdringende Blick seiner Mandelaugen zwischen Louis und mir hin und her schwankt.

„Katja meinte, Monika würde mich gleich mitnehmen", erklärt er mir, als sich seine Aufmerksamkeit wieder von Louis löst. Ich mich unterdessen auf den Sessel neben ihn fallen. Obwohl er offensichtlich versucht es zu verbergen, kann ich ein aufgeregtes Leuchten in seinen dunklen Augen erkennen, die heute mit einem farbenfrohen gelben Lidschatten hervorstechen.

„Sehr gut! Du wirst es mir nicht glauben, aber ich habe dich echt vermisst. Weißt du, ich bin hier eine der Jüngsten – auch wenn Louis sich für so jung wie ein Reh hält – und das ist nicht immer so-."
„Kat, habe ich ein Telefon in der Hand?", unterbricht Glitzer mich trocken.

Ich bin zu verdutzt, um etwas zu sagen. Erst als er seine ordentlich gezupfte Braue in die Höhe wandern lässt, bringe ich eine verwirrte Antwort hervor: „Ähm, nein."
„Genau, denn ich bin nicht die Nummer für Kummer. Das ist Monika, oder?", so als wäre nichts gewesen, deutet er hinter mich.

Noch immer überrascht drehe ich mich zu meiner zweiten Sekretärin um, die in diesem Moment mit dem gleichen Klemmbrett wie Louis auf uns zukommt.
„Ja, ist sie", bestätigt dieser und es ist nicht zu überhören, dass er ein Lachen unterdrückt. Ich bin immer noch zu verwundert, um irgendetwas zu sagen.
„Na dann", Glitzer steht schwunghaft auf und nickt mir zu, „hat mich gefreut dich wiederzusehen, Kat. Man sieht sich!"

Damit stolziert er wie auf einem Highway in Monikas Richtung.
Ich kann nur dastehen und ungläubig den Kopf schütteln. Er hat sich wirklich kein Stück verändert!
Neben mir kichert Louis leise vor sich hin, bis ich ihn mit gehobenen Augenbrauen zum Verstummen bringe.

„Entschuldigung", er räuspert sich grinsend, „es ist nur so: Eure Mutter hätte ihn spätestens jetzt sehr gemocht!"
„Das hätte sie", bestätige ich seufzend und mache mich auf den Weg in mein Büro.

Es wird wohl gefährlicher hier. Glitzer kann meiner Mutter ähnlicher sein, als es mir bewusst war und damit werde ich ihn hier wohl nicht mehr herausbekommen, denn anscheinend haben Menschen wie meine Mutter viel Erfolg in dieser Branche.

Während ich mich auf meinen Drehstuhl fallen lasse, bringt mich ein plötzlicher Gedanke zum Lächeln: Wo Glitzer ist, ist Molly auch nicht weit weg.

𓅿

Glitzer got the job!

Das Ende ist in Sicht...es kommt noch ein Kapitel, Epilog und am Freitag startet dann mein neues Projekt...

Du wirst mein Traum | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt