Schnee

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Samra beobachtete Capi dabei, wie er es auch beim dritten Versuch nicht schaffte, seinem Feuerzeug eine Flamme zu entlocken. Seine Hände zitterten so sehr, dass er es wahrscheinlich nicht mal schaffen würde, seine Kippe anzuzünden, wenn er das Feuerzeug doch noch irgendwie anbekommen sollte. „Vallah, gib her“, entfuhr es ihm, ehe er Capi beinah die Zigarette und das Feuerzeug aus der Hand riss. Er konnte sich dieses Schauspiel einfach nicht mehr ansehen. Es löste eine unangenehme, leichte Übelkeit in ihm aus. Er zündete die Zigarette an und gab sie Capi wieder, der es wenigstens schaffte einen Zug zu nehmen und mit einem wackeligen Grinsen meinte: „Ich küss deine Augen, Habibi.“ „Warum nimmst du nichts?“, fragte er seinen Kumpel direkt. Er kannte die Anzeichen inzwischen gut. Zu gut vielleicht. Entzugserscheinungen. Aber so heftig hatte er sie bisher nicht bei ihm gesehen. Das Grinsen verschwand aus Capis Gesicht, ehe er antwortete: „Versuch es noch etwas raus zu zögern.“ Selbst seine Stimme zitterte inzwischen leicht. „Warum?“, fragte Samra weiter, während er den anderen nicht aus den Augen ließ. Er hatte das ungute Gefühl, dass dieser jeden Moment einfach umfallen könnte. Scheiße, die Tour schien ihm jetzt schon nicht gut zu tun. Dabei war es erst der dritte Tag.

„Weil Lia hier ist. Ich… ich trau mir nicht mehr so ganz. Ich tu ihr immer irgendwie weh“, kam es gequält von ihm. Samra wandte automatisch den Blick von ihm ab und starrte auf den Boden. Sein Hals fühlte sich merkwürdig trocken an und er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Natürlich ging es um Lia. Er war ja ehrlich überrascht, dass Capi in diesem Moment alleine mit ihm draußen stand. Seit sie vor drei Stunden an der Konzerthalle angekommen waren, war er Lia keine zwei Zentimeter von der Seite gewichen. An sich war es ja irgendwie süß, wie sehr er sich über sie freute. Aber Samra musste zugeben, dass ihm das schon nicht besonders gefallen hatte. Nicht nur wegen diesem leichten Ziehen, das sich immer irgendwo in seiner Herzgegend meldete, wenn er die beiden zusammen sah und das er gekonnt ignorierte. Nein, das kannte er schon. Es war eher eine innere Unruhe gewesen, von der er immer noch nicht sagen konnte, woher sie eigentlich kam. Eine innere Unruhe, die sich jetzt wieder bemerkbar machte. „Du wirst aber nicht drumherum kommen. So kannst du nicht auf die Bühne“, sagte er schließlich nur.

Ein freudloses Lachen entfuhr Capi: „Glaubste, ich weiß das nicht?“ „Was meinst du damit, dass du ihr immer irgendwie weh tust?“, fragte er schließlich doch das, was er eigentlich nicht hatte fragen wollen. Was sollte so ein Gespräch ausgerechnet jetzt? Es war Capis Geburtstag. Außerdem musste er in zwei Stunden auf die Bühne. Das war der falsche Zeitpunkt. Capi fuhr sich durch die vom Schweiß leicht feuchten Haare, zögerte und sagte dann: „Du weißt doch, wie das ist, wenn man drauf ist. Die Kontrolle ist nicht mehr so groß. Sagst was Dummes. Machst was Dummes.“ „Sie wäre nicht hier, wenn es tatsächlich so schlimm wäre“, merkte er an, auch wenn er ganz kurz das Bedürfnis hatte, Lia einfach zu schnappen, ins Auto zu packen und schleunigst ganz weit wegfahren. Er schüttelte leicht den Kopf. Das war doch albern. Er hatte gesehen, wie Lia auf Louis reagierte und er sah, wie sie auf Capi reagierte. Das waren zwei völlig unterschiedliche Welten. Es war alles, soweit es überhaupt möglich war, in Ordnung. Warum fühlte es sich dann nicht so an? Vallah, irgendwann würde Lia ihn noch wahnsinnig machen. Ständig zerbrach er sich den Kopf über sie.

„Ich will sie einfach nicht verlieren. Und die Drogen sind ein Problem“, murmelte Capi und wirkte plötzlich ziemlich erschöpft. Ja, die Drogen waren ein Problem. Samra hatte das Gefühl, dass sie der Blonde Angst machten, auch, wenn sie es nicht zugeben wollte. Er konnte es ihr nicht verdenken, wenn er Capi so sah, bekam er auch beinah etwas Angst. Dabei war es für ihn nichts Neues. Da, wo er herkam, kannte man solche Bilder seit frühster Kindheit. Und irgendwann wurde man selbst eines dieser Bilder. Er zog wieder an seiner Zigarette und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Also schwieg er und sah nachdenklich in den Himmel. „Lass die Finger von dem Scheißzeug. Solang du es noch einfach so kannst“, sagte Capi plötzlich ruhig. Samra sah ihn wieder an und konnte sich nicht daran erinnern, dass er den Ukrainer jemals so ernst gesehen hatte. Samra schossen sofort die Erinnerungen an die vergangene Nacht durch den Kopf. Dachte an das Brennen in seiner Nase und die Frau auf seinem Schoß. Hatte gedacht, dass Sex vielleicht dabei helfen würde, Lia nicht immer irgendwie anzustarren. Natürlich hatte er das nicht. Letztlich hatte die vergangene Nacht nur dazu geführt, dass er am Morgen nicht nüchtern genug gewesen war, um selbst fahren zu können. Die Straßenlaterne vor dem Haus der Zwillinge konnte wirklich froh sein, dass er gerade so noch gebremst hatte.

Odyssee |Capital Bra & Samra|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt