Der Alene Clan

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Zwei Monate waren vergangen, seit ich vom Clan der Malos verbannt worden war. Die Zeit der Stürme von Tamis war vorbei, aber die Tage wurden kürzer und die Nächte länger. Ich wanderte sobald die Sonne aufging einem unbestimmten Ziel entgegen, hielt mich mit Pflanzen am Leben und entfachte am Abend ein Feuer um die Tiere und meine Angst zu vertreiben. Bereits wenige Wochen nach meinem Aufbruch hatte ich angefangen mit mir selbst zu reden. Um in der Einsamkeit nicht verrückt zu werden, stellte ich mir Aufgaben. Während meiner Wanderung bestimmte ich Pflanzen, Bäume oder Vogelstimmen. Ich zählte die Rezepte für die verschiedensten Mixturen auf oder sang Lieder vor mich hin.

Mein Weg führte mich nach Westen, da im Süden die Twinkikis waren und im Osten die Tymlos. Ich wusste nur von einem Clan, der hier im Westen beheimatet war: Der Alene Clan. Nossan hatte mir mal Geschichten über den Clan erzählt, der ursprünglich von einem mächtigen Oberhaupt regiert wurde, doch als er starb, entbrannte ein Krieg zwischen den drei Söhnen des Oberhaupts. Dieser Krieg war so heftig, dass er den gesamten Clan in Mitleidenschaft zog. Am Ende überlebte der mittlere der drei Brüder, jedoch hatte er durch den Krieg ein Bein verloren und konnte seinen Clan nicht mehr beschützen. Der Titel des Clanoberhauptes ging an seinen ältesten Freund. Der Überlebende blieb als Berater und seitdem wurden die Entscheidungen von ihnen beiden gemeinsam getroffen. Nossan hatte mir die Namen der Beiden genannt, doch ich hatte sie wieder vergessen. Sicher wusste ich nur noch, dass der Clan unter den Beiden wieder erblühte und sie kriegerische Handlungen seitdem abgelehnten.

Damals hatte ich mich gewundert, weshalb kein anderer Clan ihr Territorium übernahm, doch seit ich bereits seit mehreren Wochen durch die felsige Landschaft lief, die nur wenig grün bot und noch weniger Wild zum jagen, wusste ich den Grund. Auch wenn die Landschaft teilweise so kahl war, dass ich das Gefühl hatte nur noch Stein zu sehen, erblühten doch immer wieder an kleinen Rinnsalen die herrlichsten Blumen und sorgten für mein Überleben. Nur das Feuerholz fehlte hier und so schlief ich meist in einer Höhle mit dem Felsen im Rücken. Mein Schlaf war so leicht, dass ich bereits durch ein herunterfallendes Blatt geweckt wurde. Jeden Tag legte ich weniger Strecke zurück und langsam fragte ich mich, ob ich nicht besser umkehren sollte. Doch die Hoffnung vom Clan der Alene aufgenommen zu werden und mich damit nicht zu weit von meiner Familie zu entfernen, trieb mich weiter voran.

Drei Tage. Ich hatte mir noch drei Tage Zeit gegeben den Clan zu suchen, bevor ich umdrehen würde. Doch als ich am Abend des dritten Tages mein Lager aufschlug, hatte ich noch nichts gefunden. Also würde ich, sobald die Sonne am nächsten Tag aufgehen würde mich wieder auf den Rückweg machen.

Ich schrak hoch. Irgendwas hatte mich geweckt. Vielleicht wieder ein Blatt? Aber das mulmige Gefühl in meinem Bauch ließ mich an dieser Theorie zweifeln. Langsam stand ich auf und griff nach dem angespitzten Stock, den ich mir am ersten Abend geschnitzt hatte, jedoch bis heute nur als Wanderstock gebraucht hatte. „Ist da jemand?“ fragte ich in die völlige Dunkelheit vor mir. „Leg die Waffe weg Mädchen.“ Erklang eine körperlose männliche Stimme. Da ich mir eh keine besseren Überlebenschancen mit dem Stock in der Hand ausrechnete, vor allem, da der Mann ja wohl nicht alleine sein würde, warf ich den Stock so weit wie möglich von mir weg und hob die Hände mit den Handflächen nach vorne über den Kopf. Als nichts passierte rief ich erneut in die Dunkelheit: „Ich bin unbewaffnet und komme in Frieden.“ Nun vernahm ich eindeutig Schritte, die sich auf mich zubewegten. Ich rührte mich nicht und hoffte einen vom Clan der Alene zu sehen. Alles andere war so schrecklich, dass ich es mir nicht ausmalen wollte.

Schließlich stand eine dunkle Gestalt vor mir und in der Dunkelheit konnte ich nur seine Augen sehen. Er war groß und kräftig gebaut und ich bezweifelte, dass ich mit dem Stock gegen ihn was hätte anrichten können. Diese Tatsache machte mir Hoffnung, dass es sich bei dem Mann tatsächlich um ein Mitglied der Alene handelte.

„Ich bin Heiklar, Mitglied der Patrouille. Was willst du hier?“ „Ich bin Siela und war Heilerin der Malos, jetzt bin ich auf der Suche nach einem neuen Clan.“ „Heilerin? Es gibt keine Heilerinnen.“ „Ich habe das Handwerk des Heilens bei dem Heiler Mandoo gelernt und habe mein Wissen an meinen Lehrling Kyl weitergegeben.“ „Und warum bist du nicht mehr bei den Malos?“ Jetzt kam der schwierigste Teil. Zu erklären, weshalb ich nicht mehr dort war, ohne die Vorwürfe des Clans zu erwähnen. Wer wollte schon jemanden, dem vorgeworfen wird am Tod sämtlicher Männer schuld zu sein oder aber eine Spionin der Twinkikis zu sein. „Der Clan konnte mich als Heilerin nicht akzeptieren und schickten mich fort.“ Der Mann mir gegenüber schien zu überlegen, dann nahm er mich an der Hand und ich konnte mich gerade noch bücken um meinem Beutel aufzuheben, bevor er mich aus der Höhle zog. Wortlos liefen wir über Stock und Stein, wobei er keine Mühe damit zu haben schien diese zu sehen und ihnen auszuweichen, während ich über jeden Stein stolperte und jeder Ast unter meinen Füßen zerbrach.

Ich hatte keine Ahnung, wie spät es gewesen war, als wir von meinem Lagerplatz aufgebrochen waren, doch als wir schließlich beim Lager der Alene angekommen waren, versprach die Dämmerung schon den kommenden Morgen. Trotz meiner Müdigkeit und der endlosen Erschöpfung verspürte ich ein Hochgefühl. Ich hatte es geschafft, ich hatte den Clan der Alene gefunden und vielleicht würden sie mich als Mitglied akzeptieren. Heikar brachte mich zum größten Zelt in der Mitte des Lagers, welches aussah, als hätte man zwei Zelte mit einem Zwischenraum verbunden. Ohne auf sich aufmerksam zu machen trat Heiklar in den Zwischenraum. Dort saßen bereits auf zwei Stühlen zwei kräftige Männer, wobei einem Mann ein Bein fehlte.

„Willkommen beim Clan der Alene. Ich bin Teifer und das ist Waikra.“ Sagte der unversehrte Mann. Ich neigte respektvoll den Kopf und stellte mich erneut vor. „Der Clan der Malos, ja, wir haben bereits einige vom Clan der Malos aufgenommen, jedoch sah keine von ihnen aus wie du.“ Sagte Waikra und musterte mich unverhohlen, während Teifer Heiklar ein Zeichen machte, woraufhin dieser verschwand. „Nun, wir müssen noch entscheiden, ob wir dich in unseren Clan aufnehmen oder nicht. Geht bitte vorerst nach draußen, dort wirst du zu Essen bekommen. Wir werden dich zur Verkündung unserer Entscheidung wieder hereinrufen.“ Wieder nickte ich respektvoll und trat dann nach draußen.

Die Sonne war inzwischen aufgegangen und im Lager herrschte reger Betrieb. Ich ging zum großen Feuer über dem bereits ein dampfender Kessel hing und setzte mich auf einen der umliegenden steine, bis eine der Frauen am Kessel auf mich aufmerksam wurde und mir eine Schale der dünnen Suppe reichte, sowie ein Stück Fladen. Genüsslich saß ich mein Frühstück, zögerte jedoch Nachschlag zu verlangen. Eine Weile beobachtete ich das Treiben im Lager und fragte mich, welche der Clansfrauen hier Zuflucht gesucht hatten. Dann kam Heiklar und brachte mich erneut vor die beiden Oberhäupter.

„Wir haben über deine Geschichte diskutiert.“ Fing Teifer an zu sprechen und Waikra fuhr fort: „Als Heilerin wirst du hier nicht arbeiten. Wir haben bereits einen Heiler und akzeptieren keine weiblichen Heiler.“ Ein Stich traf mich, doch die Möglichkeit hier leben zu können ließ mich auch meinen Lebenstraum vergessen. „Jedoch können wir dich als alleinstehende Jungfer in unserm Clan aufnehmen. Die Frauen werden dir eine Aufgabe zuteilen.“ Führte Teifer die Rede fort. Wieder nickte ich respektvoll. Ich würde hier leben können und vielleicht könnte ich mich mit Nefet und Ais in Verbindung setzten. „Vielen Dank.“ Sagte ich und verneigte mich vor den Beiden. „Damit du dich in unseren Clan besser eingliederst, haben wir die anderen Frauen aus dem Clan der Malos kommen lassen um dich hier willkommen zu heißen.“ Sagte Waikra und deutete auf die Zeltplane, die zur Seite schwang und den Blick auf drei Frauen frei gab.

„Die weiße Hexe!“ schrie eine der drei auf, als ihr Blick auf mich fiel. Sie drehte sich um und floh vor mir. Die anderen Beiden sahen so aus, als wollten sie ihr folgen, doch Heiklar hielt sie auf. „Was hat dies zu bedeuten?“ fragte Waikra. „Ist dies nicht ein Mitglied eures alten Clans?“ Eine der Frauen, die ich als Leni erkannte trat vor: „Ja, sie war Mitglied unseres Clans. Unser Oberhaupt hat sie bei sich aufgenommen, als sie als Baby gefunden wurde. Doch dann nach dem Tod unseres Heilers spielte sie sich als Heilerin auf und nur kurze Zeit später wurden unsere Männer bei einem Überfall der Twinkikis getötet, nur weil sie sie haben wollten. Der Clan der Malos gibt ihr die Schuld am Tod unserer Männer.“ Gespannt beobachtete ich die Gesichter der Oberhäupter und noch bevor sie den Mund aufmachten, wusste ich, was sie sagen würden.

„Im Clan der Alene können wir niemanden aufnehmen, der mit den dunklen Göttern im Bunde ist.“ Sagte Teifer und Waikra fügte hinzu: „Bitte verlass uns Siela und komm nie wieder in diese Gegend.“ Geschlagen blickte ich zu Leni, die über diese Entscheidung erleichtert schien. Ich drehte mich um und verließ das Zelt. Heiklar folgte mir, doch diesmal mit Abstand. Er wies mir die Richtung und nach einem halben Tagesmarsch in die angegebene Richtung, war er plötzlich nicht mehr da, als ich mich umdrehte. Völlig kraftlos ließ ich mich auf einen Felsen sinken. Ich war erneut von einem Clan verstoßen worden. Die Trauer überkam mich und ich ließ den Tränen freien Lauf.

Sintalis - Weiße RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt