2. Kapitel

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Bei ihm

Es ist still. Nur das Radio spielt leise Musik. Ich überlege, ob es schlau wäre, dieses Schweigen zu brechen. Oder besser doch nicht? Schließlich gewinnt die Neugier. "Wo bringen Sie mich hin?" frage ich leise, mit ängstlicher Stimme. Mein Entführer schaut durch den Rückspiegel zu mir und lächelt leicht. "Na zu mir. Wohin denn sonst?" Ich zucke bloß mit den Schultern und fahre mir nervös durch mein schulterlanges, blondes Haar.

Durch das Fenster versuche ich mich zu orientieren, doch dass ich noch nie viel unterwegs war, erschwert diese Sache. Nach einigen Minuten Fahrt, habe ich keinen Plan mehr, wo ich mich eigentlich befinde.

"Du kannst gerne schlafen. Wir fahren etwas länger." "W-Wie lange?" will ich wissen. "Etwa eine Stunde." Bitte was?! Eine Stunde?! "Und wohin?" frage ich vorsichtig nach. "Wie gesagt, zu mir nach Hause." "Aber, wo lebst du?" Langsam bekomme ich mehr Mut. "In einem Penthouse." "Was?!" frage ich leicht schockiert. Er lacht. Er lacht! "Mein Opa war etwas wohlhabender. Als er dann verstorben ist, hat er rund hunderttausend Euro an mich vererbt und sein Penthouse." erklärt er. Am liebsten will ich ihn fragen, wie er so viel Geld haben kann, doch lasse es sein. Das ist etwas familiäres.

"Nun schlaf aber." meint er dann plötzlich etwas dominanter. Eingeschüchtert nicke ich. "Warte, guck. Auf der rechten Seite der Lehne gibt es einen Griff, den ziehst du nach vor, dann kannst du die Lehne zurück fahren lassen." erklärt er mir. "Okay." Ich mache einfach, was er sagt und versuche mich im Sitz zu entspannen, was nicht so klappt, wie ich es mir erhofft hatte. Immer wieder spüre ich seine Blicke auf mir.

Irgendwann fährt er in eine Tiefgarage und parkt auf Platz 26. Ich will schon die Tür öffnen, doch da versperrt er diese. Verängstigt sehe ich zu ihm. Was hat er jetzt?

Er dreht sich zu mir. "Wenn wir aussteigen, dann verhältst du dich normal, kapiert? Kein herum Gejammer, Geschrei oder sonstige Faxen, verstanden?" fragt er mit bedrohlicher Stimme und sieht mich warnend an. Ich nicke. "Du kannst sprechen." knurrt er. "J-Ja, verstanden." murmel ich ängstlich. Er schließt das Auto wieder auf und steigt aus. Ich folge ihm stillschweigend. Er packt mein Handgelenk etwas zu fest für meinen Geschmack und zieht mich durch die Tiefgarage, zu einem Aufzug. Ich werde immer nervöser.

Was hat er mit mir vor? Will er mich für seine Bedürfnisse verwenden und mich anschließend töten? Ich denke weniger, dass er Lösegeld will, wenn er sowieso so viel Geld hat.

Er drückt auf den Knopf, damit der Fahrstuhl zu uns runter fährt. Nach einigen Sekunden des stehens, öffnet sich die Fahrstuhltür. Er zieht mich in den Fahrstuhl und drückt die oberste Etage. Die Türen schließen sich, doch er lässt mein Handgelenk nicht los. Ich fühle mich immer unwohler. Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. Meiner Meinung nach, viel zu langsam. Mein Herz setzt einen Schlag aus, um gleich darauf doppelt so schnell zu schlagen, als mein Entführer mein Handgelenk los lässt, dafür aber vor zu meinen Fingern fährt und diese mit seinen verschränkt. Ich sehe nur beschämt auf den Boden. Es fühlt sich merkwürdig an, eine fremde Hand zu halten. Wobei ich sie nicht mal halte.

Endlich öffnet sich der Aufzug und keine drei Schritte vor uns befindet sich eine Tür, die der Mann aufsperrt und mich in die Wohnung schiebt. Unsicher, was nun auf mich zukommen wird, sehe ich mich etwas um. Wir befinden uns in einer Garderobe. "Eigentlich eine normale Wohnung. Es gibt die üblichen Räume wie Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Badezimmer. Nur das sich im Schlafzimmer und im Wohnzimmer eine Fensterfront befindet, ist anders." erklärt er mir und geht, wie es den Anschein macht, in die Küche. "Lass uns erstmal was frühstücken." schlägt er vor. Ich schaffe es nur zu nicken. Er macht sich an die Arbeit, legt Butter, Käse, Marmelade, Wurst sowie Semmeln und Brote auf den Tisch. "Willst du Kakao?" fragt er. "Ja, bitte." murmel ich und komme nach kurzem Zögern näher, um ihn besser beobachten zu können. Nicht, dass er mir etwas ins Getränk mischt!

Als er bemerkt, wie genau ich ihn beobachte, fängt er an zu grinsen. "Bin ich so spannend?" fragt er belustigt. Meine Wangen werden schlagartig rot. Ich habe nicht bemerkt, dass ich ihn so angestarrt habe.

Verlegen und peinlich berührt sehe ich zu Boden, während er anfängt zu lachen und den Kakao zum Tisch trägt. "Na komm. Bediene dich." grinst er und deutet auf den randvollen Tisch. Einen Moment zögere ich noch, dann setze ich mich doch zum Tisch. Dem Mann, dessen Namen ich noch immer nicht kenne, gegenüber.

Er nimmt sich ein Brot. Ich mache es ihm gleich und bestreiche es mit Butter und einer Ribisel Marmelda. Zufrieden sieht mich der Mann an. Ich meide seinen Blick und sehe die ganze Zeit über nur auf den Teller. Dann nehme ich meinen Mut zusammen und sehe hoch, direkt in seine Augen. Er zieht keck einen Mundwinkel nach oben, als würde er still sagen, dass er mich beim Starren erwischt hat, was eindeutig nicht so ist. "Was willst du von mir?" frage ich leise. Er legt den Kopf fragend schief. Ich jedoch, getraue mich nicht, meine Frage weiter aus zu formulieren. "Was meinst du mit, 'Was willst du von mir?'?" "Wieso hast du mich entführt?" "Weil du meins bist." "Wie?" frage ich geschockt über diese Aussage. "Du gehörst mir und niemanden sonst. Du bist meine Freundin, meine Frau, mein Engel. Einfach alles." Ich öffne den Mund, doch kommt kein einziger Ton aus diesem, so entsetzt bin ich von ihm gerade.

Seine Frau?! Freundin?! Engel?! Was denkt der sich?! Ich bin gerade erst 15 geworden und der ist wie alt? Okay, er sieht nicht viel älter aus, aber definitiv erwachsen. So um die 24 oder 25. Vielleicht auch etwas jünger. Seine Muskeln lassen ihn älter wirken und das Alter nur schwer schätzen.

Es tritt wieder Stille ein. Er isst sein Frühstück zu Ende, doch ich rühre meines nicht mehr an. Mein Appetit ist mir nun gänzlich vergangen. "Mi mariposa? Willst du nicht mehr?" fragt er.

Was heißt überhaupt mi mariposa?

Ich schüttel auf seine Frage hin, verneinend den Kopf. "Wieso nicht? Du hast nicht mal die Hälfte gegessen." "Keinen Hunger." "Iss jetzt." murrt er, steht auf und trägt sein Geschirr weg. Ich sehe mein Brot an.

Ich will wirklich nichts essen. Aber was wird er mit mir machen, wenn ich mich seinem Befehl widersetze?

"Du hast ja noch immer nichts angerührt." meint er, als er sich wieder zu mir umdreht. "Ich habe keinen Hunger mehr." murmel ich. Er seufzt. "Na gut. Du hast eh schon bei deinem Vater gegessen." murmelt er. "Woher weißt du das?" frage ich erschrocken. Er lehnt sich neben mir seitlich an den Tisch, verschränkt die Arme und lächelt. "Ich weiß viel mehr von dir, als du glaubst, Leonie." Ich springe auf und gehe verängstigt rückwärts.

Er kennt meinen Namen! Wie?! Ich habe diesen ihm sicher nicht gesagt!

"Woher weißt du meinen Namen?" frage ich verängstigt. Er geht langsam auf mich zu. "Weil ich dich beobachtet habe. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, konnte ich nicht mehr ohne dich. Ich brauche dich bei mir. Für immer." Die letzten zwei Wörter spricht er mit Nachdruck aus. Mein Rücken prallt gegen die Wand. Ich schlucke schwer. Er bleibt ebenfalls stehen. Gut zwei Meter vor mir. "Und die Angst, die du gegenüber mir verspürst, ist umsonst. Ich werde dir nie mit Absicht weh tun." versichert er mir.

Soll ich ihm glauben? Ihm vertrauen? Er ist mein Entführer! Aber andererseits... Ich bin hier gefangen und bezweifle, dass ich so schnell wieder von hier weg komme. Es wäre doch einfacher für uns beide, wenn ich ihm vertraue.

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