Schlagschatten

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Das gleichmäßige Rauschen, das die Reifen des Busses aus der Straße verursachten, war das einzige Geräusch. Lia und Vladislav saßen sich an dem Tisch in seinem Tourbus gegenüber und versuchten beide irgendwie einen Anfang für dieses Gespräch zu finden. Letztlich war es er, der als erster etwas sagte: „Es tut mir leid, Amalia. Ich weiß, dass ich es dir viel früher hätte sagen müssen. Ich wusste nur einfach nicht wie. Oder wann. Irgendwie war die ganze Zeit schon irgendwas, was es sowieso schon verkompliziert hat. Ich hatte einfach eine Scheißangst, dass ich dich damit endgültig verschrecke. Ich meine, das ist was anderes als die Drogen. Wenn es gut läuft, komm ich von denen weg. Meine Söhne sind etwas, was ich nicht ändern kann und auch nicht will.“ „Ich hätte es einfach gern gleich gewusst. Dann hätte ich gewusst, worauf ich mich einlasse. Es ist nun mal ein anderes Leben, das wir zusammen haben könnten, wenn da noch zwei Kinder aus einer vorherigen Beziehung sind. Ich bin ein Planmensch. Unvorhersehbare Dinge machen mir einfach Angst. Und es tut weh, dass du mir das verschwiegen hast“, antwortete sie schließlich und hoffte, dass sie nicht zu vorwurfsvoll oder hart klang. Weil sie das eigentlich gar nicht wollte. Sie wollte nur, dass er verstand, warum diese Nachricht für sie so schwierig zu verarbeiten war.

„Ich kann verstehen, wenn dir das zu viel ist. Du bist ja nochmal jünger als ich. Aber… aber ich hoff einfach, dass du trotzdem bleibst“, erwiderte er mit brüchiger Stimme. Ihr Blick blieb an seinen leicht zitternden Händen hängen, weil sie ihm gerade nicht in die Augen sehen konnte. Sie war nicht bereit für den Schmerz, den sie in ihnen vermutete. Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie wollte bleiben, weil sie ihn liebte. Aber gleichzeitig wusste sie nicht, ob sie für dieses Leben gemacht war. „Ich war mehr als einmal bei dir Zuhause. Wie kann es sein, dass ich da nie auf die Idee gekommen bin, dass du Vater bist?“, fragte sie leise und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bei dem Wort ‚Vater‘ leicht bebte. Er fuhr sich durch die Haare: „Die Jungs haben kein Zimmer in meiner Wohnung, weil sie sowieso nicht bei mir schlafen. Bisher waren sie zweimal in der Wohnung. Ich habe im Büro eine Kiste mit Spielsachen, das wars.“ „Wann und wo siehst du sie dann?“, fragte sie weiter und zog die Beine an ihren Körper. „Ich seh sie alle paar Tage für ein oder zwei Stunden. Meistens in meiner alten Wohnung, die ich Irina bei der Trennung überschrieben hab. Hin und wieder bringt Irina die beiden auch zu meiner Mutter“, erzählte er und versuchte tapfer zu lächeln. Tatsächlich sah er aber einfach nur traurig aus.

„Das reicht dir aber eigentlich nicht“, stellte sie fest. Er seufzte leise: „Nein, das reicht mir nicht. Ich vermisse die beiden. Aber besser so als gar nicht. An Irinas Stelle würde ich die Jungs auch nicht zu mir bringen. Du hast es ja in den letzten Wochen gesehen: Auch wenn ich versuche mich selbst davon zu überzeugen, hab ich schon lange die Kontrolle über meine Sucht verloren. Ich bin absolut nicht in der Lage, mich allein um die beiden zu kümmern. Sie haben sowieso schon zu viel mitbekommen, als Irina und ich noch zusammen waren.“ Ja, sie konnte seine Ex verstehen. Sie dachte daran, wie er die Nerven im Restaurant verloren hatte. An die Sache im Bad nachdem er die Nummer von Shindy gefunden hatte. An ihren ersten Besuch im Studio. In dem Zustand sollten seine Kinder ihn wirklich nicht sehen. Gleichzeitig merkte sie aber auch, wie ihr Herz auch ein wenig für ihn brach. Dieser Schmerz… wie hatte sie den nicht sehen können?

„Erzähl mir von den beiden“, bat sie leise. Er sah sie überrascht an, zögerte kurz und fing dann an: „Ilja ist der Wildfang von den beiden. Immer in Bewegung. Immer Blödsinn im Kopf.“ „Ganz der Papa“, murmelte sie mit einem ehrlichen Lächeln. Sie mochte das Leuchten in seinen Augen, wenn er von seinen Söhnen sprach. Er warf ihr ein leichtes Lächeln zu, ehe er weitersprach: „Seit er reden kann, hört er gefühlt gar nicht mehr damit auf. Ehrlich, manchmal spricht er sogar im Schlaf.“ „Mischa ist ruhiger. Er ist eher zurückhaltend. Schüchtern, du weißt? Er ist ziemlich anhänglich. Ist gern auf dem Arm. Kuschelt gern. Aber wehe er sieht ein Auto. Dann ist er total aufgeregt. Autos und Hunde“, ein sanftes Lächeln war auf seinem Gesicht aufgetaucht, während sein Blick ganz weit weg wirkte. „Das kann ich verstehen. Hunde sind toll“, stimmte sie zu. Sie war überrascht darüber, wie sehr es sie berührte, wenn er von den beiden erzählte. „Die beiden sind Killer. Echt, sie sind wirklich toll“, murmelte er und schien nicht zu wissen, wohin er gucken sollte. Wenn sie sich nicht irrte, kämpfte er mit den Tränen.

Odyssee |Capital Bra & Samra|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt