• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 31 •

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Kat

Ich starre auf die Tanzfläche. Laute Musik dröhnt um meine Ohren zusammen mit den Schritten der Tanzenden. Mittlerweile ist das Brautpaar nicht mehr alleine in der Mitte der Scheune. Ich erkenne das Lied als einen bekannten neunziger Country-Song zu dem Herr Schiffke mehr abgeht, als er vielleicht sollte, aber auch die Touristengruppe wirkt begeistert. Unter anderen Umständen hätte ich mich wahrscheinlich furchtbar darüber amüsiert, als was für ein seltsames Duo Cady und Herr Schiffke das Tanzbein schwingen, doch jetzt ist da gar nichts. Ich lache nicht, ich grinse nicht, ich starre einfach nur betäubt in die Luft.

„Kat?", eine Hand berührt meinen Arm. Gespielt lächelnd sehe ich zu Theo auf, auf dessen Stirn sich eine besorgte Falte gebildet hat. Er sitzt schon länger neben mir, doch bis jetzt hat er es offenbar nicht gewagt, mich anzusprechen.

„Was ist?", will ich wissen und trinke einen weiteren Schluck von meinem Cocktail, was Mollys Bruder bloß mit dem Heben seiner Augenbrauen kommentiert.
„Du siehst blass aus!"

„Mir geht's super duper", entgegne ich und will weggehen, doch Theo bleibt stur an meiner Seite. Noch immer liegt sein sorgenvoller Blick auf mir, während ich am Rand der Tanzfläche entlangschlendere. Gerade wechselt der Song zu einem siebziger Hit und auch die Tänzer mischen sich neu durcheinander. Trotz dem Gewusel schaffe ich es nicht, Theo abzuschütteln.

„Nimms mir nicht übel, Kat", erhebt er erneut zögerlich die Stimme, „aber ich glaube, du hast ein wenig zu tief ins Glas geschaut!"

Beinahe hätte ich geschnaubt. Es ist ja nicht so, dass ich das nicht selbst wüsste – jeder, der mich länger als ein paar Sekunden ansieht, weiß das! Seit über einer Stunde tue ich nichts anderes, als über meinen Cocktails auszuharren und im Stillen zu warten, dass dieser schreckliche Abend endlich ein Ende nimmt. Von der wirklichen Feier habe ich kaum etwas mitbekommen. Die meiste Zeit über ist es mir irgendwie gelungen, die Spiele und lustigen Rede auszublenden. Erst jetzt fällt mir auch auf, dass die Musik noch lauter gedreht wurde und damit das eigentliche Programm des Abends wahrscheinlich vollständig endet, um das wilde Feiern so richtig starten zu lassen. Die meisten Kinder sind auch schon weg, sodass die Gäste nun wesentlich offener mit dem Alkohol umgehen. Nicht weit von Theo und mir erkenne ich Nesrin, die ihre Hand auf Lukes Schulter gelegt hat und zudem wie ich einen roten Cocktail hält.

„Wie seht ihr beide denn aus?", erklingt Fionas Stimme, die mindestens so besorgt wie die von Theo ist.
„Ich werde mich auf den Heimweg machen", antworte ich nur müde und versuche so wenig wie möglich zu lallen. Fionas Blick huscht sofort hoch zu Mollys Bruder, der nur wortlos mit den breiten Schultern zuckt, offenbar nicht wissend, was er da ergänzen sollte.

„Wenn das so ist", mit einem schwachen Lächeln wendet Fiona sich wieder an mich und drückt kurz meine Schulter, „es hat mich sehr gefreut, dass du da warst!"
„Mich auch und euch beiden nochmal alles Gute!"

„Danke, dir auch", sie haucht mir noch schnell einen Kuss auf die Wange, dann ist die frische Braut bereits wieder unter den Gästen verschwunden.

„Soll ich dich nach Hause fahren?", fragt Theo, wobei ich bemerke, wie er sich suchend umsieht. Nach wem hält er Ausschau? Ich schüttle den Kopf: „So groß ist Kiehsau nicht. Ich werde einfach laufen!"

„Das wirst du definitiv nicht", schaltet sich in diesem Moment jemand in das Gespräch ein, der mein Herz zum Stillstand bringt. Schneller als ich es in meinem Zustand hätte tun sollen, fahre ich zu Molly herum. Gleichzeitig verfällt mein Herz wieder in einen Rhythmus, doch dieser ist schneller und hektischer als der vorige.

„Es ist nicht weit", versuche ich es noch einmal, doch sie schüttelt entschieden den Kopf.
„Ich fahre dich, Kat, keine Widerrede!"

Ich hasse mich dafür, dass die aufkommende Wut in mir durch das Kribbeln in meinem Bauch betäubt wird. Es erschreckt mich selbst wie schnell und vor allem wie sehr ich mich in diese doch eigentlich fremde Frau verliebt habe.

Mein Herz wird ein wenig schwerer, als sie vorsichtig und schmerzhaft sanft einen Arm um meine Schulter legt. Erst jetzt, wo ich gerade und unbewegt stehe, bemerke ich wirklich, wie sehr ich geschwankt habe. Mit einem typischen betrunkenen Lächeln sehe ich zu Molly auf, die meinen Blick besorgt erwidert. Alles wäre jetzt anders, wenn sie sich mal früher Sorgen um mich gemacht hätte anstatt diese verdammte Abmachung einzugehen – wirklich alles wäre vollkommen anders! Dieser Gedanke ist es, der mir den Rest gibt.

„Mein Auto steht draußen. Lass uns nach Hause gehen, Kat!"
Ohne Widerrede lasse ich mich von Molly aus der Scheune führen. Bei jedem Schritt scheinen Leonardos Worte in meinem Kopf klarer zu werden, bis ich im Auto endgültig mit der Realität konfrontiert werde, von der ich noch versucht habe, mich zu distanzieren.

Ich interessiere Molly nicht – oder zumindest nicht genug, um ihr wichtiger als irgendein Studium zu sein. Auch wenn es eigentlich nicht nur ‚irgendein' Studium ist. Kann ich es ihr überhaupt verübeln, was sie getan hat? Hätte ich an ihrer Stelle nicht genauso gehandelt, wenn mir jemand meine Traumzukunft zu Füßen gelegt hätte und im Gegensatz nur verlangt hätte, dass ich einem Mädchen, das ich erst seit wenigen Tagen kenne, ihr Herz breche, damit es zu seiner Mutter rennt. Vielleicht hätte ich das und obwohl ich weiß, dass ich jetzt stark sein müsste, damit meine Mutter ihr Ziel nicht erreicht, kann ich etwas leise hinter meinen Rippen brechen hören.

Wir kommen wenig später in der Wohnung an. Molly drückt nur auf einen einzigen der drei Licht Schalter, sodass getrübte Strahlen die Wohnung erfüllen und deutliche Umrisse erkennen lassen.

Mein Kopf schmerzt, sodass ich spüren kann, wie die Wirkung des Alkohols einsetzt. Hinzu kommt ein seltsam belebendes Kribbeln in meinen Fingerspitzen.

Mit einem Nicken weist Molly mir an, mich nicht auf das Sofa zu legen, sondern weiter bis in den Flur zu gehen. Aus dem Augenwinkel erkenne ich noch, wie sie meine Decke vom Sofa nimmt. Auf unsicheren Beinen tapse ich weiter. Irgendwann geht Molly wieder neben mir und führt mich in ihr Zimmer.

Als ich anhalte, meine ich sehen zu können, wie die Welt sich noch einen Augenblick lang weiter dreht, ohne auf mich Rücksicht zu nehmen, doch als ich länger ausharre, fällt mir auf, dass sie das noch nie getan hat. Wieso sollte die Welt auch aufhören für einen unbedeutenden Menschen wie mich sich weiterzudrehen?

„Du bist vollkommen dicht, oder?", brummt Molly, während sie mein Gesicht studiert.
Anstelle einer Antwort lächle ich nur dämlich, doch sie schimpft nicht, sondern seufzt bloß. Sie gibt mir einen leichten Stoß in Richtung Bett, doch anstatt mich daraufzusetzen, lasse ich mich einfach mit dem Gesicht voran auf die Bettwäsche fallen.

Neben mir senkt sich die Matratze und schon im nächsten Moment, spüre ich Finger an meinem Reißverschluss.

„Willst du mir etwa an die Wäsche", murmle ich in eines der Kissen hinein. Langsam hebe ich den Kopf, um Molly müde anzugrinsen.
Ich kann erkennen, wie sie ihre Augen verdreht, während ihre Finger das Kleid öffnen.

„Im Kleid schlafen ist unbequem", erklärt sie schließlich. Vorsichtig, damit sich die Welt nicht noch schneller dreht, nicke ich und richte mich ein wenig auf, um mir das Kleid von den Schultern zu streifen. Währenddessen steht Molly wieder auf. Als ich zu ihr blicke, bereue ich es bereits. In ihren braunen Augen liegt derselbe warme Ausdruck wie immer, nur dass er dieses Mal mein Herz nicht schneller schlagen, sondern bloß noch weiter zerbrechen lässt.

Ohne Kleid schlüpfe ich unter meine Decke. Molly steht einen kurzen Moment offenbar planlos neben mir, bis sie sich schließlich vorbeugt und mir einen Kuss auf die Stirn haucht. Schon will sie sich wieder zurückziehen, doch ich bin schneller. Ich lege meine Hände um ihren Nacken, um sie wieder zu mir hinabzuziehen. Mit unserem Kuss bricht mein Herz endgültig, aber das ist mir egal. Alles, was ich will, ist ihre Lippen auf den meinen zu spüren, meine Finger an ihrem Reißverschluss und ihre Haut dicht an der meinen – auch wenn es zum letzten Mal so ist.

𓅿

Was ist die perfekte Beschäftigung, wenn es am Strand schüttet und man mit angezogenen Knien im Strandkorb sitzt?

Richtig, Kapitel schreiben und überarbeiten 😂

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