Das dröhnende Signal des Countdowns hallt in meinen Ohren, als ich mich auf dem Gelände umschaue. Unter den Metallscheiben, auf denen wir stehen, liegt eine meilenweite Ebene aus hartem Backstein. In der Ferne erkenne ich dichten Wald, der das gesamte Gebiet um das Füllhorn umkreist. Während ich mit allen Mitteln versuche, meine rasende Atmung zu kontrollieren, inhaliert meine Lunge feuchte, schwere Luft, die verrät, dass irgendwo in der Umgebung ein Teich sein muss. Möglicherweise ein See. Vielleicht sogar ein ganzes Meer.
Von den sechzig Sekunden sind noch fünfzig übrig. Ich zwinge meine Beine dazu, auf der Platte stehen zu bleiben, denn ich möchte es vermeiden, noch vor dem Beginn der Spiele in die Luft gesprengt zu werden. Das ist einem Tribut vor einigen Jahren passiert. Die Landminen rissen ihm Arme und Beine ab, noch bevor er wirklich losrennen konnte. Vermutlich hat er nicht einmal mehr gemerkt, wie ihm geschah. Wir, ein Ring aus Tributen, schauen alle aus gleicher Entfernung auf das metallische Füllhorn, das in seiner bemerkenswerten Größe um die fünfzig Meter von uns wie auf dem Präsentierteller im grellen Licht der Vormittagssonne glänzt. Meine Finger beginnen zu jucken als ich sehe, was dort für Schätze auf uns lauern. Wasserflaschen aus Edelstahl, ein Haufen an Nahrungsmitteln, Rucksäcke, Kleidung, Waffen und Medikamente. Je weiter die Vorräte von dem Horn entfernt liegen, umso mehr nimmt ihr Wert ab. Weil ich die Arena und die Witterungsverhältnisse nicht einschätzen kann, muss ich mir alles schnappen, was mir in die Finger kommt. »Verteidigt das Füllhorn und nehmt es mit den schmächtigen Nichtsnutzen auf. Die haben nicht den Hauch einer Chance«, erklingt Gloss' Anweisung in meinen Ohren. Doch sind es wirklich alles Nichtsnutze, die auf das Ende des Countdowns warten?
Vierzig Sekunden. Der Wind ist so stark dass ich mir die Hände schützend vor das Gesicht halten muss, um mein Umfeld weiterhin so einwandfrei wie möglich ins Visier nehmen zu können. Ein Blick zu meiner Rechten genügt um zu erkennen, dass das blonde Mädchen, das einige Meter von mir entfernt auf ihrer Metallscheibe steht, ganz scharf darauf ist, in Kürze in das bevorstehende Gemetzel zu sprinten. Ich glaube, sie ist aus Distrikt 9. Während sie auf ihren Zehenspitzen auf und ab wippt, lässt sie die Gaben des Füllhorns nicht ein einziges Mal aus den Augen. Links von mir steht der Junge aus 12, der, mit der gebrochenen Nase.
Dreißig Sekunden. Ich suche den Ring aus Tributen ab, doch Hermes muss auf der anderen Seite des Füllhorns stehen. Stattdessen sehe ich in der Ferne Alpina, ein paar Plattformen weiter Nero, und beide von ihnen visieren bereits die Waffenkisten an. Ich weiß, dass ich genauso gut auch ohne Waffen kämpfen könnte, doch mir ist bewusst, dass sie dennoch mein erstes Ziel sind. Was nehme ich auf dem Weg dorthin mit? Die Plane, die dort einige Meter vor mir liegt? Oder den Schlafsack direkt dahinter? Streichhölzer, die Verbandskiste? Wie viel kann ich tragen, ohne mich verwundbar zu machen?
Zwanzig. Neunzehn. Meine Knöchel schmerzen immer noch vom gestrigen Sturz. Wie schnell kann ich laufen? Die Tribute, die schmaler sind als ich, sind in der Regel schneller. Ich darf nicht dafür sorgen, dass sie die wertvollen Vorräte vor mir erwischen, und wenn doch, dann muss ich sie einholen und zu Boden zwingen. Kaum jemand von ihnen wird dazu in der Lage sein, mich in einem Faustkampf zu überwältigen, und auch wenn sie eine Waffe haben, wissen über die Hälfte von ihnen immer noch nicht, damit angemessen umzugehen. Das Horn ist das Revier der Karrieretribute. Es ist mein Revier. Und ich werde es verteidigen.
Zehn Sekunden. Ich frage mich, ob mich die Tribute nach gestern Abend immer noch als furchteinflößende Konkurrentin sehen, denn schließlich habe ich mit meiner tränenreichen Darbietung mein schmerzendes Herz vor ganz Panem ausgeschüttet. Vielleicht denken sie ja, sie könnten mich links liegen lassen. Das macht es einfacher, sie auszuschalten. Acht. Was ist meine Strategie? Wie lange kann ich meinen Verbündeten trauen? Sieben. Soll ich mir schnappen was ich greifen kann und fortlaufen? Das Bündnis vergessen? Sechs. Nein, das ist keine gute Idee. So würden sie mir auflauern und mich direkt töten. Fünf. Soll ich Cashmeres Rat folgen? Kampflos sterben? Vier. Ich muss kämpfen. Für Gleam muss ich kämpfen. Drei. Atmen. Zwei. Atmen. Eins. Bin ich bereit, zu töten?
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Die Tribute von Panem - Die Hungerspiele der Darling Valentine
FanfictionSie wurde geboren, um zu gewinnen - oder zu sterben. Darling ist achtzehn, als sie sich für die neunundsechzigsten Hungerspiele freiwillig meldet. Es ist die Chance, ganz Panem zu beweisen, was in ihr steckt. Zunächst ist sie von Stolz erfüllt - bis...