Prolog

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Amber



Gehetzt rennt Amber durch die Dunkelheit des Waldes. Die Stille, die um sie herum herrscht, wird durch das wilde Pochen ihres Herzens und das Rasseln ihrer Atmung unterbrochen, bevor ein greller Blitz den Nachthimmel erhellt, dicht gefolgt vom dunklen Grollen des Donners. Die Äste biegen sich bis zum, mit Nadeln bedeckten, Waldboden unter dem stärker werdenden Wind. Das Knarzen der Triebe, die sich an Angrenzende reiben, hallt durch die Finsternis.Doch Amber bekommt es nicht mit. Panisch blickt sie sich um, als ihre schlanken Beine sie durchs Unterholz tragen. Immer wieder schlagen dünne Äste in ihr Gesicht und reißen die weiche, helle Haut auf. Das Laub raschelt unter ihren Füßen als die gefallenen Blätter der Bäume aufwirbeln.

Gehetzt sieht sie sich abermals um, doch nur die Schwärze ist hinter ihr zu erkennen. Eine Wurzel stellte sich Amber in den Weg und mit einem Keuchen schlägt sie auf den Boden auf. Hart schluckt sie den aufkommenden Schmerz hinunter, der durch ihre Glieder wandert und unterdrückt die Tränen, die sich in den Augenwinkel sammeln. Sie muss weiter! So weit weg, wie sie ihre Beine tragen. Bis sie unter ihrem zarten Gewicht zusammenbrechen. Erst dann kann sich Amber erholen. Erst, wenn sie in Sicherheit ist.

Stöhnend rappelt sie sich auf, als sich dicke Tropfen aus den schweren, dunklen Wolken am Himmelszelt lösen und auf ihre Haare prallen. Ein Rabe krächzt in das Dickicht hinein, bevor abermals das Donnergrollen die Stille zerreißt. Immer schneller tragen sie ihre Beine, obwohl sie diese kaum noch spürt. Amber weiß nicht, wie lange sie schon rannte, oder wohin. Hauptsache weit genug weg von ihm!

Wiederholt hallt ein Poltern durch die Stille und als hätte jemand den Stöpsel gelöst, plätschern Unmengen an Wassermassen vom Himmel. Binnen Minuten sind ihre Kleider durchnässt und ihr Körper fängt unkontrolliert an zu zittern. Gleichwohl läuft Amber weiter durch die Reihen der im Wind wiegenden Bäume, in der Hoffnung zu entfliehen.

Immer wieder dreht sie sich panisch um, doch bis auf die Dunkelheit hinter ihr ist nichts zu sehen. Haben sie ihr Verschwinden bemerkt? Sind sie auf der Suche nach ihr? Würden sie Amber bald einholen? Sie wollte es nicht herausfinden, zu sehr kroch die Angst ihr Rückenmark empor. Zu stark würde sie die Panik lähmen, daher schüttelt sie den Gedanken beiseite und lässt sich von ihren schwächer werdenden Beinen durch die Finsternis des Waldes tragen.

Der Sturm wird sekündlich stärker und beängstigender. Regen prasselt auf sie hinab und erschwert ihr, zusätzlich zu der Dunkelheit, die Sicht. Der kühle Wind tost durch die Stämme der Bäume und verlangt ihr einiges ab. Immer wieder knacken Äste über Amber und lassen sie zucken. Doch sie wird nicht anhalten. Nicht, bevor sie nicht in Sicherheit ist.

Stolpernd erblickt sie am Horizont eine Lichtung und läuft darauf eilig zu. Erleichterung durchdringt ihren Körper, als sie das Ende des Waldes erkennt. Doch ungeschützt von ihm bietet die Fläche keinen Schutz und der tosende Sturm über ihr, erschwert ihr, vorankommen zunehmend. Adrenalin pumpt unaufhörlich durch Ambers Blut und lässt sie nicht aufgeben, obwohl ihr Körper bereits taub ist. Die Kälte und die Anstrengung zehren an ihr, doch ihr Wille zu leben ist größer.

Lichter tauchen in der Ferne auf und aufatmend beschleunigt sie ihre Schritte, als sie das Anwesen erblickt. In ihren Beinen hat sie kein Gefühl mehr, daher stolpert Amber immer wieder und rutscht auf dem nassen Gras aus. Keuchend krallt sie ihre Hände in die Erde, als sie ein weiteres Mal der Schwäche ihres Körpers zum Erliegen kommt.

Mit letzter Kraft rafft sie sich empor und taumelt auf die Lichter in der Ferne zu. Der harmlos wirkende Holzzaun, der das Anwesen begrenzt, scheint keine Hürde zu sein und doch kostet es Amber ihre übrig gebliebene Stärke, sich über die Balken zu ziehen. Erschöpft verliert sie die Balance und schlägt dumpf auf der anderen Seite auf. Stöhnend hält sie sich ihre Brust, die vor Anstrengung bebt. Der Regen prasselt unaufhörlich in ihr Gesicht, während Amber auf dem Rücken liegend dem dunklen Himmel emporblickt. Sie spürt nichts. Weder den Schmerz noch die Kälte. Sogar ihr Körper hat aufgehört zu zittern.

Ächzend rollt sich Amber auf den Bauch, ehe sie sich mit zitternden Muskeln versucht empor zu stemmt. Doch ihre Kraft ist aufgebraucht. Die Arme ausgestreckt, schreit sie nach Hilfe, in der Hoffnung gehört zu werden. Allerdings lässt das Donnern über ihr jede Bemühung kläglich erscheinen.

„Nein. Nicht", haucht Amber verzweifelt.

Nur noch ein Stück. Nur noch wenige Meter.

Mühselig zieht sie sich über den nassen Boden in Richtung Haus. Krallt die Finger in das grüne Gras und schiebt sich Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Doch das Anwesen bleibt in der Ferne. Mit ausgestreckten Beinen und am Ende ihrer Kräfte, bleibt Amber keuchend und mit rasendem Herz auf dem Bauch liegen. War alles umsonst? Ist sie geflohen, nur um hier draußen zu sterben?

„Nein. Ich...", flüstere sie in das Poltern des Himmels hinein.

Ambers Körper gehorcht ihr nicht mehr. Schwarze Punkte tanzen vor ihren Augen, während ihr Blick nach oben zum Anwesen, gerichtet ist. Dem Ziel so nah und doch so fern. Blinzelnd senken sich Ambers Lider schwer vor ihren Augen, ehe die Dunkelheit sie zu verschlucken droht.

Darkness-Geheimes VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt