Die Fahrt im Aufzug dauert nur wenige Sekunden, doch diese reichen aus um an mir herabzuschauen und den Trainingsanzug zu mustern, den Dove uns vor dem Verlassen unseres Lofts in die Hände gedrückt hat. Ihr kommt aus Distrikt 1, da gehört es sich, bestbekleidet aufzutreten, hatte sie trällernd gesagt, und kurze Zeit später steckten Hermes und ich in grauen Einteilern, die an den Nahträndern mit breiten, goldschimmernden Linien geschmückt waren. Ich fahre mit den Fingern vorsichtig über den eng anliegenden Stoff und seufze. Einen Moment lang fühle ich mich unwohl, wieder in einer extravaganten Aufmachung die Blicke der Tribute auf mich zu ziehen, doch schnell stelle ich fest, dass der graue Stoff mir wesentlich lieber ist, als das beinah durchsichtige Kostüm das ich bei der Eröffnungsfeier trug.
Unten angekommen, verabschiedet uns Dove gleich wieder, ehe wir uns zu den anderen anwesenden Tributen gesellen. Wir bekommen ein Stück Stoff an den Rücken geheftet, und als Hermes den Rücken zu mir dreht, stelle ich fest dass es unsere Distriktnummer ist. Als wir vollzählig sind, begeben wir uns in einen Kreis, in dessen Mitte eine große Frau mit brauner Haut den Trainingsplan erläutert. Ihr Name ist Atala, und sie weist uns auf die verschiedenen Stationen in der Turnhalle hin.
Während Atala die Regeln verliest, schaue ich in die Gesichter der anderen Tribute. Viele der Jungen und Mädchen sind klein und dünn, beinahe zerbrechlich, die Augen weit geöffnet, angsterfüllt. Ich entdecke das zwölfjährige Mädchen aus Distrikt 7, das mit angezogenen, spindeldürren Beinen auf dem Boden kauert. Unter anderen Umständen hätte ich sie vermutlich für ein Kind gehalten, das nicht einmal annähernd alt genug für die Ernte ist. Sie muss bemerkt haben, dass ich sie anschaue, denn als sich unsere Blicke treffen, guckt sie panisch auf den Fußboden. Kurz frage ich mich, wie viel Überwindung es mich kosten würde, sie in der Arena an ihrem Haarschopf zu packen und ihr mit einer Leichtigkeit das Genick zu brechen, doch bei diesem Gedanken wird mir unwillkürlich übel.
Nero, der Junge aus Distrikt 2, ist mit Abstand der Größte unter uns. Mit seiner muskulösen Statur ist er beinahe doppelt so breit wie die Mehrheit der Tribute. Auch unsere anderen Verbündeten sind großgewachsen und wohlernährt, bloß Lillith, die ebenfalls aus Distrikt 2 kommt, ist für einen Karrieretribut auffallend zierlich. Wenn ich uns alle so miteinander vergleiche, bin ich dankbar, in einem wohlhabenden Distrikt mit genug Essen und Trinken aufgewachsen zu sein, denn andernfalls würde ich hier wie die Tribute aus ärmeren Verhältnissen dasitzen: mangelernährt mit spitzen, hervorstehenden Knochen und dunklen, von Müdigkeit und Krankheit umringten Augenschatten.
Zu guter Letzt fällt mein Blick auf das Mädchen aus Distrikt 5. Sie ist deutlich größer und kräftiger als ihr Distriktpartner und hängt Atala aufmerksam an den Lippen. Ihr Name ist Electra, passend zu der Spezialisierung des Distriktes aus dem sie kommt, denn er dient dafür, ganz Panem mit Strom zu versorgen. Ihre Eltern müssen wohl stolz gewesen sein, aus dem kleinen, schmutzigen Distrikt 5 zu kommen, sodass sie ihr Kind danach benannt haben. Ich finde es lächerlich.
Atala entlässt uns mit den Worten, unter keinen Umständen gegen andere Tribute während des Trainings zu kämpfen, dann gesellt sie sich zu einer von vielen Gruppen von Assistenten zu, die verstreut in der Turnhalle stehen. Hermes und ich steuern auf unsere Verbündeten zu. Es ist ein befremdliches Gefühl, gemeinsam in einem Raum mit all denen zu sein, die schon bald sterben müssen, doch ich bin zuversichtlich, mich schnell daran zu gewöhnen. Alpina und Troy schlagen vor, uns zu zeigen, wie man Angelhaken herstellt, und da niemand von uns je einmal einen gebaut hat, folgen wir ihnen zu der Station.
Es stellt sich schnell heraus, dass das Herstellen eines Angelhakens gar nicht so einfach ist, wie es sich anhören mag. Alpina arbeitet mit flinken Händen, und während Hermes und ich noch an unserem ersten Haken hängen, hat sie bereits ihren dritten angefertigt. Sie redet davon, geduldig und konzentriert zu sein, doch ich frage mich, wie ich in einer möglichen Ernstsituation in der Arena, ausgehungert und angeschlagen, Geduld und Ruhe bewahren soll. Doch irgendwann habe ich den Dreh raus und halte stolz meinen ersten, aus dem Rabenbein eines Vogels angefertigten Angelhaken in der Hand. Zu meiner Überraschung sind ich und Lillith die einzigen von uns, die es geschafft haben, einen herzustellen. Hermes hat bereits aufgegeben und bewundert stattdessen gähnend meinen Angelhaken, und auch Nero hat nach einiger Zeit genug und erhebt sich frustriert. »Schluss mit diesem Unsinn«, sagt er knapp. »Ihr findet mich im Waffenbereich.« Er wirft uns einen letzten, entnervten Blick zu, dann geht er fort.
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Die Tribute von Panem - Die Hungerspiele der Darling Valentine
FanfictionSie wurde geboren, um zu gewinnen - oder zu sterben. Darling ist achtzehn, als sie sich für die neunundsechzigsten Hungerspiele freiwillig meldet. Es ist die Chance, ganz Panem zu beweisen, was in ihr steckt. Zunächst ist sie von Stolz erfüllt - bis...