Ich wischte mir mit einem Tuch über die Stirn und betrachtete seufzend die schwarzen Schlieren, die auf dem Tuch zurück geblieben waren. Der Wagen vor mir knarrte und wirbelte Staub auf. Ich hatte versucht neben dem Wagen zu gehen um nicht mehr den Staub einatmen zu müssen, doch unsere Wachmänner erlaubten dies nicht. So stapfte ich schon seit drei Tagen hinter dem Karren her und war nun über und über mit Staub bedeckt. Wir gingen die Straße entlang, der ich bereits gefolgt war, jedoch kamen wir in dem großen Trupp nur sehr langsam voran, während ich alleine fast doppelt so schnell gewesen war. Immer wieder musste der Wagen anhalten, damit die Wachen die Umgebung überprüfen konnten. Bei jedem kleinen Geräusch wurden die Wachen nervös und suchten nach der Ursache der Geräusches. Die Stille, die uns umgab seit wir das Lager verließen schien keinem meiner Weggefährten zu behagen.
Auch ich musste mit erschrecken feststellen, dass ich am ersten Tag ohne Lärm unruhig schlief und das Gefühl hatte, dass etwas fehlte. Am zweiten Tag besserte sich dies und heute fühlte ich mich mit den Geräuschen der Natur wohl und konnte im Gegensatz zu den Wachen wieder unterscheiden, ob der Ast im Unterholz durch ein kleines Tier oder durch einen großen Menschen zerbrochen wurde. Da wir dem gleichen Weg folgten, den auch ich damals gegangen war, was mir jetzt vorkam wie aus einem anderen Leben, versuchte ich mich an die Standorte der Clan Lager zu erinnern.
In dem Tempo in dem wir vorankamen würde es leider noch zwei bis drei Tage dauern, bis wir das Gebiet des Halander Clans verlassen hatten. Und so lauschte auch ich auf jedes Geräusch, das auf die Krieger des Clans hindeuten würde. Wobei ich im Gegensatz zu unsern Wachen eher auf die Abwesenheit von Geräuschen lauschte. Clankrieger schafften es sich lautlos zu bewegen. Bei diesen Gedanken erinnerte ich mich an Vazal, der sich an Nefet heranschlich und ihr dann von hinten einen Kuss auf die Haare gab, wodurch sie aufschrie und aus Reflex nach oben ruckte. Mit der Bewegung stieß sie gegen Vazal, der immer noch über sie gebeugt war und mit einem dumpfen Laut knallten ihre Köpfe gegeneinander. Während ich nachfolgend Vazals blutende Nase versorgte, konnte er nicht aufhören zu lachen und Nefet nicht aufhören sich zu entschuldigen.
„Stopp!“ der Befehl riss mich aus meinen schönen Erinnerungen und erst jetzt bemerkte ich, dass der Karren stehengeblieben war und ich schon halb an ihm vorbeigelaufen war. Eine Wache hielt mich auf, während die restlichen Wachen durch das Gestrüpp um uns herum verstreut war und versuchte in dem dichten Wald neben uns was zu erkennen. Jetzt wo ich die Umgebung betrachtete fiel es mir auf. Es war still, nicht komplett still, denn die Schritte der Wachen waren überdeutlich zu hören, aber die Vögel und die anderen Geräusche des Waldes waren verstummt. Schnell ging ich zurück auf meinen Platz hinter dem Karren, wo die anderen Expeditionsteilnehmer standen. Sofort ging ich auf Adriana zu. „Es sind Clankrieger in der Nähe.“ Raunte ich ihr zu. Sie sah nicht sonderlich beruhigt aus: „Falls hier Wilde sein sollten werden unsere Wachen sie schon finden und vertreiben.“ Nach 10 Minuten kamen die Wachen wieder zurück und wir marschierten weiter.
Ich jedoch ließ meine Umgebung mit meinem, durch die Kindheit bei den Malos geschulten, Sinnen nicht außer Acht und so bemerkte ich nur wenig später die Schatten, die von Baum zu Baum huschten. Wir wurden verfolgt, beobachtet und analysiert. Je länger sie uns Folgen würden, desto strategischer würde ihr Angriff sein. Mein Blick galt nun unserer Gruppe und ich versuchte sie mit den Augen der Clankrieger zu sehen. Wir gingen in einer lockeren Formation mit viel Platz zwischen den einzelnen Wachen. Im Falle eines gezielten Angriffs von einer Seite bräuchte der nächste Wachposten zu lange um zur Hilfe zu eilen. Wenn eine kleine Gruppe von der einen Seite angreifen würde, würden die unerfahrenen Wachen ihren Posten verlassen und so die andere Seite unbewacht lassen. Wenn ich die Schatten in den Bäumen richtig deutete befanden sich jeweils sechs Krieger zu unsern beiden Seiten wir waren eingekesselt und nur ich hatte bisher die Gefahr erkannt. Vermutlich war der einzige Grund, weswegen sie uns noch nicht angegriffen hatten die Furcht vor den Waffen. In meiner ganzen Zeit in der Stadt der Forscher hatte ich nie die Auswirkungen dieser Waffe sehen können, doch ich kannte die Furcht, die die Clans und auch die anderen Forschern vor dieser Waffe hatten. Selbst unsere Wachen gingen sehr vorsichtig mit ihnen um.
Erneut ging ich zu Adriana um ihr von meiner Beobachtung zu erzählen. Eindringlich erklärte ich ihr, wie die Taktik der Krieger aussehen würde. Sie sah mich an, wie ein kleines Kind, was nicht aufhören wollte zu nerven und wedelte mit der Hand um mich fortzuschicken. Langsam wurde ich richtig wütend. „Jetzt reicht es mir. Wir werden demnächst angegriffen und sitzen komplett in der Falle. Wir müssen was dagegen unternehmen. Und jetzt komm mir nicht, damit, dass du sie nicht siehst. Glaubst du nicht, dass die Menschen, die hier leben jeden Stein und jeden Ast kennen und wissen, wie sie sich tarnen können und lautlos bewegen können? Wie meinst du jagen sie? Nur das wir jetzt ihr Ziel sind und nicht ein scheues Reh, welches bei jedem Laut verschwindet. Wir bieten hier ein viel besseres Ziel, also entweder du machst unsere Wachen kampfbereit oder ich sage dir, dass wir noch vor dem Abendessen Tote zu beklagen haben.“ Adriana sah mich nachdenklich an.
„Bitte. Wir müssen nur etwas Stärke zeigen, dann werden sie es vermutlich nicht wagen uns anzugreifen. Sie haben viel zu viel Angst vor den Waffen, doch bei unserer jetzigen Nachlässigkeit werden sie es vermutlich trotzdem riskieren uns anzugreifen. Ihr kennt den Halander Clan und wisst, dass er euch nicht wohl gesonnen ist und wir marschieren hier im Schneckentempo ohne Absicherung dich ihr Gebiet.“ Adriana sah mich jetzt etwas interessierter an. „Halander Clan? Fragte sie, „sind das die Wilden, die den Austausch mit uns gemacht haben?“ „Ja.“ Antwortete ich schlicht. Langsam nickte sie. Dann hob sie die Stimme „Achtung, Feind nähert sich!“ Auf diesen Befehl hin nahmen die Wachen ihre Waffen hoch und hielten sie in Angriffsstellung. „Sie sollen näher zu uns kommen, wenn sie so weit weg sind, dann lassen sie den Angreifern zu viel Spielraum.“ Adriana nickte bei meinem Vorschlag. „Bewacht den Wagen!“ rief sie. Sofort kamen die Wachen heran und gingen wachsam um den Karren herum.
Ich beobachtete weiterhin die Schatten um mich herum während wir angespannt weitergingen. Plötzlich zerriss ein ohrenbetäubender Laut dir Stille. Einer der Wachen hatte seine Waffe abgefeuert. Direkt auf den Wald. Augenblicklich ertönte von dort ein spitzer Schrei. Dann ging alles schnell. Wie ein summender Schwarm von Insekten kam die Antwort in Form von Pfeilen auf uns zu, instinktiv duckte ich mich und rollte unter den Karren. Ich hörte wie die Pfeile mit dumpfen Lauten den Karren trafen und dann gleich darauf fünfmal der Knall der Waffen. Der Einschlag der abgefeuerten Kugeln verursachte ein großes Getöse, doch dann kehrte Stille ein.
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Sintalis - Weiße Rose
Historical FictionSiela lebt im Clan der Malos bei ihren Adoptiveltern, dem Clanoberhaupt Nossan und seiner Frau Ais. Scheinbar unüberwindbare Hindernisse trennen sie von der Welt ihres Adoptivclans und machen ihr das Leben schwer: Vorurteile, Mistrauen und Verschwör...