Alle im Zelt duckten sich auf den Boden und Nefet schützte ihr Kind. Nach der Schrecksekunde ertönten Schreie vor dem Zelt. Nefet schnappte sich Mayra und lief in den hinteren Teil des Zeltes, während wir anderen vorsichtig aus dem Zelt lugten. In der Mitte des Lagers zeigte sich eine schreckliche Szene. Drei kleine Kinder, ein Junge und zwei Mädchen standen mit Tränen überströmten Gesichtern neben dem großen Feuer. An ihre Kehlen hielten Gael, Andrés und José je ein Messer. Die anderen Expeditionsteilnehmer standen mit den Waffen im Anschlag um sie herum. Es schien, als hätte Mark den Schuss abgegeben, da er wieder dabei war sein Gewehr zu laden. Ich sah keine Verletzten oder Löcher in der Umgebung, daher nahm ich an, dass es ein Schuss war, der ihnen Respekt und die Aufmerksamkeit aller einbringen sollte.
Kaum hatte Berina die Forscher erblickt, packte sie mich, hielt meine Hände auf den Rücken fest und den Mund zu. Von dem Schauspiel zu sehr gefangen, leistete ich nicht die geringste Gegenwehr. Adriana wartete, bis sich die meisten auf dem Platz versammelt hatten, dann erhob sie die Stimme: „Anführer sprechen!" rief sie. „Ich bin Ais zusammen mit dem Rat der Ältesten leite ich diesen Clan." Ais trat vor. Zum ersten Mal fiel mir der Kontrast zwischen Adriana und Ais auf, die beide Anführer waren. Doch während Adriana eine natürliche Strenge und Autorität ausstrahlte wirkte die zarte, kleine Ais eher so, als würde sie beim ersten Windhauch umkippen. Trotzdem waren sie beide geborene Anführer.
„Ich Adriana. Ihr habt Mann Nael getötet. Wir wollen Rache." „Auch wir haben einen Verlust zu beklagen. Es handelt sich dabei um den Mörder eures Mannes. Die Schuld ist damit ausgeglichen." Versuchte Ais zu erklären. Adriana legte den Kopf schief und schien tatsächlich darüber nachzudenken. Ein Funke Hoffnung entzündete sich in mir, dass es vielleicht doch ein friedliches Ende geben könnte. Doch auch Gael hatte die Geste bemerkt. In der Sprache der Forscher redete er auf Adriana ein. „Das können wir doch nicht so hinnehmen, die können ja behaupten, was sie wollen. Ich will Rache für den Tod meines Bruders und den Überfall." Ich sah, wie Adriana ihm aufmerksam zuhörte, jedoch zögerte es zu übersetzten. Ich wollte ihnen zurufen und es ihnen erklären, doch die Hand auf meinem Munde hinderte mich.
Adriana machte noch immer keine Anstalten etwas zu sagen und der Hoffnungsschimmer wuchs. Doch eine kleine Bewegung neben mir, ließ ihn wieder vollständig erlöschen. Tlen drängte sich nach vorne und begann zu sprechen. „Die Schuld ist nicht ausgeglichen. Ihr seid Fremde, die in dieses Land gekommen seid. Wärt ihr nicht in dieses Land gekommen, wäre Fenira nicht tot. Die Schuld, die auf euch lastet, ist größer, als dass man sie mit einem unbedeutenden Tod aufwiegen könnte." Ich schloss die Augen und wusste auch ohne hinzusehen, wie sich Adrianas Gesicht rot färbte. Es war ein Glück, dass Gael die Sprache nicht gut genug beherrschte um Tlens Worte zu verstehen, sonst würde es schon jetzt Tote geben.
„Unbedeutender Tod. Nael, Bruder, geliebt. Ihr angegriffen ohne Grund, wir verteidigen. Ihr habt Schuld. Ihr bezahlen." Schrie Adriana. „Ihr gehört nicht in diese Welt mit magischen Waffen, die nur Unheil bringen. Es war unser Recht unser Land zu verteidigen." Entgegnete Tlen. „Aufpassen was du sagt. Wir hier eure Kinder, wir töten Kinder." Adriana gab ein Zeichen und Andrés drückte sein Messer so stark gegen die Kehle des Jungen, dass Blut floss und der Junge aufheulte. Dann brach das Chaos aus. Die Mutter des Jungen schrie verzweifelt und auch die Familien der anderen schrien aus Angst um die Kinder. Adriana und Tlen schrien sich gegenseitig an. Die Bogenschützen des Clans kamen herbei und bezogen Stellung. Je ein Pfeil auf einen der Forscher gerichtet. „Schluss, ruhig. Aufhören" schrie Ais, doch Tlen übertönte sie. Ais griff Tlen am Arm um sie zu beruhigen, doch diese hatte sich in Rage geredet. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich den ganzen Hass, der durch meine Anwesenheit jahrelang geschürt worden war, endlich loslassen müsste.
Bei dem Streit ging es längst nicht mehr um Nael und Fenira. Es ging um das Recht der Anwesenheit der Forscher in dem Land. Auch wenn beide auf ihren Meinungen bestanden, so brachten sie beide doch keine vernünftigen Argumente vor. Die Diskussion, die allein von Adriana und Tlen geführt wurde und so offensichtlich zu keinem Ergebnis führte verwirrte und verunsicherte die Clanmitglieder. Auch meine Wächterin entspannte sich etwas und lockerte den Griff um meine Hände. Mehr brauchte ich nicht.
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Sintalis - Weiße Rose
HistoryczneSiela lebt im Clan der Malos bei ihren Adoptiveltern, dem Clanoberhaupt Nossan und seiner Frau Ais. Scheinbar unüberwindbare Hindernisse trennen sie von der Welt ihres Adoptivclans und machen ihr das Leben schwer: Vorurteile, Mistrauen und Verschwör...