Kapitel 10

93 13 17
                                    

Mit flacher Atmung gehe ich voran und steuere mechanisch die für uns vorgesehene Sitzreihe an. Die Zuschauer klatschen und jubeln, doch alles was ich durch den Druck auf meinen Ohren höre ist mein pochender Herzschlag, der mich in allen Hinsichten betäubt. Ist Gleam tot? Sie kann nicht tot sein!, ist alles was mir durch den Kopf fährt, während ich stumpf auf meinen Sitzplatz starre, dem ich Schritt für Schritt näher komme. Meine Beine zittern so stark, dass ich befürchte, den Boden unter den Füßen zu verlieren, doch ich halte mich wacker und schaffe es auf meinen Stuhl. Hermes ist gleich neben mir. Panisch schaue ich ihn an. Er muss bemerkt haben, dass ich kurz davor bin, mein Bewusstsein zu verlieren, denn als nächstes greift er nach meiner Hand und flüstert mir etwas zu. Ich kann es nicht hören, also schüttele ich nur mit dem Kopf. Er weiß es nicht. Woher soll er auch wissen, was geschehen ist?

Während Caesar Flickerman in seinem gewohnten mitternachtsblauen Kostüm die Show einleitet, wandert mein Blick schließlich doch in die Zuschauerreihen. Das bunte Chaos an Bürgern, das dort sitzt und Caesar erwartungsvoll an den Lippen hängt, löst nur noch mehr Aufregung in mir aus. Die Stylisten besetzen in ihren absonderlichen Kleidern die erste Reihe der großen Tribüne, direkt dahinter sitzen die Mentoren aller Tribute. Ich sehe Cashmere und Gloss, Lyme und Brutus, Finnick Odair und die kleine, alte Dame neben ihm. Und ganz rechts, am Ende der Reihe, liegt ein betrunkener Haymitch Abernathy aus Distrikt 12 zurückgelehnt auf seinem Stuhl und brüllt Caesar lallend ins Wort, bevor er sich einen weiteren, großen Schluck aus seinem Flachmann gewährt.

Doch Caesar Flickerman lässt sich nicht beirren und fährt mit seiner Sendung fort. Er reißt Witze und bezieht die lachenden Zuschauer gekonnt ein. Die Fernsehteams auf einem der großen Balkone der ringsum stehenden Gebäude übertragen ihn live und in Farbe auf den großen Bildschirmen des Zentralen Platzes. Die Spielmacher, die auf einem anderen Balkon auf uns herabsehen, winken Caesar jauchzend zu und erheben dann belustigt ihre Sektgläser. Dafür ist Caesar Flickerman bekannt. Er schafft es jedes Jahr, Panem eine spektakuläre und unvergessliche Show zu liefern.

Ich fühle mich elend. Mein ganzer Körper sträubt sich dagegen, mich in Kürze zu Caesar auf die Bühnenmitte zu stellen. Liebend gerne möchte ich aufspringen, mich durch die Zuschauermengen auf den Zentralen Platz drängen und um mein Leben laufen, während tausende Gewehrschüsse der Friedenswächter an meinem Körper abprallen. Ich möchte fortlaufen, noch viel weiter, als mich meine Beine tragen können. Doch dann wird mein Name aufgerufen und ich werde ruckartig in die harte Realität zurückgeworfen. Das ist kein Traum. Ich habe mich freiwillig für die Spiele gemeldet, und jetzt muss ich mit den Konsequenzen leben.

Mein Gehör wäre beinahe wieder funktionstüchtig gewesen, doch als mich meine Beine in das Zentrum der Bühne bringen, übertönt mein klopfendes Herz jedes noch so dröhnende Geräusch um mich herum. Mühsam gehe ich geradeaus, doch bevor ich nach Caesars Hand greifen kann, knicke ich mit den Absätzen um und stürze zu Boden. Ein erschütterndes Raunen der Zuschauer hallt durch den Platz, während ich entsetzt versuche, wieder auf die Beine zu kommen. Auch das noch! Allein mit diesem Fehler werde ich bereits Sponsoren verloren haben, noch bevor ich sie mit meiner Persönlichkeit vergrault habe. Caesar reicht mir seine Hand. Dankbar ziehe ich mich an ihm hoch und richte augenblicklich mein Kleid.

»Da ist heute aber jemand wackelig auf den Beinen«, sagt Caesar, der noch immer meine Hand hält. Ich höre ein alleiniges Kichern aus den Reihen der Zuschauerplätze und halte die Luft an. Lass' dich nicht als Lachnummer darstellen, denke ich, während wir einige Schritte weitergehen.

»Ich schätze, Ihr Anblick hat mir wortwörtlich den Boden unter den Füßen weggerissen«, presse ich schließlich knapp hervor, als ich mich in den lederbezogenen Sessel neben ihn setze. Als Antwort ertönt massenhaftes Gelächter aus dem Publikum. Ein weiterer Blick in die Reihen genügt, um festzustellen, dass die Zuschauer meinen Sturz bereits vergessen haben. Einige scheinen mich förmlich anzuhimmeln, und Herren werfen mir Rosen zu, die es in hohem Bogen aber nicht bis auf die Bühne schaffen. Ich atme durch und blicke zu Boden. »Stört es Sie, wenn ich meine Schuhe ausziehe? Ich möchte meine Füße gerne noch für die Arena aufheben.« Da, da kommt der nächste Brüller.

Die Tribute von Panem - Die Hungerspiele der Darling ValentineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt