Nach dem Kampf

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Die Wirkung des Tees tat uns allen gut. Obwohl wir die ganze Nacht kein Auge zugetan hatten und in der ganzen Zeit angespannt waren, waren wir körperlich und geistig vollkommen wach, als jetzt der Kampflärm endlich nachließ und schließlich verstummte. Ich spähte vorsichtig nach draußen, während Nefet hinter mir den Bogen bereit hielt. Der Dorfplatz war übersät von Männern, die auf dem Boden lagen. In dem Licht der aufgehenden Sonne erkannten wir, dass der Mann vor unserm Zelt, den Nefet getötet hatte ein Tymlo war. Doch mich erschreckte wie jung er war, er konnte kaum älter als ich gewesen sein. Sofort schossen mir unliebsame Gedanken durch den Kopf. Ob er wohl Familie hatte? Oder war er gerade dabei eine zu gründen? Würde in seinem Zuhause die Frau oder die Geliebte in Tränen ausbrechen?

Ich schaffte es nicht schnell genug diese Fragen zu verbannen, sodass ich wohl ein paar Sekunden wie versteinert auf den toten Körper geblickt haben musste, jedenfalls schaute mich Kyl fragend an: „Oh entschuldige, was hast du gesagt?" „Wir müssen ein Krankenlager einrichten und Männer finden, die sich um die Leichen kümmern." Wiederholte Kyl ausdruckslos. Zum ersten Mal war ich froh über seine kühle, berechnende Art, mit der er Fakten sammelte sich von Emotionen ablenken zu lassen. „Ja genau." Ich blickte mich nochmal im Lager um und dann trat ich gefolgt von Nefet und Kyl aus dem Zelt. Auch die anderen, die sich hatten verstecken müssen krochen jetzt aus ihren Zelten und wir alle versammelten uns in der Lagermitte. Die Krieger sahen unglaublich erschöpft aus und ich konnte bei jedem von ihnen mindestens eine kleine Verletzung erkennen.

Da ich Nossan nirgends entdecken konnte, ergriff ich das Wort: „Wir bauen wieder ein Krankenlager auf. Wir errichten neben dem Heilerzelt ein weiteres Zelt." Ich zeigte auf drei Frauen und vier Männer, die allesamt zwar müde, aber ansonsten stark genug aussahen: „Ihr werdet dieses Zelt errichten, Stäbe und eine Plane dafür findet ihr hinten im Heilerzelt." Die sieben machten sich sofort auf den Weg, während ich weitere Krieger bemerkte, die aus dem Wald kamen, zwei an ihnen trugen einen Verletzten und einer stützte einen weiteren. „Die Verletzten werden wie beim letzten Mal nach der schwere ihrer Verletzungen eingeteilt. Die schwerverletzten in das Zelt, die nicht ganz so schwer verletzten auf Decken erst einmal vor dem Zelt bis wir wissen, wie viel Schwerverletzte es gibt. Die leicht verletzten, die nicht mehr gehen können, können sie zu ihnen gesellen und vielleicht noch helfen. Der Rest hilft den Verletzten und schafft die Toten weg."

Ich blickte mich um und entdeckte Nefet, die dicht an Vazal geschmiegt da stand. Es freute mich, dass es ihm gut ging, wenn man von der langen Wunde auf seiner Stirn mal absah, aus der allerdings kein Blut mehr rann, trotzdem würde es eine große Narbe geben. „Nefet" Ich winkte ihr sodass sie sich von Vazal löste und auf mich zukam. „Bitte nimm dir ein paar Frauen, die immer frisches Wasser und Verbände besorgen." Plötzlich kam Unruhe in die Menge, die immer noch im Kreis um mich herumstand. Jemand drängelte sich nach draußen und erst als sie es geschafft hatte erkannte ich Ais, die so schnell sie konnte auf Nossan zurannte, der gerade aus dem Wald getreten war. Schnell überzeugte ich mich, dass er außer einer Wunde am Bein und ein paar Kratzern in Ordnung war, dann forderte ich die Menge auf sich so schnell wie möglich an die Arbeit zu machen und ging mit Kyl zum Heilerzelt.

Die Arbeiten an dem zweiten Zelt gingen gut voran und es würde bald fertig sein. Auch der Rest klappte reibungslos, die Toten waren schnell weggeschafft und die Schwerverletzten lagen alle im Krankenlager und Kyl und ich hatten alle soweit versorgt, sodass niemand mehr in Lebensgefahr schwebte. Die anderen Verletzungen stellten sich fast alle als nicht wirklich schwerwiegend heraus und wir konnten die meisten mit Salben oder Kräuterpackungen wieder wegschicken. Für die paar die noch übrig blieben wurde noch Platz im Krankenlager gefunden. Nachdem dies alles erledigt war, war es fast Mittag und ich schickte Kyl mit dem Auftrag etwas zu essen und sich dann bis zum frühen Abend zu schlafen weg. Ich selbst blieb im Krankenlager und kümmerte mich um die Schwerverletzten, einige von ihnen waren zwar im Moment nicht in Lebensgefahr, aber sie mussten rund um die Uhr betreut werden.

Am frühen Abend kam Kyl wieder und übernahm die Wache bei den Schwerverletzten mit der Order mich bei der kleinsten Veränderung zu wecken. Etwa um Mitternacht erwachte ich wieder, ich fühlte mich nicht sonderlich erholt, aber es reichte um Kyl wieder ablösen zu können. Schnell wusch ich mich und zog mir frische Kleider an und ging dann zum Krankenlager, wo ich einen schlafenden Kyl antraf. „Lass ihn doch schlafen!" kam Nefets Stimme aus dem hinteren Teil des Zeltes, als ich gerade ärgerlich meinen unzuverlässigen Lehrling aufwecken wollte. Sie kam heran und blickte mich forschend an. „Er hat mir alles erklärt und mir das Versprechen abgenommen, ihn und dich sofort zu wecken, wenn sich irgendwas tut." Sie blickte mitfühlend zu Kyl „Der Arme war völlig fertig und ist immer wieder vor Müdigkeit beinahe vom Stuhl gefallen. Du siehst übrigens auch nicht viel besser aus." 

Ich machte eine wegwerfende Geste mit der Hand und schloss dann Nefet in die Arme. „Danke!" flüsterte ich ihr ins Ohr. Wir umarmten uns lange und ich fühlte mich schon um einiges besser. „Was macht Vazals Verletzung?" „Ich habe seine Wunde gereinigt und verbunden" Ich griff über Kyl hinweg zu den Vorräten, die wir aus dem Heilerzelt hierher gebracht hatten, holte ein kleines Gefäß mit Salbe raus und gab sie Nefet. Es war die Salbe, die ich Kyl die letzten Tage zuhauf habe machen lassen, bis er sie zur Perfektion beherrschte. „Hier, damit sich seine Wunde nicht entzündet." „Danke!"

Mit Kyls und Nefets Hilfe fingen die Verletzten schnell wieder an zu genesen, sodass wir täglich Leute aus dem Krankenlager entlassen konnten. Ich spürte deutlich die Erleichterung des Clans, der bei diesem schrecklichen Angriff zwar viele Schwerverletzte zu beklagen hatte, von denen einige sich nie wieder vollständig erholen würden, aber es keine Tote gegeben hatte. Ich hörte wie sie Kyl für seine Arbeit beglückwünschten und ihn lobten. Ich hätte mich für ihn freuen sollen, dass er als Heiler vom Clan so gut aufgenommen wurde, aber der Stachel der Eifersucht saß tief.

Inzwischen waren schon fast vier Monate seiner Ausbildung herum und durch seine Fähigkeit sich die Theorie auf Anhieb zu merken, machte er in den Augen des Clan sehr große Fortschritte. Ich versuchte weiterhin im den Umgang mit Verletzten beizubringen. Zwar machte er Fortschritte, doch es war noch ein langer Weg, bis er Patienten vollkommen alleine würde behandeln können. Auch das Ritual des Zusammenschlusses zweier Menschen hatte er bisher nur in der Theorie erlebt. Zudem gab es, den Göttern sei Dank, keinen weiteren Angriff, jedoch konnte ich so nicht beurteilen, wie Kyl im Ernstfall agieren würde. Würde er es schaffen verängstigten und eventuell trauernden Menschen nach einem Kampf mitfühlend zu begegnen?

Aber ich wusste, dass der Rat der Meinung war, dass das was Kyl bisher wusste, genügte. Ich wusste, dass sie mich bald dazu zwingen würden mein Amt als Heilerin an Kyl zu übergeben. Von diesem Moment an wäre ich das nutzloseste Mitglied des Clans. Eine Last. Jemand ohne eine Aufgabe, die dem Wohlergehen oder dem Fortbestehen des Clans diente. Mein Einziger Halt war meine Familie. Während Ais und Nossan sich immer mehr aus dem Leben ihrer erwachsenen Töchter zurückzogen, fanden Nefet und ich unsere Schwersternliebe wieder. Wir besuchten uns jeden Tag und erzählten uns alles. Ich ertappte mich dabei, wie sich langsam eine Routine einstellte, mit der ich immer zufriedener wurde. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl meinen Platz im Clan gefunden zu haben.

Sintalis - Weiße RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt