Totalschaden

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Als Capi sich wieder an den Tisch setzte, warf er Lia, die gegenüber von ihm zwischen Anna und Samra saß, einen prüfenden Blick zu. Wahrscheinlich hatte er das schon auffällig oft getan seit sie hier waren. Aber er konnte sich einfach nicht entspannen. Er konnte sich einfach nicht so recht auf die Gespräche konzentrieren, weil er in einer Tour damit beschäftigt war, den Raum zu scannen. Lia hatte die leise Hoffnung gehabt, dass Louis an diesem Abend nicht arbeiten würde. Capi hatte nicht geglaubt, dass sie so viel Glück haben würden. Und er hatte recht gehabt. Kaum hatten sie das Restaurant betreten, hatte er am Empfang schon vor ihnen gestanden und Lia mit diesem spöttischen Grinsen gemustert. Fröhlich hatte er erzählt, dass er an diesem Abend die Leitung hatte, da seine Eltern Hochzeitstag feiern würden. Diese Nachricht hatte dafür gesorgt, dass Lia noch angespannter gewirkt hatte als auf der Hinfahrt. Diese Anspannung hatte sich sofort auf Capi übertragen und war auch nach einer Stunde, in der sie Louis nicht mehr zu Gesicht bekommen hatten, nicht verschwunden. Das Gute daran, dass Louis die Leitung an diesem Abend hatte, war, dass er sie nicht bedienen konnte. Lia wirkte mit jeder Minute entspannter. Wenn man sie nicht gut kannte, könnte man glauben, dass alles in bester Ordnung war. Aber er sah, wie sie alle paar Minuten einen nervösen Blick über ihre Schulter warf. Er sah, dass sie etwas zu steif und gerade saß und er war sich sicher, dass Samra neben ihr es ebenfalls sah. Samra, der auf ihn eingeredet hatte, dass er Lia nicht mitbringen sollte. Dass er entweder Anis um eine andere Lokalität bitten sollte oder einfach etwas anderes mit ihr machen sollte. Aber Lia war stur und wollte unbedingt hierherkommen. Wahrscheinlich wollte sie sich selbst etwas beweisen. Das kannte er aus eigener Erfahrung. Gott, hoffentlich würde das Tilidin, das er eben genommen hatte, bald wirken. Er wusste, dass es wahrscheinlich nicht die richtige Situation, soweit es die überhaupt gab, dafür war, aber er musste einfach sein Kopf frei bekommen. Lia und er hatten sich sowieso schon darauf geeinigt, dass sie fahren würde.

"Anis hat mir erzählt, dass du gerade deinen Master machst. Oder besser gesagt zwei. Macht man nicht eigentlich nur einen?", fragte Anna Lia gerade. Capi hatte die Frau von Bushido noch nicht sehr oft gesehen und war sich noch nicht ganz sicher, ob er sie mochte oder nicht. Oder ob sie ihn mochte oder nicht. Es war jedenfalls keine sofortige Sympathie zwischen ihnen. Aber an Lia schien sie tatsächlich interessiert zu sein. Lia, die ihre Haare heute hochgesteckt hatte, lächelte etwas verlegen: "Ja, eigentlich schon. Ich würde gern an der Uni bleiben und in der Geschichtsforschung arbeiten. Da mein Onkel aber einen eigenen Verlag hat und es gut sein kann, dass ich in diesem mehr mithelfen werde, habe ich mich dafür entschieden auch noch einen Master in Germanistik zu absolvieren." Capi lächelte leicht. Sie war einfach unglaublich ehrgeizig. "Beeindruckend. Sind deine Brüder auch so zielstrebig?", fragte Lukas, der links neben Capi saß, neugierig. "Mein großer Bruder schon. Er hat Medizin studiert und macht gerade seinen Assistenzarzt. Mein Zwillingsbruder ist etwas... entspannter. Er wird den Verlag mal übernehmen und studiert daher BWL", antwortete Lia, während Capi spürte, wie die Wirkung der Droge langsam einsetzte und sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht schlich. "Und Bitches", warf Samra lachend ein, was ihn ebenfalls zum Kichern brachte. Er konnte sich gut vorstellen, dass Magnus das tat. Lia lächelte etwas gezwungen: "So würde ich es nicht ausdrücken, aber ja, er genießt die Studienzeit." "Capi hat sich mit dir auf jeden Fall nicht nur eine schöne, sondern auch noch intelligente Frau ausgesucht", rettete Bushido, der rechts von Capi saß, die Situation mit einem charmanten Kompliment. Anna, die Capi gerade mit einem Blick musterte, der alles andere als angetan wirkte, stimmte ihrem Mann zu: "Allerdings. Kaum zu glauben, dass er so ein Glück hat."

Capi war sich sicher, dass sie damit andeuten wollte, dass er nicht gut genug für Lia war. Nicht klug genug. Nicht gut aussehend genug. Er fixierte sie und war kurz davor ihr deutlich zu sagen, was er später, wenn er wieder klar war, sicher bereut hätte, dass sie sich ihre Andeutungen in den Arsch schieben könnte, als plötzlich sein größtes Hassobjekt hinter Lia auftauchte. "Ist bisher alles zu eurer Zufriedenheit oder kann ich noch etwas für euch tun, bevor das Dessert kommt?", fragte Louis mit einem charmanten Lächeln, während er wie selbstverständlich seine Hände auf Lias Stuhllehne abgelegt hatte. Sie war augenblicklich als sie seine Stimme gehört hatte, an den Rand ihres Stuhls gerutscht und sah wieder aus als würde sie jeden Moment aufspringen und weglaufen. "Die Vorspeise und der Hauptgang waren mal wieder fantastisch, Louis", antwortete Anna begeistert mit einem warmen Lächeln. Natürlich mochte sie den Kerl und kannte seinen Namen, schoss es Capi durch den Kopf. Louis lächelte: "Das freut mich sehr." Während er antwortete, hatte er sich etwas vorgebeugt und wie zufällig Lias Rücken mit der Hand berührt. In Capi brodelte es und er presste die Zähne aufeinander, um seine Wut zu unterdrücken. Lia würde nicht wollen, dass er eine Szene machte. Am liebsten hätte er ihm die Scheißhand gebrochen. Ehe er aber irgendwas tun konnte, knurrte Samra: "Fass sie noch einmal an, du Hurensohn, und ich reiß dir die Finger einzeln aus." Puh, das war sogar noch bildlicher als seine Gedanken. Er war Samra dankbar, dass er sich so merkwürdig oft für sie einsetzte. Immer dann, wenn Capi es selbst nicht konnte.

Odyssee |Capital Bra & Samra|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt