𝟞 》𝔹𝕠𝕠𝕜𝕤《

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„Liebe Fahrgäste, der Zug hält demnächst. Der Ausstieg befindet sich auf der rechten Seite, bitte vergessen Sie kein Gepäck."

Kiyoomi öffnete etwas verschlafen die Augen, als er die seltsame Stimme aus dem Lautsprecher hören konnte.
In seinem Traum, den er soeben, als er eigentlich nur die Augen hatte schließen wollen und schließlich eingeschlafen war, gehabt hatte, in dem er auf einer Mission gewesen war und im selben Moment, als die Durchsage ertönte, eine Frau aus dem Nichts aufgetaucht war und genau diesen Text gesagt hatte.

Jedenfalls war es im ersten Moment ziemlich verwirrend gewesen.

Seufzend erhob er sich, bat die stehenden Fahrgäste, ob sie ihn vorbeilassen könnten - einige gaben selbst dazu ihren Kommentar ab, doch das ignorierte er gekonnt.

Er hatte nicht viel mit, bloß eine etwas Größere Tasche, in der sich Kleidung, etwas Ausrüstung für alle Fälle und Geld, sowie sein Handy und zwei Walkie-Talkies befanden - wieso auch immer Irihata ihn strengstens dazu aufgefordert hatte, zwei davon mitzunehmen, hatte er wie so vieles nicht hinterfragt.
Vielleicht hätte er das sollen.

Während er sich umsah nahm er sein Handy heraus, suchte das Foto von der Wohnung, in der er die nächsten Tage zu leben hatte, heraus und machte sich auf den Weg.

Von seinem Standpunkt aus waren es noch zehn Minuten Fußmarsch, den er zu bewältigen hatte. Viel Zeit dürfte er sich sowieso nicht in seinem Zuhause lassen, denn Zeit war Geld, und in dem Fall war Zeit ein USB-Stick, von dem niemand wusste, ob er nun tatsächlich existierte oder nicht, und was dort überhaupt zu finden war erst recht nicht.
Es war Tabu über den Inhalt der Sticks zu reden, und wenn etwas Tabu war, dann war es das. Einmal hatte Tooru seinen Mund - wieder einmal - nicht halten können und lautstark, mitten am Flur, durch den er Irihata nachgerannt war, Letzteren darüber ausgefragt, für was sie eigentlich alle ihre Leben riskierten. Da der Leiter da sowieso schon keinen besonders guten Tag gehabt hatte, hatte er Tooru damit bestraft, dass er für eine Woche auf keine Missionen mehr gehen durfte, was für den Agenten ziemlich Nerv tötend gewesen war.
Seitdem hatte das niemand mehr hinterfragt.
Generell war es für alle Agenten normal, nichts zu hinterfragen, und das hatte sich nach dem Vorfall mit Tooru noch einmal bestärkt.
Aber in der Zwischenzeit war ja Shoyo beigetreten, der für ganz viel Wirbel sorgte - sogar mehr als der Ältere.

Kiyoomi war so in seinen Gedanken versunken, dass er beinahe an dem Wohnhaus vorbeigelaufen wäre. Dafür, dass der Spite eigentlich ziemlich geizig war, sah es edel aus, schon allein der Eingangsbereich wirkte neu und modern - im Gegensatz zum restlichen Teil dieses Vororts, denn dieser wirkte eher älter und zerbrechlich.

Erneut überprüfte er, ob er denn hier richtig war, dann nahm er den Schlüssel aus seiner Tasche und sperrte die Eingangstür auf, stellte sich in den Aufzug, drückte den Schalter für das zweite Stockwerk. Die typische Fahrstuhlmusik ertönte, Kiyoomi lauschte ihr nur unterbewusst, stieg nach dem Ding, das ertönte, bevor die Türen sich öffneten, aus.

Schnell hatte er die entsprechende Wohnung gefunden, steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch, drehte ihn, bis die Tür ein Geräusch von sich gab und Kiyoomi etwas zögerlich eintrat.
Er sah sich um, schloss die Tür hinter sich, legte den Schlüssel auf eine Ablage und zog sich seine Jacke und Schuhe aus.
Die Tasche stellte er auf dem Esszimmertisch ab, dann erkundete er die Wohnung - sie umfasste eine moderne Essküche, ein schickes Wohnzimmer, das in Blautönen gestrichen war, sowie ein Badezimmer und ein Schlafzimmer. Durch das Wohnzimmer führte eine Glastür, die mit einigen deckenhohen Fenstern verbunden war, hinaus auf eine Terrasse, von der aus man über einen großen Teil des Orts blicken konnte.

Kiyoomi stellte sich ans Geländer, suchte von seiner Position aus den Bücherladen, den er noch am selben Tag besuchen würde, doch von hier aus war es schwer, ihn ausfindig zu machen, da unter anderem die anderen Gebäude ihm die Sicht versperrten.

Seufzend ging er wieder rein, ließ sich aufs Sofa fallen, rieb sich die Augen etwas.
„Nur ein kleines Nickerchen...", sagte er noch.


Als er zwei Stunden später vor dem Laden stand, wurde ihm erst bewusst, dass er vor einer Aufgabe stand, von der er keine Ahnung hatte, wie sie ausfallen würde, da er so etwas zum ersten Mal machte.
Erneut atmete er tief durch, dann öffnete er die Eingangstür, trat herein.

Er hatte sich etwas verkleidet, sich eine falsche Brille aufgesetzt, einen gemütlichen Pullover angezogen, um auch wirklich wie jemand rüberzukommen, der Interesse an Büchern und am Lesen hatte.
Er mochte Bücher, das war keine Frage, aber er würde sich nie freiwillig in einen Buchladen setzten und dort zwei Kisten davon kaufen oder sich in eine Ecke verschanzen, um in dieser den restlichen Tag zu verbringen und ein Buch nach dem anderen zu verschlingen.
Viel lieber waren ihm da die Geschichten mit vielen Seiten, die er dafür länger lesen konnte.

Die Frau an der Kassa, die in einem Buch las, da niemand angestellt war, grüßte ihn freundlich, neigte etwas verwundert den Kopf. „Sind Sie neu hier?", fragte sie.
Kiyoomi drehte sich zu ihr. Wie hatte sie das so schnell gemerkt? Was hatte er jetzt schon falsch gemacht? „Äh... j-ja. Wie sind Sie darauf gekommen?"
Sie sah von ihrem Buch auf. „Naja, dieser Ort und mein Laden sind nicht sehr groß. Da merkt man, wenn da plötzlich jemand Neues da ist." Die Frau lächelte ihm breit zu, las dann weiter.

Der junge Erwachsene zwang sich ebenfalls ein Lächeln auf, schlenderte dann durch die Regale, um so zu tun, als würde er diese etwas durchstöbern, nahm sich ab und zu ein Buch heraus, blätterte durch dieses, las den Klappentext, stellte es wieder zurück.

Im Laden war es totenstill, nur ab und zu hörte man ein Umblättern von Seiten von denen, die sich in die Sofaecke gesetzt hatten, oder von der netten Frau, die anscheinend die Mutter seiner Zielperson sein musste.

Apropos - wo war seine Zielperson überhaupt? Hieß es nicht, er würde im Laden aushelfen? Er hatte sich doch extra seine Arbeitszeiten, die er mit Mühe herausfinden hatte können, aufgeschrieben, wie konnte da nur ein Fehler passiert sein?!

Er wusste nicht, wie lange er suchend durch den Raum sah, als würde er jemanden erwarten.

„Entscheidungshilfe gefällig?"

Kiyoomi zuckte vor Schreck zusammen, als hinter ihm Jemand auftauchte - fast hätte er auch noch geschrien, so erschrocken war er, doch gottseidank hatte er sich das noch unterdrücken können.

Sein Gegenüber lachte, kratzte sich verlegen am Hals. Als er seine blond gefärbten Haare mit dem Undercut erkannte, wusste er sofort, wer er war, weshalb er binnen weniger Sekunden wieder in die Realität zurückfand - er war Atsumu Miya, der Junge, nach dem er gesucht hatte.

„Sorry, hab ich dich erschreckt?", fragte Atsumu kichernd.
„Ein wenig", antwortete Kiyoomi, der versuchte, aus seiner gewöhnlichen desinteressierten Fassung rauszukommen und etwas offener zu wirken, was ihm schwerer fiel als gedacht.
Und irgendetwas an diesem Jungen kam ihm so bekannt vor. Er konnte nicht sagen, was genau, denn das wusste er nicht, doch ihm war klar, dass dieses Gefühl nicht davon kam, dass er ihn schon auf den Fotos angesehen hatte, nein, er hatte irgendetwas an sich, das ihm so vertraut vorkam.

Atsumu zeigte auf die Bücher. „Kann ich dir irgendwie helfen?"

Kiyoomi schüttelte instinktiv den Kopf, griff nach irgendeinem Buch. „Ich hab mich schon entschieden, danke."

Die Augen seines Gegenübers weiteten sich, dann hob er die Augenbrauen, seine Lippen formten sich wieder zu einem Lächeln, während er das Buch in seiner Hand musterte. „So einer bist du also?", fragte er.

Der Agent sah von dem aufgeschlagenen Buch zu ihm, sah ihm direkt in seine braunen Augen, die ihm etwas Gänsehaut bekommen ließen - wieso konnte er auch hierbei nicht sagen.

„Wieso? Was meinst du?"

Atsumu klappte das Buch vorsichtig zu, sodass Kiyoomi vom Cover förmlich angegrinst wurde.

„Ahm, also-"
„Ich hätte dich nicht als Jemanden eingeschätzt, der sowas wie Fifty Shades of Grey liest", meinte er breit grinsend, während Kiyoomi nach Ausreden suchte - er hatte sich keine bereitgelegt, da er sich sicher gewesen war, dass sowieso nichts schiefgehen würde.
„Ähm... ist ja keine schlechte Geschichte."
„Klar. Ich mach mich auch nicht über dich lustig, falls du das jetzt denkst. Ich find's nur witzig, dass ich dich als Jemanden eingeschätzt habe, der sowas wie langweilige Novellen oder Lebenslektüren liest, du weißt schon."

Kiyoomi biss sich auf die Unterlippe, was Atsumu offensichtlich gefiel, da sein Lächeln für kurze Zeit verschwand und seine Augen auf diese gerichtet waren, dabei ein gewisses Funkeln in ihnen trugen.

„Ich hab's schon viermal gelesen, kann ich empfehlen", sagte er leise.
„Das wundert mich gerade irgendwie nicht."
Gerade, als er merkte, dass seine Fassade bröckelte, lächelte Atsumu wieder, sah ihm tief in die dunklen Augen. „Na also."
„Was?", fragte er verwirrt nach.
„Du hast dich vorhin etwas verstellt."

Kiyoomi zuckte etwas zusammen. Wie schnell hatte Atsumu seine Tarnung aufdecken können? Nicht einmal seine ehemaligen Klassenkollegen hatten das im entsprechenden Kurs geschafft, niemand von ihnen.

„H-Hab ich nicht."
„Und die Brille is' falsch. Und dein Kleidungsstil eigentlich anders, sonst würdest du dich wahrscheinlich wohler fühlen, was du aber offensichtlich nicht tust, sonst hättest du dich ja nicht verstellt. Und die Tatsache, dass du nach irgendeinem Buch gegriffen und gemeint hast, dass du eines gefunden hättest, dabei aber nicht gewusst hast, wie es heißt, is' ziemlich seltsam, wenn ich ehrlich bin", zählte er ihm auf.

Kiyoomi stutzte.
Jetzt wusste er wenigstens, wieso Irihata gemeint hatte, dass er genug mit diesem Auftrag zu tun haben würde.

„Woher-"
„Man muss nur aufpassen. Deine Gesichtszüge, deine Taten, deine Mimik, deine Reaktionen. Das alles kann ausschlaggebend sein, damit man einen enttarnt." Er lachte auf. „Wenn du jetzt irgendein Agent oder Spion wärst, wärst du wohl völlig am Arsch, was?"

Kiyoomi zwang sich ein Lächeln auf, nickte. „Mhm..."

Der Blonde grinste noch breiter. „Das wäre geil. Ich meine, dann hätte ich-"
„Atsumu! Leiser!", rief die Frau an der Kassa, woraufhin Atsumu die Lippen zusammenpresste und brav nickte.

Kiyoomi gestand sich, das er aus der Situation wohl oder übel nicht mehr rauskommen würde, weswegen er sich entschied, das Buch als Tarnung zu kaufen.
Er ging zur Kassa, die Frau verrechnete es und packte es anschließend ein, während er das Geld heraussuchte und es ihr passend hinlegte.

Sie bedankte sich, dann fiel ihr Blick nach links, sie starrte ihren Sohn etwas wütend an, der anscheinend sofort verstand, was sein Fehler gewesen war.

Kiyoomi nahm sich die Tasche, verließ den Laden mit dem Gefühl, dass er etwas vergessen hatte.
Er war gerade einmal zwei Meter vom Eingang entfernt, als es ihm einfiel - er hätte gleich nach seiner Nummer fragen können.
Aber wie sah das aus, wenn er jetzt nochmal hinein lief und danach fragte?

„Heyy, warte!", hörte er jemanden rufen, weswegen er stehenblieb und sich zu Atsumu, der zu ihm lief, drehte.
„Ja?"
„Krieg ich deine Nummer?", fragte der etwas Kleinere, und bei jedem anderen hätte Kiyoomi nun verneint, doch da es nun einmal sein Auftrag war und er selbst es vergessen hatte, überwand er sich und holte sein Handy hervor, um ihm seine Nummer ansagen zu können.

„Wie heißt du überhaupt?", fragte Atsumu, als er gerade dabei war, die Nummer zu speichern.
„Kiyoomi."
„Omi? Okay."
„Nein, Kiyo-"
„Ich bin Atsumu. Du kannst mich aber ruhig Tsumu nennen!", sagte er fröhlich.
„Und du nennst mich Ki-"
Omi. Klar, hab ich verstanden. Ich ruf dich an, damit du meine Nummer dann auch hast!" Er winkte ihm, dann verschwand er wieder im Laden.

Kiyoomi stand dort, atmete etwas erleichtert durch.
Hoffentlich hatte sich das bald erledigt, denn er wusste nicht, wie lange er das aushalten würde.




Im Büro war es still.

„Ich sagte dir doch, dass ich-"
„Und ich sagte, dass mir das egal ist", unterbrach Keiji Ukai.

Der Mann strich sich über die Stirn. „Rede bitte mit deinem Abteilleiter, Keiji."
„Das habe ich schon. Aber er sagt mir auch nichts." Er neigte den Kopf, zog die Augenbrauen etwas zusammen. „Ihr verheimlicht etwas, sonst würdet ihr nicht einfach Jemand Wildfremdes, mit dem wir ein einziges Mal etwas zu tun hatten und der vielleicht ein bisschen Erfahrung mit Waffen hat, hier einfach so aufnehmen und direkt auf Missionen schicken", erklärte er. „Irgendetwas passt hier nicht ganz ins Bild."
„Keiji, du weißt, dass ich immer da bin, wenn du etwas brauchst, ich weiß, was du durchgemacht hast. Aber es bringt nichts, wenn du jetzt hier den ganzen Tag sitzt und versuchst, mir vielleicht Informationen zu entlocken, weil wir Leiter das einheitlich besprochen haben, dass wir den Grund für uns behalten."

Keiji seufzte, sein Kiefer arbeitete. „Passen Sie auf, ich habe keine Lust darauf, hier einmal unser Revier verteidigen zu müssen, weil vielleicht gleich zwei Organisationen auf uns herfallen, weil der Typ uns verraten hat."

Ukai drückte seine Zigarette aus, dann sah er zu dem Jungen. „Du wirst das niemandem erzählen, was ich dir jetzt sage, sonst kannst du was erleben, hast du mich verstanden?!", fragte er etwas lauter.
Keiji nickte.
Der Mann zögerte, atmete tief durch. „Tsutomu weiß, wie man das Rätsel vom Eisentor löst."
„WAS?!" Keiji sprang auf, seine Augen weiteten sich. „Das-"
„Ich weiß, so haben wir auch reagiert. Er hat seit einiger Zeit solche Träume, meinte er, wo das vorkommt. Und daraufhin konnte er ganz genau beschreiben, wie man das Schloss öffnet und wie es dort aussieht."

Dem Jungen klappte die Kinnlade herunter. „Sie wissen, was das heißt, oder?", fragte er, während er sich langsam wieder hinsetzte.

Er nickte. „Deswegen wird er auch nicht auf gewöhnliche Missionen gehen, sondern nur dann mitkommen, wenn wir ihn dort brauchen. Danach sehen wir weiter."
„Weiß Shoyo davon?"

Ukai schüttelte den Kopf. „Und das bleibt auch so. Er ist so schon komplett fertig, weil niemand ihm glaubt und diese Albträume wieder angefangen haben, das würde ihn dann wahrscheinlich zum Nervenzusammenbruch bringen."

Eine Zeitlang blieb es still. „Was, wenn der ToA das alles rauskriegt?"

Ukai zögerte, sah ihm tief in die metallblauen Augen. „Dann steht uns das bevor, was du vorhin erwähnt hast."

Killer HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt