Ketten

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Samra trat aus dem vollen Wohnzimmer auf den Balkon und sah in den grauen Himmel, während er sich eine Kippe anzündete. Er brauchte einen kurzen Moment allein. Es war komisch nach so vielen Tagen plötzlich wieder unter so vielen Menschen zu sein. Dabei waren sie nur zu acht: Lia, Capi, Magnus, Bu, Lukas, Vincent, Constantin und eben er selbst. Gleichzeitig tat es aber auch gut wieder über andere Themen reden zu können. Lockerer. Es war lockerer. Lia schien die zwei Stunden, die er am Tag zuvor die Wohnung verlassen hatte, jedenfalls gut genutzt zu haben. Effektives Mädchen. Zwei Stunden, in denen er planlos durch die Straßen geirrt war und gar keine Ahnung hatte, was er eigentlich mit sich und der Zeit angefangen sollte. Das war auch komisch gewesen. Dabei sollte er sich so langsam schon mal wieder daran gewöhnen, Lia nicht ständig um sich herum zu haben. Eigentlich hätte er einfach in seine Hood fahren können und mit alten Freunden abhängen. Nur... irgendwie gab ihm schon der Gedanke daran, sich in einer viel zu kleinen Wohnung zu bekiffen und über die immer gleichen Themen zu reden, gerade gar nichts mehr. Diese blonde Kahba macht jemanden aus dir, der du gar nicht bist. Ja, Mann, vielleicht hatte er sich verändert, seit er Lia kennengelernt hatte, aber war das unbedingt etwas Schlechtes? Keiner von ihnen blieb doch immer genau so, wie er als Jugendlicher gewesen war. Alter, das wäre auch eine kranke Welt, wenn es so wäre.

Er nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette und lächelte leicht. Lia hatte es wirklich geschafft, ihm bis hierher einen wirklich besonderen Geburtstag zu bescheren. Ihm hätte schon der Geburtstagskuchen und die Dekoration, die sie angelehnt an seine Malboro Rot Liebe in weiß und rot gehalten hatte, gereicht, um... ja, beinah gerührt zu sein. Sie schaffte es oft mit ganz kleinen Dingen und ohne, dass sie es wahrscheinlich bewusst tat, ihm das Gefühl zu geben, ihr viel zu bedeuten. Ihr Geschenk, was sie natürlich schon vor dem Entzug besorgt hatte, hatte ihn sofort zum Lächeln gebracht: Eine Sanduhr, die optisch perfekt in seine Wohnung passte. Eine Sanduhr, in deren Ständer eine Wolke eingraviert worden war. Die kleine Karte, die an ihr hing, hatte ihm zum Lachen gebracht: Die fand ich dann doch etwas stilvoller als deine damalige Interpretation der Wolken ;)

„Na, genug Eigenbrödlerzeit oder soll ich mich nochmal verpissen?", kam es von Magnus, der neben ihn trat und ihn angrinste. „Wieso? Hast du so große Sehnsucht?", fragte er mit einem gespielt arroganten Ton. Der Blonde grinste spöttisch: „Ne, ich wollte mir nur eine Kippe schnurren." Er musste schmunzeln. Vielleicht hatte er Lias Zwilling sogar etwas vermisst. „Dann frag wen anders. Capi oder so", erwiderte er mit einem Schulterzucken. Magnus Grinsen wurde sofort noch etwas breiter: „Ernsthaft? Lass mich raten: Du willst nicht, dass meine Schwester denkt, dass du mich zum Rauchen bringst. Süß. Ich seh schon, 24 Stunden mit ihr festzuhängen, hat dich auch nicht abgeschreckt." Okay, das mit dem Vermissen nahm er zurück. Ihm war kurz entfallen, wie anstrengend es war, dass der Jüngere ihn immer zu durchschauen schien. „Ich hänge noch ein paar Tage mit ihr hier fest. Da riskiere ich doch nicht, dass sie sauer auf mich ist", wich er aus, obwohl er schon wusste, dass Magnus ihm das eh nicht abnahm. Magnus lachte: „Oh ja und wir wissen ja wie furchtbar nachtragend... ach ne, ist sie ja gar nicht." Sagte er ja.

„Wie wars Zuhause?", fragte er. Themenwechsel, aber auch ehrliches Interesse. Er versuchte immer noch den Blonden zu durchschauen. So ganz wollte ihm das einfach nicht gelingen. Magnus ging, zu seiner Überraschung, kommentarlos darauf ein: „War eigentlich die meiste Zeit in Husum. Oben über dem Verlag ist direkt am Hafen ein ziemlich geiles Loft. Bin momentan mal wieder nicht so richtig gern bei uns Zuhause. Ohne Lia und Tristan im gleichen Haus ist es einfach zu leer. Im Gegensatz zu Lia bin ich echt nicht gern allein und bei uns Zuhause lebt man ja fernab von aller Zivilisation. Na ja und immer nur allein mit Tristan und Isi die Abende zu verbringen, ist auch etwas, was ich mir nicht antun will. Gleiches gilt für meine Eltern. Dann lieber in Husum, wo ich nur aus der Tür muss und da sind Menschen. Außerdem habe ich eh viel Zeit mit Onkel Johannes verbracht. Lange Arbeitstage. Dieses Mal wollte er es anscheinend wissen. Ungewohnt, normalerweise ist er deutlich entspannter." Kurzes Zucken mit den Mundwinkeln. Starrer Blick, der definitiv nicht die Häuser gegenüber wahrnahm. Er klang nicht unbedingt glücklich. Samra sah ihn nachdenklich an: „Wie ist das überhaupt geplant? Mit dir und den Verlag, mein ich. Klingt irgendwie nicht so, als wolltest du wieder Zuhause wohnen."

Odyssee |Capital Bra & Samra|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt