Die Tymlos

196 21 5
                                    

Panische Schreie, hektische Schritte, und das Zerreißen von Stoff weckten mich. Kerzengerade saß ich im Bett und guckte automatisch zum Lager neben mir. Auch wenn es jetzt schon zwei Monate her war, dass Nefet ausgezogen war, war es immer noch ungewohnt für mich, das Lager neben mir leer aufzufinden. Dann wachte auch mein Verstand vollkommen auf und ich registrierte erst jetzt, was mich eigentlich geweckt hatte. Nur ein paar Sekunden später stand ich mit meinem Kurzschwert in der Hand neben meinem Lager. Auch Nossan und Ais waren sofort kampfbereit. Geschwind schlich ich zum Eingang und spähte nach draußen. „Es sind die Tymlos, die Tymlos greifen an." 

Kaum hatte ich das gesagt, war ich auch schon draußen und schlich geduckt zu Mandoo. Der Tymlo-Clan war der stärkste Clan hier im Süden. Sie machten sich nicht die Mühe Nahrung selbst zu sammeln oder Werkzeug aus Knochen herzustellen, sie nahmen sich lieber die Vorräte der anderen Clans. Außerdem brachten ihnen die blutigen Kämpfe Spaß und die Furcht und den Respekt der Clans ein. Mandoo war bereits mit seinem Dolch bewaffnet und kampfbereit, als ich zu ihm stieß. Als Heiler war es ihm strikt verboten, aktiv ins Kampfgeschehen einzugreifen und ich war zu seinem Schutz abkommandiert worden, denn ein Clan ohne Heiler war ein toter Clan.

 Ohne uns zu rühren saßen wir nun nebeneinander im Zelt und lauschten dem blutigen Gemetzel, direkt vor unserer Nase. Plötzlich drangen Schritte in mein Bewusstsein, die mich erst alarmierten, als ich registrierte, dass sie nicht von vorne kamen, sondern von hinten, von dem Hintereingang, den ich sonst benutzte. Ich fuhr genau in dem Moment herum, als die Plane ruckartig geöffnet wurde. Mein Kurzschwert gezückt vor mir, eilte ich dem Eindringling entgegen, der noch mit der Zeltplane zu kämpfen hatte. Ich holte schon zu einem gewaltigen Schlag aus, als der Tymlo sich vollständig befreit hatte und mir erstaunt entgegen blickte. Ich war direkt vor ihm und sah ihm tief in die braunen Augen. 

Mein Anblick schien ihn aus dem Konzept gebracht zu haben, jedenfalls machte er keine Anstalten die Hand mit dem Dolch zu bewegen. Endlich erwachte ich aus meiner Starre, schwang mein Kurzschwert und fügte ihm einen tiefen Schnitt an seinem Oberarm zu. Sofort ließ er seinen Dolch fallen und bedeckte die stark blutende Wunde mit seiner nun freien Hand. Mutig machte ich mit erhobenem Schwert einen Schritt nach vorne. Der Tymlo mit den schönen braunen Augen wich zurück und stolperte dabei nach hinten, sodass er durch den Eingang fiel. Mit einem erneuten Streich gegen seine Beine, denen er geschickt auswich, beförderte ich ihn nun vollständig aus dem Zelt. 

Schnell knüpfte ich die Zeltplane zu und stellte einen Tisch dagegen. Falls der Tymlo nochmal versuchen sollte, hier herein zu kommen, würden wir es zumindest früh genug bemerken. Zufrieden wollte ich mich umdrehen, als ein Schrei mir das leichte Lächeln aus dem Gesicht wischte.Ich wirbelte zu Mandoo herum und nahm sofort den Kampf gegen den Tymlo im Zelteingang auf. Noch bevor ich etwas gegen ihn tun konnte, schleuderte er mir ein Wurfmesser entgegen. Ich duckte mich und entging so dem zielsicheren Treffer auf mein Herz. Am Boden sah ich Mandoos Dolch, ergriff ihn und wich dem nächsten Messer nach rechts aus. Ich richtete mich sofort wieder auf und zielte. 

Der Tymlo stand nun aufrecht im Zelt und war unbewaffnet, jedenfalls was die Messer anging. Doch sein Körper schien mir kräftig genug, um auch ein Schwert zu werfen. Ich warf mit aller Kraft den Dolch und es erwischte ihn knapp unterhalb der Rippen. Der Luft durch den Aufprall beraubt, taumelte er rückwärts und sank schließlich an der Zeltwand entlang zu Boden. Schnell trat ich zu ihm und entwaffnete ihn, bevor ich mich umdrehte. Der Tisch stand noch unangetastet vor dem Hintereingang. Ein erneuter Angriff aus dieser Richtung war wohl nicht mehr zu erwarten. 

Erst jetzt sah ich Mandoo an und stieß einen Schrei aus, als ich den roten Fleck unterhalb seines Herzens erblickte. Ich fuhr wie ein Wirbelwind durch das Zelt, während ich alle nötigen Sachen für die Heilung zusammenmischte. Am Ende rührte ich durch eine zähe Masse aus verschieden Kräutern, darunter auch Beisnadi, eine Pflanze, die die Wunde reinigte und blutstillend wirkte. Da Mandoos Dolch noch immer in dem langsam sterbenden Tymlo steckte, nahm ich kurzerhand mein Kurzschwert und schnitt Mandoos Hemd einmal längs durch. Dann strich ich vorsichtig den Brei auf seine Wunde. Ich konnte nicht mehr tun, als einen Lappen zu befeuchten, auf seine Stirn zu legen, zu warten und zu hoffen, dass die Verletzung nicht zu tief sei und die Kräuter schnell genug wirken würden. 

Mandoo war nicht mehr der Jüngste und als ich ihm mit dem Lappen durchs Gesicht fuhr, spürte ich seinen Atem nur als sachten Hauch auf meiner Haut. Er verzog sein Gesicht schmerzhaft, als er mühsam seine Hand hob, um sie auf meine zu legen. Ich umfasste sie und rieb sie sacht. Mit seiner brüchigen Stimme sagte er leise, aber trotzdem intensiv: „Ich habe es nie bereut, dich wider der Gesetzte zum Lehrling gemacht zu haben. Du bist jetzt eine sehr fähige Heilerin, die die Pflanzen studiert hat und vielleicht sogar mehr weiß als ich. Du musst jetzt mein Amt übernehmen. Ich habe gesehen, wie weit das Messer in meinen Körper eingedrungen ist und ich mache mir keine Hoffnungen dies zu überleben. Also bitte ich dich Heilerin Siela. Bitte erlöse mich!" 

Ich schluchzte auf und legte meine Stirn auf seine. Mit der Zeit war er das geworden, was ich einen Vater nennen würde. Ihm jetzt die Nomlo zu geben, die Blume der Nacht, würde mir das Herz brechen, aber ich wusste tief in meinem Innern, dass er Recht hatte, doch ich wollte es nicht wahrhaben. „Nein!" flüsterte ich. „Bitte Heilerin, bitte!" seine Stimme wurde leiser und verstummte schließlich. Ich sah, wie der Schmerz ihm zusetzte und seine Augen mit Tränen füllte. Mit zitternder Hand angelte ich die getrocknete Blume aus dem kleinen tiefschwarzen Topf. Die roten Blütenblätter, die zur Mitte hin schwarz wurden, waren trotz der Trocknung noch kräftig und unheimlich. 

Ich zerkleinerte die Blume mit einem Stößel und fügte schließlich Wasser hinzu, damit Mandoo es besser schlucken konnte. Dann hob ich Mandoos Oberkörper in meinen Schoss und flößte ihm vorsichtig das Gebräu ein. Mandoo verzog das Gesicht, als er abermals eine Hand hob, um mir über meine Wange zu streichen. „Lebewohl mein Kind!". Meine Tränen fielen unaufhörlich auf sein Gesicht und rannen ihm das Kinn hinunter. Er hörte auf, meine Wange zu streicheln, schloss friedlich die Augen und faltete seine Hände über dem Bauch. Es wurde ganz ruhig. Draußen schien der Kampf beendet zu sein und ich lauschte in der Stille Mandoos Atem, der immer leiser wurde. Seine Brust hob sich nur noch kaum merklich und dann entwich Mandoos Körper jegliche Bewegung. 

Gefühlte Minuten saß ich regungslos neben ihm, bis ich mich vorbeugte und mein Ohr über seinen Mund hielt. Nichts. Mandoo hatte sich auf den Weg ins Reich der Götter begeben. Der Heiler Mandoo war tot.

Sintalis - Weiße RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt